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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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von Nachod" zu verleihen geruhte, zum Andenken an den herrlichen Sieg der
Oestreicher!

Soll nun die Feder schildern, wie die Wahrheit, als sie nicht länger zu
verschweigen war, zermalmend daherfuhr, unbarmherzig die Illusionen zerstörte,
und Schlag auf Schlag, die eine immer schlimmer, die Botschaften sich dräng¬
ten? Den tiefsten Eindruck machte vor allem das Schicksal der armen Han¬
noveraner, das lange für unglaublich gehalten und abgeleugnet, endlich Gewi߬
heit war. Die Hannoveraner, die wie Peter Schlemils Schatten verloren
gegangen waren und in den thüringischen Wäldern gesucht wurden -- oder
vielmehr nicht gesucht wurden. Denn das war ja kein Zweifel, daß hier der
schnödeste Verrath mit im Spiele war. Jetzt erinnerte man sich wieder, welch
zweideutige Rolle Bayern überhaupt gespielt, wie es beim Köder des bismarck-
schen Reformentwurfs geschwankt hatte, am Hof die Sympathien für Preußen
nie ganz erloschen waren. Hieß es nicht immer, die bayerischen Truppen ziehen
nordwärts, und nun waren sie doch nirgends, wo man sie brauchte. Wozu
war General v. d. Tann im benedekschen Hauptquartier erschienen? Doch nur,
um den östreichischen Kriegsplan an Preußen zu verrathen. Man nannte die
Summen, für welche die bayerischen Staatsmänner erkauft seien. Also Verrath
mitten im bundestreuen Lager! Entrüstet wies man die Gegenklage der Bayern
zurück, daß das achte Armeecorps vielmehr die Schuld am Unglück der Hanno¬
veraner trage, weil seine mangelhafte Kriegsrüstung den Bayern nicht gestattet
habe, sich vorzuwagen. Es begann nun überhaupt jenes erbauliche System
gegenseitiger Verdächtigungen, jene Fluth von Gerüchten, die das Mißtrauen
erzeugte, jene Beschuldigungen von Abfall und Verrath, von welchen die An¬
nalen des Feldzugs der Reichsarmee so ungleich mehr zu erzählen wissen als
von kriegerischen Thaten, und von welchen freilich niemand überrascht sein
konnte, der sich die Eigenthümlichkeiten einer Bundcsarmee mit drei- bis vier¬
fachem Oberbefehl vergegenwärtigte.

Und nun traf gleich darauf die Kunde von den entscheidende" Schlägen
in Böhmen und vom Eintritt der diplomatischen Action ein. Unbeschreiblich
ist die erschütternde Wirkung, welche diese Nachrichten hier hervorbrachten, wo
man am wenigsten auf sie gefaßt war und auf die Macht Oestreichs vielleicht
fester baute als in Oestreich selbst. Eben noch vom stolzen Bewußtsein der
Einmüthigkeit getragen war die öffentliche Meinung plötzlich in ein Chaos
streitender Empfindungen aufgelöst. Am raschesten faßte sich das Organ der
würtembergischen Staatsregierung, das, nachdem erst die Anstandsthräne über
den Einsturz des bisherigen Stützpunkts zerdrückt, kaltblütig von Ost nach West
sich drehte und durch den Mund I. Fröbels veikündete, daß durch die bevor¬
stehende Einwirkung Frankreichs die Interessen Deutschlands anstatt bedroht,
Vielmehr in erfreulicher Weise würden gefördert werden. Aufrichtiger Ingrimm


von Nachod" zu verleihen geruhte, zum Andenken an den herrlichen Sieg der
Oestreicher!

Soll nun die Feder schildern, wie die Wahrheit, als sie nicht länger zu
verschweigen war, zermalmend daherfuhr, unbarmherzig die Illusionen zerstörte,
und Schlag auf Schlag, die eine immer schlimmer, die Botschaften sich dräng¬
ten? Den tiefsten Eindruck machte vor allem das Schicksal der armen Han¬
noveraner, das lange für unglaublich gehalten und abgeleugnet, endlich Gewi߬
heit war. Die Hannoveraner, die wie Peter Schlemils Schatten verloren
gegangen waren und in den thüringischen Wäldern gesucht wurden — oder
vielmehr nicht gesucht wurden. Denn das war ja kein Zweifel, daß hier der
schnödeste Verrath mit im Spiele war. Jetzt erinnerte man sich wieder, welch
zweideutige Rolle Bayern überhaupt gespielt, wie es beim Köder des bismarck-
schen Reformentwurfs geschwankt hatte, am Hof die Sympathien für Preußen
nie ganz erloschen waren. Hieß es nicht immer, die bayerischen Truppen ziehen
nordwärts, und nun waren sie doch nirgends, wo man sie brauchte. Wozu
war General v. d. Tann im benedekschen Hauptquartier erschienen? Doch nur,
um den östreichischen Kriegsplan an Preußen zu verrathen. Man nannte die
Summen, für welche die bayerischen Staatsmänner erkauft seien. Also Verrath
mitten im bundestreuen Lager! Entrüstet wies man die Gegenklage der Bayern
zurück, daß das achte Armeecorps vielmehr die Schuld am Unglück der Hanno¬
veraner trage, weil seine mangelhafte Kriegsrüstung den Bayern nicht gestattet
habe, sich vorzuwagen. Es begann nun überhaupt jenes erbauliche System
gegenseitiger Verdächtigungen, jene Fluth von Gerüchten, die das Mißtrauen
erzeugte, jene Beschuldigungen von Abfall und Verrath, von welchen die An¬
nalen des Feldzugs der Reichsarmee so ungleich mehr zu erzählen wissen als
von kriegerischen Thaten, und von welchen freilich niemand überrascht sein
konnte, der sich die Eigenthümlichkeiten einer Bundcsarmee mit drei- bis vier¬
fachem Oberbefehl vergegenwärtigte.

Und nun traf gleich darauf die Kunde von den entscheidende» Schlägen
in Böhmen und vom Eintritt der diplomatischen Action ein. Unbeschreiblich
ist die erschütternde Wirkung, welche diese Nachrichten hier hervorbrachten, wo
man am wenigsten auf sie gefaßt war und auf die Macht Oestreichs vielleicht
fester baute als in Oestreich selbst. Eben noch vom stolzen Bewußtsein der
Einmüthigkeit getragen war die öffentliche Meinung plötzlich in ein Chaos
streitender Empfindungen aufgelöst. Am raschesten faßte sich das Organ der
würtembergischen Staatsregierung, das, nachdem erst die Anstandsthräne über
den Einsturz des bisherigen Stützpunkts zerdrückt, kaltblütig von Ost nach West
sich drehte und durch den Mund I. Fröbels veikündete, daß durch die bevor¬
stehende Einwirkung Frankreichs die Interessen Deutschlands anstatt bedroht,
Vielmehr in erfreulicher Weise würden gefördert werden. Aufrichtiger Ingrimm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/170>, abgerufen am 22.07.2024.