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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nahmloser hinnahm, als selbst ein Kenner des holsteinischen Phlegmas hätte er¬
warten können, herrschte in den Kreisen der eigentlichen "Patrioten" tiefe
Niedergeschlagenheit. Die Flucht des cillmälig in den Augen des Volks zum.
Messias gewordenen Fürsten machte den schlechtesten Eindruck, den die eigent¬
lich Höfischen schon deshalb vergeblich zu verwischen suchten, da sie ihn selbst
mit empfanden. Die herkömmliche Phrase, "die Sache des Herzogs habe nie
besser gestanden als jetzt", wollte zum ersten Male durchaus nicht mehr wirken.
Von einem Widerstande war gar nicht die Rede. Die ersten Maßregeln Preu¬
ßens in Bezug auf Holstein waren nicht blos militärisch klug. Die Ernennung
des Barons Karl Scheck-Plessen wird im übrigen Deutschland noch mehr Anstoß
erregt haben, wie die von Manteuffel, aber sie war dennoch nicht blos zweck¬
mäßig, sonder gradezu nothwendig. Die einzige einflußreiche Partei, aus welche
sich Preußen stützen konnte, war die ritterschaftliche, welche in unserem nicht
blos den Gesetzen, sondern den wirklichen Lebensverhältnissen nach stark feuda¬
len Lande einen viel festeren Boden hat, als in den meisten andern deutschen
Staaten; der politische Kops dieser Partei ist Scheel-Plessen, und zwar müssen
es ihm seine bittersten Feinde lassen, daß er nicht blos einer der klügsten
und gewandtesten Politiker und einer der gründlichsten Kenner der Landes¬
verhältnisse ist, sondern noch eine hier zu Lande besonders seltene Eigenschaft
besitzt, nämlich eine energische Arbeitskraft. Daß er sich nach dem Tode Fried¬
rich des Siebenten nicht so benommen hatte, wie es die nationale Partei ge¬
wünscht hätte, konnte für die preußische Regierung doch kein entscheidender
Grund sein, ihn fallen zu lassen. Einen augustenburgisch Gesinnten konnte sie
unmöglich an die Spitze des Landes stellen. Die nationale Partei zählt schwer¬
lich einen in ihrer Mitte, der zu einem solchen Amte qualificirt wäre, und wäre
auch ein solcher zu finden, seine UnPopularität würde höchstens noch größer,
dagegen sein Einfluß geringer gewesen sein. Endlich muß man bedenken, daß
der partikularistische Sinn der Bewohner selbst den tüchtigsten und liberalsten
preußischen Beamten weniger gern an der Spitze des Landes gesehen hätte, als
einen Inländer. Manteuffel und zuerst unter ihm, dann allein Scheel-Plessen,
der die UnPopularität der letzten Jahre schwer empfunden haben soll, trat von
Anfang an sehr milde auf. Natürlich waren gewisse Zwangsmaßregeln unver¬
meidlich, aber wer das Gelärm der verbündeten Demokraten, Legitimisten und
Oestreichischen gehört hatte, mußte auf ganz andere Dinge vorbereitet sein. Die
Schleswig-holsteinischen Vereine wurden unterdrückt, während man die Kampf¬
genossenvereine bestehen ließ, deren Schließung nach unserer subjectiven Meinung
allerdings jetzt überflüssig, hingegen vor zwei Jahren wenigstens zeitgemäß gewesen
wäre, da sie viel mehr als die Schleswig-holsteinischen. dazu beigetragen haben,
ruhige Leute aus den unteren Ständen, die sich um Politik nicht kümmerten,
durch das beständige Reden von den Großthaten des Krieges, von der "eigene-


nahmloser hinnahm, als selbst ein Kenner des holsteinischen Phlegmas hätte er¬
warten können, herrschte in den Kreisen der eigentlichen „Patrioten" tiefe
Niedergeschlagenheit. Die Flucht des cillmälig in den Augen des Volks zum.
Messias gewordenen Fürsten machte den schlechtesten Eindruck, den die eigent¬
lich Höfischen schon deshalb vergeblich zu verwischen suchten, da sie ihn selbst
mit empfanden. Die herkömmliche Phrase, „die Sache des Herzogs habe nie
besser gestanden als jetzt", wollte zum ersten Male durchaus nicht mehr wirken.
Von einem Widerstande war gar nicht die Rede. Die ersten Maßregeln Preu¬
ßens in Bezug auf Holstein waren nicht blos militärisch klug. Die Ernennung
des Barons Karl Scheck-Plessen wird im übrigen Deutschland noch mehr Anstoß
erregt haben, wie die von Manteuffel, aber sie war dennoch nicht blos zweck¬
mäßig, sonder gradezu nothwendig. Die einzige einflußreiche Partei, aus welche
sich Preußen stützen konnte, war die ritterschaftliche, welche in unserem nicht
blos den Gesetzen, sondern den wirklichen Lebensverhältnissen nach stark feuda¬
len Lande einen viel festeren Boden hat, als in den meisten andern deutschen
Staaten; der politische Kops dieser Partei ist Scheel-Plessen, und zwar müssen
es ihm seine bittersten Feinde lassen, daß er nicht blos einer der klügsten
und gewandtesten Politiker und einer der gründlichsten Kenner der Landes¬
verhältnisse ist, sondern noch eine hier zu Lande besonders seltene Eigenschaft
besitzt, nämlich eine energische Arbeitskraft. Daß er sich nach dem Tode Fried¬
rich des Siebenten nicht so benommen hatte, wie es die nationale Partei ge¬
wünscht hätte, konnte für die preußische Regierung doch kein entscheidender
Grund sein, ihn fallen zu lassen. Einen augustenburgisch Gesinnten konnte sie
unmöglich an die Spitze des Landes stellen. Die nationale Partei zählt schwer¬
lich einen in ihrer Mitte, der zu einem solchen Amte qualificirt wäre, und wäre
auch ein solcher zu finden, seine UnPopularität würde höchstens noch größer,
dagegen sein Einfluß geringer gewesen sein. Endlich muß man bedenken, daß
der partikularistische Sinn der Bewohner selbst den tüchtigsten und liberalsten
preußischen Beamten weniger gern an der Spitze des Landes gesehen hätte, als
einen Inländer. Manteuffel und zuerst unter ihm, dann allein Scheel-Plessen,
der die UnPopularität der letzten Jahre schwer empfunden haben soll, trat von
Anfang an sehr milde auf. Natürlich waren gewisse Zwangsmaßregeln unver¬
meidlich, aber wer das Gelärm der verbündeten Demokraten, Legitimisten und
Oestreichischen gehört hatte, mußte auf ganz andere Dinge vorbereitet sein. Die
Schleswig-holsteinischen Vereine wurden unterdrückt, während man die Kampf¬
genossenvereine bestehen ließ, deren Schließung nach unserer subjectiven Meinung
allerdings jetzt überflüssig, hingegen vor zwei Jahren wenigstens zeitgemäß gewesen
wäre, da sie viel mehr als die Schleswig-holsteinischen. dazu beigetragen haben,
ruhige Leute aus den unteren Ständen, die sich um Politik nicht kümmerten,
durch das beständige Reden von den Großthaten des Krieges, von der „eigene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/208>, abgerufen am 22.07.2024.