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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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oder als Preußen in die neu" Nationalversammlung, treten werden, ist ein gutes
Wcchlrcsultat und vielleicht die Haltung der Gewählten zweifelhaft. Die Wahlen
werden im Sinne der preußischen Negierung, d. h. des Bundesstaats, fast in
allen diesen Territorien besser ausfallen, wenn die Wähler von ihrer Vergangen¬
heit geschieden sind, oder die -Ueberzeugung haben, daß ihre Wahl und Ab¬
stimmung nicht durch die Entscheidungen der nächsten Zukunft compromittirt
werde.

Aber auch wenn diese Unsicherheit beendet ist. darf das Parlament nicht
in der Weise ein cvustituircndes werben, wie die Nationalversammlung von
1848 war. Nicht weil die Talente und der Patriotismus geringer sind, als
sie vor achtzehn Jahren waren, im Gegentheil, wir haben in dieser Zeit manches
gelernt und das Urtheil über praktische Fragen ist unvergleichlich sicherer ge¬
worden. Aber die preußische Regierung hat diesmal mit besonderen Schwierig¬
keiten zu kämpfen. Sie ist gegenwärtig trotz ihrer innern Politik bis zu ge¬
wissem Grade volksthümlich geworden in Preußen und außerhalb, weil sie große
Kraft erwiesen hat und große Ziele verfolgt, aber sie ist keine parlamentarische
Regierung, d. h. hat auf keine fest zu ihr stehende Majorität zu vertrauen, nicht
einmal unter den preußischen Abgeordneten. Was sie dem deutschen Volk bietet,
ist in Wahrheit eine sehr große Gabe; aber dies Geschenk ist nur möglich ge¬
worden durch politische und diplomatische Compromisse, deren unvermeidliche
Nothwendigkeit den gewählten Volksvertretern unbekannt ist; diese kommen mit
lieb gewordenen idealen Forderungen und haben den natürlichen Eifer, diese zu
realisiren, die meisten sind geneigt, um so mehr zu fordern, je weniger sie die
Opfer und Anstrengungen kennen, welche die Erreichung des Mindern gekostet
hat. Es wird also im Interesse der preußischen Regierung liegen, weitergehende
volkstümliche Forderungen, welche sie zu befriedigen zur Zeit außer Stande
ist, klug zu beschränken, und wenn sie nicht etwa wünscht, durch dieselben ge¬
drängt zu werden, dies Drängen möglichst zu verhindern. Sie wird deshalb
wahrscheinlich dem neuen Parlament einen in der Hauptsache fertigen Verfas-
sungsentwurf vorlegen, in welchem Umfang des Vereiüsgebietes und Competenz
des Parlaments genau bestimmt sind. Da der Plan, welchen Preußen im Juni
den deutschen Regierungen mittheilte, durch die Ereignisse zum Theil hinfällig
geworden ist, wird die Vorlage eines neuen Entwurfs unvermeidlich werden.

Für eine solche neue Vorlage würde wieder die Beistimmung der Verbün¬
deten Regierungen einzuholen sein und obgleich die Zahl derselben wesentlich
vermindert ist, wird doch auch bei den gebliebenen, z. B. den beiden Mecklenburg,
diese Beistimmung nicht in kürzester Frist durchzusetzen sein.

Deshalb ist vor dem Spätherbst schwerlich die Einberufung des Parlaments
zu erwarten. Dann ist der Friede geschlossen, auch mit den süddeutschen Staaten,
die dynastischen Fragen sind in der Hauptsache erledigt, und das Chaos, in


oder als Preußen in die neu« Nationalversammlung, treten werden, ist ein gutes
Wcchlrcsultat und vielleicht die Haltung der Gewählten zweifelhaft. Die Wahlen
werden im Sinne der preußischen Negierung, d. h. des Bundesstaats, fast in
allen diesen Territorien besser ausfallen, wenn die Wähler von ihrer Vergangen¬
heit geschieden sind, oder die -Ueberzeugung haben, daß ihre Wahl und Ab¬
stimmung nicht durch die Entscheidungen der nächsten Zukunft compromittirt
werde.

Aber auch wenn diese Unsicherheit beendet ist. darf das Parlament nicht
in der Weise ein cvustituircndes werben, wie die Nationalversammlung von
1848 war. Nicht weil die Talente und der Patriotismus geringer sind, als
sie vor achtzehn Jahren waren, im Gegentheil, wir haben in dieser Zeit manches
gelernt und das Urtheil über praktische Fragen ist unvergleichlich sicherer ge¬
worden. Aber die preußische Regierung hat diesmal mit besonderen Schwierig¬
keiten zu kämpfen. Sie ist gegenwärtig trotz ihrer innern Politik bis zu ge¬
wissem Grade volksthümlich geworden in Preußen und außerhalb, weil sie große
Kraft erwiesen hat und große Ziele verfolgt, aber sie ist keine parlamentarische
Regierung, d. h. hat auf keine fest zu ihr stehende Majorität zu vertrauen, nicht
einmal unter den preußischen Abgeordneten. Was sie dem deutschen Volk bietet,
ist in Wahrheit eine sehr große Gabe; aber dies Geschenk ist nur möglich ge¬
worden durch politische und diplomatische Compromisse, deren unvermeidliche
Nothwendigkeit den gewählten Volksvertretern unbekannt ist; diese kommen mit
lieb gewordenen idealen Forderungen und haben den natürlichen Eifer, diese zu
realisiren, die meisten sind geneigt, um so mehr zu fordern, je weniger sie die
Opfer und Anstrengungen kennen, welche die Erreichung des Mindern gekostet
hat. Es wird also im Interesse der preußischen Regierung liegen, weitergehende
volkstümliche Forderungen, welche sie zu befriedigen zur Zeit außer Stande
ist, klug zu beschränken, und wenn sie nicht etwa wünscht, durch dieselben ge¬
drängt zu werden, dies Drängen möglichst zu verhindern. Sie wird deshalb
wahrscheinlich dem neuen Parlament einen in der Hauptsache fertigen Verfas-
sungsentwurf vorlegen, in welchem Umfang des Vereiüsgebietes und Competenz
des Parlaments genau bestimmt sind. Da der Plan, welchen Preußen im Juni
den deutschen Regierungen mittheilte, durch die Ereignisse zum Theil hinfällig
geworden ist, wird die Vorlage eines neuen Entwurfs unvermeidlich werden.

Für eine solche neue Vorlage würde wieder die Beistimmung der Verbün¬
deten Regierungen einzuholen sein und obgleich die Zahl derselben wesentlich
vermindert ist, wird doch auch bei den gebliebenen, z. B. den beiden Mecklenburg,
diese Beistimmung nicht in kürzester Frist durchzusetzen sein.

Deshalb ist vor dem Spätherbst schwerlich die Einberufung des Parlaments
zu erwarten. Dann ist der Friede geschlossen, auch mit den süddeutschen Staaten,
die dynastischen Fragen sind in der Hauptsache erledigt, und das Chaos, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/226>, abgerufen am 22.07.2024.