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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Auch das ist deutsches Schicksal, ein ungewöhnliches und sehr lehrreiches
Schicksal für die Lebenden und Nachkommen. Sechszehn Millionen eines großen
Volkes waren durch einige Wochen in der Lage, daß die Bravour der Heere
Preußens und Oestreichs, daß die geheimen Rathschlage zweier Generale, Moltke
oder Benedek, über ihre Zukunft entschieden, sechszehn Millionen sind jetzt in
der ähnlichen Lage, daß der geheime Rathschluß von drei oder vier Cabineten
über ihre Zukunft bestimmt. Das sind Zeiten, wo nicht nur der einzelne
Mann resignirt empfindet, wie wenig sein Wunsch und Wille für das Ganze
ist. wo auch die Nichtigkeit des kleinen Staates allen Bürgern desselben schrecklich
fühlbar werden muß. Unsicher wogt im ganzen Reiche die Stimmung, heftig
kreuzt sich Frage mit Frage: Werden die ausgewanderten Fürsten nach Han¬
nover. Sachsen, Nassau, Darmstadt zurückkehren? Wird der Kurfürst von Hessen
wieder in seinen Stiefeln die Wilhelmshöhe beschreiten und von neuem durch
seine verstörten Grillen Minister und Volksvertreter demüthigen? Werden wir
Leipziger in einigen Wochen Preußen oder Sachsen heißen? Wird das Band zerrissen
werden, welches, wie locker immer, den deutschen Süden an den Norden band?
Wird der Zollverein in seiner Ausdehnung bis an die Alpen und an den
Bodensee fortbestehen? Wird durch Preußen zur Wahrheit werden, was feit
achtzehn Jahren ersehnt und errufen wurde, ein festgefügter Bundesstaat,
der die gesammten deutschen Staaten umfaßt und der auch dem Süden Sicher-'
heil giebt gegen Einmischung des Auslands und freie Kraftentfaltung im
Innern?

Vielleicht vermag selbst die Regierung König Wilhelms zur Zeit nicht,
allen diesen Fragen sichere Antwort zu geben, denn nicht von ihr allein und
nicht nur von dem diplomatischen Abkommen, welches jetzt geschlossen werden
kann, hängt die Zukunft Deutschlands ab. Wohl aber sind die letzten Ziele
der preußischen Politik und einiges über die gegenwärtige Sachlage schon heut
zu erkennen, und anderes darf man, ohne eine unfruchtbare Conjecturalpolitik
zu treiben, muthmaßen.

Eine Einverleibung aller Staaten, welche dem preußischen Bündniß von
jetzt ab widerstehen, oder bereits thatsächlich occupirt sind , wäre für Preußen
keine militärische Unmöglichkeit. Diese gewaltsame Anfügung würde voraus¬
sichtlich die inneren Schwierigkeiten der Neugestaltung mit einem Schlage be¬
enden. Wenn der Schwabe, der Bayer, vollends der Hannoveraner und Sachse
über Nacht zu Preußen würden, so wäre die wahrscheinliche Folge: Unzufrie¬
denheit, viel Gemurre und Kopfschütteln. vielleicht in Oberbayern einige Aus-'
laufe und peinliche Executionen, in Jahr und Tag wäre alles in Ordnung, in
fünf Jahren die ungeheure Mehrzahl behaglich in den neuen Großstaat eingelebt:'
In Wahrheit wäre dies für alle Theile das unvergleichlich Beste. Die preußische
Schablone würde so großem Landgebiet nicht aufgezwungen, die liebgeworderten


21'

Auch das ist deutsches Schicksal, ein ungewöhnliches und sehr lehrreiches
Schicksal für die Lebenden und Nachkommen. Sechszehn Millionen eines großen
Volkes waren durch einige Wochen in der Lage, daß die Bravour der Heere
Preußens und Oestreichs, daß die geheimen Rathschlage zweier Generale, Moltke
oder Benedek, über ihre Zukunft entschieden, sechszehn Millionen sind jetzt in
der ähnlichen Lage, daß der geheime Rathschluß von drei oder vier Cabineten
über ihre Zukunft bestimmt. Das sind Zeiten, wo nicht nur der einzelne
Mann resignirt empfindet, wie wenig sein Wunsch und Wille für das Ganze
ist. wo auch die Nichtigkeit des kleinen Staates allen Bürgern desselben schrecklich
fühlbar werden muß. Unsicher wogt im ganzen Reiche die Stimmung, heftig
kreuzt sich Frage mit Frage: Werden die ausgewanderten Fürsten nach Han¬
nover. Sachsen, Nassau, Darmstadt zurückkehren? Wird der Kurfürst von Hessen
wieder in seinen Stiefeln die Wilhelmshöhe beschreiten und von neuem durch
seine verstörten Grillen Minister und Volksvertreter demüthigen? Werden wir
Leipziger in einigen Wochen Preußen oder Sachsen heißen? Wird das Band zerrissen
werden, welches, wie locker immer, den deutschen Süden an den Norden band?
Wird der Zollverein in seiner Ausdehnung bis an die Alpen und an den
Bodensee fortbestehen? Wird durch Preußen zur Wahrheit werden, was feit
achtzehn Jahren ersehnt und errufen wurde, ein festgefügter Bundesstaat,
der die gesammten deutschen Staaten umfaßt und der auch dem Süden Sicher-'
heil giebt gegen Einmischung des Auslands und freie Kraftentfaltung im
Innern?

