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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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hat eS ihr dit Empfindung in die Seele gedrückt, daß von den ersten Bedin-
gungen des Staates, wenn er seinen Bürgern in Wahrheit menschenwürdige
Existenz gewähren will, die erste das Vermögen des Bestehens sei.

Wer mit rechtem Schmerz empfindet, daß dieser elementare Satz wieder in
Gestalt einer tiefen Demüthigung vor uns tritt, soll sich besinnen, wie sehr wir
das Geschick zu preisen haben, welches nicht den Fremden, sondern den
Bruder zum Prediger desselben bestellte. Alle Thatsachen, durch die politische
Illusionen zerstört werden, haben etwas vom Speere des Achill an sich, der
allein die Wunden heilen konnte, die er schlug. Wir sind, Gott sei Dank,
nunmehr so weit, daß die oft vertagte, oft preisgegebene Frage der preußischen
Spitze unsre nächste Lebensfrage geworden ist. Auch in Süddeutschland beginnt
diese Erkenntniß sich konvulsivisch anzukündigen, wenn auch nicht darauf zu
zählen ist, daß die echauffirten Gemüther jenseit deS Main sich so bald zu frei"
williger Umkehr entschließen. Sie mögen vorerst der ernüchternden Wirkung
überlassen werden, die Haus Habsburgs Dank und Ehrenhaftigkeit auf sie aus-
übt. Darf man hoffen, daß sie zu bekehren sind, so werden Thatsachen in
Norddeutschland am überzeugendsten reden. Hier vor allem gilt es. Klarheit
zu schaffen und zu wollen. Und es fehlt nicht an gesunden Handhaben dazu.

Anders wie im Süden, wo das unverständige Feuer des Preußenhasses
auf dem breiten Boden der unvergohrenen Demokratie aufprasselte, war im
Norden die Heerfolge für Oestreich in der Hauptsache Entschluß der Regierungen
allein. Wo die Abgeordneten zur Sprache kamen, wurde entschiedenes Veto
laut; daß wir Sachsen auszunehmen haben, fällt weniger der Einsicht unsrer
Volksvertretung als der Eloquenz deS Herrn v. Reuse zur Last, welcher den
wahren Sinn der Theorie von der Selbstvertheidigungspflicht des Min"er-
mächtigen vor den sehenden Augen und hörenden Ohren hinwegzueSkamotiren
verstand, eine Leistung, die hei der Besetzung deS Ständesaales, wie er seit drei
Lustren sich gestaltet hat, nicht grade Staunen erregen kann. In Summa ist
zu constatiren, daß die liberalen Elemente in den norddeutschen Staaten intakt
sind. Ihnen ziemt es, die Hände, die sie rein erheben können über dem Unheil
des Bruderkampfes, an daS Werk zu legen, das uns vor Wiederkehr gleichen
Elends schützen soll; sie haben das Amt und am ersten die Macht, dem Volke
aus freier Bewegung den Ehrgeiz der Mitarbeit an unsrem nationalen Ziele
inS Herz zu prägen, damit es in den entscheidungsvollen Tagen nicht kleiner
erfunden werde als sein Beruf.

Wir haben die Luft erschüttert mit Resolutionen, und wir sind nicht gehört
worden. Hätte Selbstbestimmungsrecht deutscher Männer einen Sinn für die
Mächtigen, so war es zu achten, als man unternahm, die Zukunft Schleswig-
Holsteins zu ordnen, -- das tritt als wundester Fleck deS Volksbewußtseins her.
vor. Das Volk der Herzogthümer wird erkennen lernen, daß es -- seis auch


"renjbottn III. 18KS. 24

hat eS ihr dit Empfindung in die Seele gedrückt, daß von den ersten Bedin-
gungen des Staates, wenn er seinen Bürgern in Wahrheit menschenwürdige
Existenz gewähren will, die erste das Vermögen des Bestehens sei.

Wer mit rechtem Schmerz empfindet, daß dieser elementare Satz wieder in
Gestalt einer tiefen Demüthigung vor uns tritt, soll sich besinnen, wie sehr wir
das Geschick zu preisen haben, welches nicht den Fremden, sondern den
Bruder zum Prediger desselben bestellte. Alle Thatsachen, durch die politische
Illusionen zerstört werden, haben etwas vom Speere des Achill an sich, der
allein die Wunden heilen konnte, die er schlug. Wir sind, Gott sei Dank,
nunmehr so weit, daß die oft vertagte, oft preisgegebene Frage der preußischen
Spitze unsre nächste Lebensfrage geworden ist. Auch in Süddeutschland beginnt
diese Erkenntniß sich konvulsivisch anzukündigen, wenn auch nicht darauf zu
zählen ist, daß die echauffirten Gemüther jenseit deS Main sich so bald zu frei«
williger Umkehr entschließen. Sie mögen vorerst der ernüchternden Wirkung
überlassen werden, die Haus Habsburgs Dank und Ehrenhaftigkeit auf sie aus-
übt. Darf man hoffen, daß sie zu bekehren sind, so werden Thatsachen in
Norddeutschland am überzeugendsten reden. Hier vor allem gilt es. Klarheit
zu schaffen und zu wollen. Und es fehlt nicht an gesunden Handhaben dazu.

