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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ließen, welche ihnen ungünstig wären. Auch die ersten siegreichen Treffen in
Böhmen wurden verkleinert und abgeläugnet. Die Hamburger Zeitung, das
einzige Organ, das noch offen augustenburgisch auftreten konnte, brachte die öst-
reichischen Lügenberichte und die Kieler Zeitung druckte diese ohne Bemerkungen
ab. während sie die amtlichen preußischen Nachrichten mit vielen Fragezeichen
begleitete. Doch der Tag von Königgrätz machte diesem System vorläufig ein
Ende. Der Schlag war zerschmetternd und die Furcht, daß Preußen nun am
Ende doch Oestreich, dem Bund und allen ihren Helfershelfern das pac viotis!
zurufen würde, bemächtigte sich zuerst der Schleswig-Hvlsteiner.

Da erschien mit einem Male ein Retter in der Noth. Mit Scham müssen
wir es sagen: in Schleswig-Holstein, dem Lande, dessen Deutschthum zu erhalten
so viel edles Blut vergossen war, jubelte man auf bei der Nachricht von der
französischen Intervention. Was man selbst zu thun weder gewagt noch auch
nur ernstlich gedacht hatte, wozu sich das mit dem Bunde vereinigte Oestreich
zu schwach bewiesen, das sollte jetzt Louis Napoleon ausführen! Die Herstel¬
lung des Schleswig-holsteinischen "Landesrechts" schien gesichert, mochte auch der
letzte Rest deutscher Ehre dabei verloren gehn! Die weniger Verblendeten,
welche noch immer "festhielten", sahen wenigstens mit einem gemischten Gefühl von
Beschämung und Schadenfreude darein. Daß die Italiener von durchaus ehren¬
haften Männern regiert werden, daß der Kaiser Napoleon ein kluger und durch
manchen Schaden gewitzigter, vorsichtiger Politiker ist und daß endlich die Leiter
Preußens nicht die Männer sind, die sich von dem ersten Schreckschuß einschüchtern
lassen, bedachte man nicht. Nach kurzer Zeit mußte man denn freilich inne
werden, daß man zu früh frohlockt habe, und wohl die Mehrzahl der überhaupt
Denkenden auch unter den Augustenburgern hat jetzt wohl eingesehen, daß. mag
der Schlachten- und Federkrieg immerhin verlaufen wie er will, die Lande
Schleswig-Holstein aus Preußens Händen nicht mehr zu reißen sind.

Seit der Ausbruch des Krieges den Reihen der preußisch Gesinnten --
die Herr Gustav Rasch noch kurz vorher auf ein paar Seiten vollständig
mit Namen glaubte aufzählen zu können -- manche treffliche Männer zugeführt
und andere bewogen hatte, die bisher verborgene preußische Gesinnung offen
hervortreten zu lassen, sind verschiedene Aeußerungen der neuen Partei ans Licht
getreten. Adressen an den König von Privatleuten und städtischen Behörden
sind abgegangen, welche sich offen für die Annexion aussprechen und Samm¬
lungen für die in den preußischen Lazarethen liegenden Krieger sind veranstaltet.
Freilich sind jene Adressen nicht mit taufenden von Unterschriften bedeckt und
selbst manche Männer, welche ihren Inhalt vollständig billigen, scheuen sich,
durch ihre Unterschrift öffentlich ihre Sinnesänderung einzugestehn; andere, na¬
mentlich Kaufleute, wagen es gar nicht einmal, ihren Namen herzugeben. aus
Furcht vor dem Terrorismus der augustenburgischen Mehrheit. Ich muß gestehn.


Grenzboten III. 18K6. 26

ließen, welche ihnen ungünstig wären. Auch die ersten siegreichen Treffen in
Böhmen wurden verkleinert und abgeläugnet. Die Hamburger Zeitung, das
einzige Organ, das noch offen augustenburgisch auftreten konnte, brachte die öst-
reichischen Lügenberichte und die Kieler Zeitung druckte diese ohne Bemerkungen
ab. während sie die amtlichen preußischen Nachrichten mit vielen Fragezeichen
begleitete. Doch der Tag von Königgrätz machte diesem System vorläufig ein
Ende. Der Schlag war zerschmetternd und die Furcht, daß Preußen nun am
Ende doch Oestreich, dem Bund und allen ihren Helfershelfern das pac viotis!
zurufen würde, bemächtigte sich zuerst der Schleswig-Hvlsteiner.

Da erschien mit einem Male ein Retter in der Noth. Mit Scham müssen
wir es sagen: in Schleswig-Holstein, dem Lande, dessen Deutschthum zu erhalten
so viel edles Blut vergossen war, jubelte man auf bei der Nachricht von der
französischen Intervention. Was man selbst zu thun weder gewagt noch auch
nur ernstlich gedacht hatte, wozu sich das mit dem Bunde vereinigte Oestreich
zu schwach bewiesen, das sollte jetzt Louis Napoleon ausführen! Die Herstel¬
lung des Schleswig-holsteinischen „Landesrechts" schien gesichert, mochte auch der
letzte Rest deutscher Ehre dabei verloren gehn! Die weniger Verblendeten,
welche noch immer „festhielten", sahen wenigstens mit einem gemischten Gefühl von
Beschämung und Schadenfreude darein. Daß die Italiener von durchaus ehren¬
haften Männern regiert werden, daß der Kaiser Napoleon ein kluger und durch
manchen Schaden gewitzigter, vorsichtiger Politiker ist und daß endlich die Leiter
Preußens nicht die Männer sind, die sich von dem ersten Schreckschuß einschüchtern
lassen, bedachte man nicht. Nach kurzer Zeit mußte man denn freilich inne
werden, daß man zu früh frohlockt habe, und wohl die Mehrzahl der überhaupt
Denkenden auch unter den Augustenburgern hat jetzt wohl eingesehen, daß. mag
der Schlachten- und Federkrieg immerhin verlaufen wie er will, die Lande
Schleswig-Holstein aus Preußens Händen nicht mehr zu reißen sind.

Seit der Ausbruch des Krieges den Reihen der preußisch Gesinnten —
die Herr Gustav Rasch noch kurz vorher auf ein paar Seiten vollständig
mit Namen glaubte aufzählen zu können — manche treffliche Männer zugeführt
und andere bewogen hatte, die bisher verborgene preußische Gesinnung offen
hervortreten zu lassen, sind verschiedene Aeußerungen der neuen Partei ans Licht
getreten. Adressen an den König von Privatleuten und städtischen Behörden
sind abgegangen, welche sich offen für die Annexion aussprechen und Samm¬
lungen für die in den preußischen Lazarethen liegenden Krieger sind veranstaltet.
Freilich sind jene Adressen nicht mit taufenden von Unterschriften bedeckt und
selbst manche Männer, welche ihren Inhalt vollständig billigen, scheuen sich,
durch ihre Unterschrift öffentlich ihre Sinnesänderung einzugestehn; andere, na¬
mentlich Kaufleute, wagen es gar nicht einmal, ihren Namen herzugeben. aus
Furcht vor dem Terrorismus der augustenburgischen Mehrheit. Ich muß gestehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/211>, abgerufen am 22.07.2024.