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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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als er bei Versammlungen zu präsidiren, niemand spricht glänzender und ge¬
wandter, und seine Briefe sollen Muster des amharischen Stils sein. Ueber-
haupt ist er für einen Abyssinier hochgebildet, in der Literatur seines Volkes
wohl bewandert und auch mit den Verhältnissen und Zuständen Europas nicht
unbekannt.

Seine erste Gemahlin Tsubedsche liebte er ungemein, und als sie vor un¬
gefähr sieben Jahren starb, war er kaum zu trösten und betrachtete ihren Ver¬
lust als göttliche Strafe dafür, daß er kurz zuvor in Godscham eine Frau hatte
verbrennen lassen. Einige Zeit nachher heirathete er -- lediglich aus politischen
Gründen -- die Tochter des von ihm besiegten Uhle. die schöne und geistreiche
Toroneche. Drei Jahre vertrug er sich sehr gut mit ihr. und als sie ihm einen
Sohn schenkte, veranstaltete er ein großes Fest, bei welchem er den versammelten
Gästen den jungen Prinzen mit den Worten zeigte-. "Seht Euren künftigen
König!" Eines Tages jedoch, am Osterfest, bat Toroneche ihren Gemahl um
Befreiung einiger Tigriner, welche wegen ihrer Anhänglichkeit an Uhle in Ketten
lagen. "Was soll das," fuhr sie der Kaiser an, "liebst du deinen Vater denn
mehr als mich?" "Das ist wohl möglich", antwortete die stolze Fürstentochter
Augenblicklich bekam sie von der Majestät eine derbe Ohrfeige. Bell, damals
noch am Lehen, erhielt, als er interveniren wollte, eine zweite, und Uhle, wel¬
cher seit der Hochzeit gut behandelt worden war, wurde sogleich in das Gefäng¬
niß abgeführt. Sodann nahm sich Theodor, um seine Frau noch mehr zu ärgern,
vier Mädchen aus dem niedern Volke ins Haus, was seine Hofleute ganz in
der Ordnung fanden, wogegen die Geistlichkeit ihn abzumahnen suchte und ihm,
als er nächste Ostern Anstands halber das Abendmahl genießen mußte, die Ab
solution für so lange verweigerte, als er sich nicht mit seiner Gemahlin ver¬
söhnt. Er ging also zu ihr. Die Dame überhäufte ihn mit Vorwürfen und
bitteren Wahrheiten. Er flammte auf und bedrohte sie. Sie aber erwiederte
kaltblütig, noch hätte kein Negus seine Frau ermordet, und er würde es nicht
wagen, der erste zu sein, der sich so verginge. Beschämt kehrte er zu dem Prie¬
ster zurück und Vollendete seine Beichte, in der er schwer beklagte, daß trotz
seiner guten Vorsätze so oft der Teufel ihn zur Sünde verleite, und sich zu
bessern versprach. Er entließ denn auch die Favoritin, die er sich aus den vier
Mädchen gewählt, aber nur bis das Osterfest vorüber war -- dann nahm er
sich eine neue.

Edler erwies sich dieser widerspruchsvolle Charakter seinem Freunde Bell
gegenüber. Als dieser einst um Gerechtigkeit gebeten hatte und abgewiesen
worden war, erinnerte er sich eines alten Brauches der Abyssinier, welcher den¬
selben erlaubt, mit absoluter Freiheit zu ihrem Beherrscher zu sprechen, sobald
sie in voller Rüstung und zu Pferde denselben in der Mitte seines Hofes aus¬
suchen. Alsbald ergriff er Schild, Lanze und Schwert, setzte sich in den Sattel


als er bei Versammlungen zu präsidiren, niemand spricht glänzender und ge¬
wandter, und seine Briefe sollen Muster des amharischen Stils sein. Ueber-
haupt ist er für einen Abyssinier hochgebildet, in der Literatur seines Volkes
wohl bewandert und auch mit den Verhältnissen und Zuständen Europas nicht
unbekannt.

Seine erste Gemahlin Tsubedsche liebte er ungemein, und als sie vor un¬
gefähr sieben Jahren starb, war er kaum zu trösten und betrachtete ihren Ver¬
lust als göttliche Strafe dafür, daß er kurz zuvor in Godscham eine Frau hatte
verbrennen lassen. Einige Zeit nachher heirathete er — lediglich aus politischen
Gründen — die Tochter des von ihm besiegten Uhle. die schöne und geistreiche
Toroneche. Drei Jahre vertrug er sich sehr gut mit ihr. und als sie ihm einen
Sohn schenkte, veranstaltete er ein großes Fest, bei welchem er den versammelten
Gästen den jungen Prinzen mit den Worten zeigte-. „Seht Euren künftigen
König!" Eines Tages jedoch, am Osterfest, bat Toroneche ihren Gemahl um
Befreiung einiger Tigriner, welche wegen ihrer Anhänglichkeit an Uhle in Ketten
lagen. „Was soll das," fuhr sie der Kaiser an, „liebst du deinen Vater denn
mehr als mich?" „Das ist wohl möglich", antwortete die stolze Fürstentochter
Augenblicklich bekam sie von der Majestät eine derbe Ohrfeige. Bell, damals
noch am Lehen, erhielt, als er interveniren wollte, eine zweite, und Uhle, wel¬
cher seit der Hochzeit gut behandelt worden war, wurde sogleich in das Gefäng¬
niß abgeführt. Sodann nahm sich Theodor, um seine Frau noch mehr zu ärgern,
vier Mädchen aus dem niedern Volke ins Haus, was seine Hofleute ganz in
der Ordnung fanden, wogegen die Geistlichkeit ihn abzumahnen suchte und ihm,
als er nächste Ostern Anstands halber das Abendmahl genießen mußte, die Ab
solution für so lange verweigerte, als er sich nicht mit seiner Gemahlin ver¬
söhnt. Er ging also zu ihr. Die Dame überhäufte ihn mit Vorwürfen und
bitteren Wahrheiten. Er flammte auf und bedrohte sie. Sie aber erwiederte
kaltblütig, noch hätte kein Negus seine Frau ermordet, und er würde es nicht
wagen, der erste zu sein, der sich so verginge. Beschämt kehrte er zu dem Prie¬
ster zurück und Vollendete seine Beichte, in der er schwer beklagte, daß trotz
seiner guten Vorsätze so oft der Teufel ihn zur Sünde verleite, und sich zu
bessern versprach. Er entließ denn auch die Favoritin, die er sich aus den vier
Mädchen gewählt, aber nur bis das Osterfest vorüber war — dann nahm er
sich eine neue.

Edler erwies sich dieser widerspruchsvolle Charakter seinem Freunde Bell
gegenüber. Als dieser einst um Gerechtigkeit gebeten hatte und abgewiesen
worden war, erinnerte er sich eines alten Brauches der Abyssinier, welcher den¬
selben erlaubt, mit absoluter Freiheit zu ihrem Beherrscher zu sprechen, sobald
sie in voller Rüstung und zu Pferde denselben in der Mitte seines Hofes aus¬
suchen. Alsbald ergriff er Schild, Lanze und Schwert, setzte sich in den Sattel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/158>, abgerufen am 22.07.2024.