Anders wie im Süden, wo das unverständige Feuer des Preußenhasses
auf dem breiten Boden der unvergohrenen Demokratie aufprasselte, war im
Norden die Heerfolge für Oestreich in der Hauptsache Entschluß der Regierungen
allein. Wo die Abgeordneten zur Sprache kamen, wurde entschiedenes Veto
laut; daß wir Sachsen auszunehmen haben, fällt weniger der Einsicht unsrer
Volksvertretung als der Eloquenz deS Herrn v. Reuse zur Last, welcher den
wahren Sinn der Theorie von der Selbstvertheidigungspflicht des Min»er-
mächtigen vor den sehenden Augen und hörenden Ohren hinwegzueSkamotiren
verstand, eine Leistung, die hei der Besetzung deS Ständesaales, wie er seit drei
Lustren sich gestaltet hat, nicht grade Staunen erregen kann. In Summa ist
zu constatiren, daß die liberalen Elemente in den norddeutschen Staaten intakt
sind. Ihnen ziemt es, die Hände, die sie rein erheben können über dem Unheil
des Bruderkampfes, an daS Werk zu legen, das uns vor Wiederkehr gleichen
Elends schützen soll; sie haben das Amt und am ersten die Macht, dem Volke
aus freier Bewegung den Ehrgeiz der Mitarbeit an unsrem nationalen Ziele
inS Herz zu prägen, damit es in den entscheidungsvollen Tagen nicht kleiner
erfunden werde als sein Beruf.

Wir haben die Luft erschüttert mit Resolutionen, und wir sind nicht gehört
worden. Hätte Selbstbestimmungsrecht deutscher Männer einen Sinn für die
Mächtigen, so war es zu achten, als man unternahm, die Zukunft Schleswig-
Holsteins zu ordnen, — das tritt als wundester Fleck deS Volksbewußtseins her.
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[0203] hat eS ihr dit Empfindung in die Seele gedrückt, daß von den ersten Bedin- gungen des Staates, wenn er seinen Bürgern in Wahrheit menschenwürdige Existenz gewähren will, die erste das Vermögen des Bestehens sei. Wer mit rechtem Schmerz empfindet, daß dieser elementare Satz wieder in Gestalt einer tiefen Demüthigung vor uns tritt, soll sich besinnen, wie sehr wir das Geschick zu preisen haben, welches nicht den Fremden, sondern den Bruder zum Prediger desselben bestellte. Alle Thatsachen, durch die politische Illusionen zerstört werden, haben etwas vom Speere des Achill an sich, der allein die Wunden heilen konnte, die er schlug. Wir sind, Gott sei Dank, nunmehr so weit, daß die oft vertagte, oft preisgegebene Frage der preußischen Spitze unsre nächste Lebensfrage geworden ist. Auch in Süddeutschland beginnt diese Erkenntniß sich konvulsivisch anzukündigen, wenn auch nicht darauf zu zählen ist, daß die echauffirten Gemüther jenseit deS Main sich so bald zu frei« williger Umkehr entschließen. Sie mögen vorerst der ernüchternden Wirkung überlassen werden, die Haus Habsburgs Dank und Ehrenhaftigkeit auf sie aus- übt. Darf man hoffen, daß sie zu bekehren sind, so werden Thatsachen in Norddeutschland am überzeugendsten reden. Hier vor allem gilt es. Klarheit zu schaffen und zu wollen. Und es fehlt nicht an gesunden Handhaben dazu. Anders wie im Süden, wo das unverständige Feuer des Preußenhasses auf dem breiten Boden der unvergohrenen Demokratie aufprasselte, war im Norden die Heerfolge für Oestreich in der Hauptsache Entschluß der Regierungen allein. Wo die Abgeordneten zur Sprache kamen, wurde entschiedenes Veto laut; daß wir Sachsen auszunehmen haben, fällt weniger der Einsicht unsrer Volksvertretung als der Eloquenz deS Herrn v. Reuse zur Last, welcher den wahren Sinn der Theorie von der Selbstvertheidigungspflicht des Min»er- mächtigen vor den sehenden Augen und hörenden Ohren hinwegzueSkamotiren verstand, eine Leistung, die hei der Besetzung deS Ständesaales, wie er seit drei Lustren sich gestaltet hat, nicht grade Staunen erregen kann. In Summa ist zu constatiren, daß die liberalen Elemente in den norddeutschen Staaten intakt sind. Ihnen ziemt es, die Hände, die sie rein erheben können über dem Unheil des Bruderkampfes, an daS Werk zu legen, das uns vor Wiederkehr gleichen Elends schützen soll; sie haben das Amt und am ersten die Macht, dem Volke aus freier Bewegung den Ehrgeiz der Mitarbeit an unsrem nationalen Ziele inS Herz zu prägen, damit es in den entscheidungsvollen Tagen nicht kleiner erfunden werde als sein Beruf. Wir haben die Luft erschüttert mit Resolutionen, und wir sind nicht gehört worden. Hätte Selbstbestimmungsrecht deutscher Männer einen Sinn für die Mächtigen, so war es zu achten, als man unternahm, die Zukunft Schleswig- Holsteins zu ordnen, — das tritt als wundester Fleck deS Volksbewußtseins her. vor. Das Volk der Herzogthümer wird erkennen lernen, daß es — seis auch «renjbottn III. 18KS. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/203>, abgerufen am 22.07.2024.