Vielleicht vermag selbst die Regierung König Wilhelms zur Zeit nicht,
allen diesen Fragen sichere Antwort zu geben, denn nicht von ihr allein und
nicht nur von dem diplomatischen Abkommen, welches jetzt geschlossen werden
kann, hängt die Zukunft Deutschlands ab. Wohl aber sind die letzten Ziele
der preußischen Politik und einiges über die gegenwärtige Sachlage schon heut
zu erkennen, und anderes darf man, ohne eine unfruchtbare Conjecturalpolitik
zu treiben, muthmaßen.

Eine Einverleibung aller Staaten, welche dem preußischen Bündniß von
jetzt ab widerstehen, oder bereits thatsächlich occupirt sind , wäre für Preußen
keine militärische Unmöglichkeit. Diese gewaltsame Anfügung würde voraus¬
sichtlich die inneren Schwierigkeiten der Neugestaltung mit einem Schlage be¬
enden. Wenn der Schwabe, der Bayer, vollends der Hannoveraner und Sachse
über Nacht zu Preußen würden, so wäre die wahrscheinliche Folge: Unzufrie¬
denheit, viel Gemurre und Kopfschütteln. vielleicht in Oberbayern einige Aus-'
laufe und peinliche Executionen, in Jahr und Tag wäre alles in Ordnung, in
fünf Jahren die ungeheure Mehrzahl behaglich in den neuen Großstaat eingelebt:'
In Wahrheit wäre dies für alle Theile das unvergleichlich Beste. Die preußische
Schablone würde so großem Landgebiet nicht aufgezwungen, die liebgeworderten


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[0181] Auch das ist deutsches Schicksal, ein ungewöhnliches und sehr lehrreiches Schicksal für die Lebenden und Nachkommen. Sechszehn Millionen eines großen Volkes waren durch einige Wochen in der Lage, daß die Bravour der Heere Preußens und Oestreichs, daß die geheimen Rathschlage zweier Generale, Moltke oder Benedek, über ihre Zukunft entschieden, sechszehn Millionen sind jetzt in der ähnlichen Lage, daß der geheime Rathschluß von drei oder vier Cabineten über ihre Zukunft bestimmt. Das sind Zeiten, wo nicht nur der einzelne Mann resignirt empfindet, wie wenig sein Wunsch und Wille für das Ganze ist. wo auch die Nichtigkeit des kleinen Staates allen Bürgern desselben schrecklich fühlbar werden muß. Unsicher wogt im ganzen Reiche die Stimmung, heftig kreuzt sich Frage mit Frage: Werden die ausgewanderten Fürsten nach Han¬ nover. Sachsen, Nassau, Darmstadt zurückkehren? Wird der Kurfürst von Hessen wieder in seinen Stiefeln die Wilhelmshöhe beschreiten und von neuem durch seine verstörten Grillen Minister und Volksvertreter demüthigen? Werden wir Leipziger in einigen Wochen Preußen oder Sachsen heißen? Wird das Band zerrissen werden, welches, wie locker immer, den deutschen Süden an den Norden band? Wird der Zollverein in seiner Ausdehnung bis an die Alpen und an den Bodensee fortbestehen? Wird durch Preußen zur Wahrheit werden, was feit achtzehn Jahren ersehnt und errufen wurde, ein festgefügter Bundesstaat, der die gesammten deutschen Staaten umfaßt und der auch dem Süden Sicher-' heil giebt gegen Einmischung des Auslands und freie Kraftentfaltung im Innern? Vielleicht vermag selbst die Regierung König Wilhelms zur Zeit nicht, allen diesen Fragen sichere Antwort zu geben, denn nicht von ihr allein und nicht nur von dem diplomatischen Abkommen, welches jetzt geschlossen werden kann, hängt die Zukunft Deutschlands ab. Wohl aber sind die letzten Ziele der preußischen Politik und einiges über die gegenwärtige Sachlage schon heut zu erkennen, und anderes darf man, ohne eine unfruchtbare Conjecturalpolitik zu treiben, muthmaßen. Eine Einverleibung aller Staaten, welche dem preußischen Bündniß von jetzt ab widerstehen, oder bereits thatsächlich occupirt sind , wäre für Preußen keine militärische Unmöglichkeit. Diese gewaltsame Anfügung würde voraus¬ sichtlich die inneren Schwierigkeiten der Neugestaltung mit einem Schlage be¬ enden. Wenn der Schwabe, der Bayer, vollends der Hannoveraner und Sachse über Nacht zu Preußen würden, so wäre die wahrscheinliche Folge: Unzufrie¬ denheit, viel Gemurre und Kopfschütteln. vielleicht in Oberbayern einige Aus-' laufe und peinliche Executionen, in Jahr und Tag wäre alles in Ordnung, in fünf Jahren die ungeheure Mehrzahl behaglich in den neuen Großstaat eingelebt:' In Wahrheit wäre dies für alle Theile das unvergleichlich Beste. Die preußische Schablone würde so großem Landgebiet nicht aufgezwungen, die liebgeworderten 21'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/181>, abgerufen am 22.07.2024.