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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Masse der Bevölkerung, welche ein blinder Lärm: "die Preußen kommen", in
meilenweite Flucht jagen kann, sondern auch der kaiserlichen Behörden, welche
noch überall vorzeitig ihre Amtssitze verließen, lieber Anarchie hervorriefen, als
daß sie ihren kostbaren Leichnam einer Gefahr ausgesetzt hätten. Regierung und
Negierte haben es in diesen Tagen deutlich bewiesen, daß die Begriffe politische
Ehre und Geweinwohl in Oestreich wenig bekannt sind. Wenn nur das In¬
dividuum keinen Schaden leidet, wenn nur die besonderen Interessen gewahrt
bleiben; ob das öffentliche Wohl, ob der Staatszweck dadurch verletzt werde,
erscheint der Mehrzahl gleichgiltig. Wir wagen angesichts der Thatsachen nicht
die Hoffnung zu äußern, daß die verderbliche Richtung des östreichischen Volks-
geistes sich bald ändern werde, desto schärfer aber müssen wir daher die Forde¬
rung betonen, daß alle, die auf die Volksmeinung Einfluß üben, diese Aende¬
rung und die ihr vorangehende Selbsterkenntniß und Umkehr vorbereiten.
Wird man nicht endlich jetzt zu der Einsicht gelangen, daß ein Relat nicht
kraftvoll bestehen kann, in dessen Negierung alle, nur nicht des Reiches und
Volkes eigene Interessen mitsprechen dürfen. In Oestreich gehört das Ministe¬
rium des Aeußern der großdeutschen Partei, das Ministerium des Cultus den
Ultramontanen, das Finanzministerium den Börsenjuden, das Ministerium des
Innern den Großgrundbesitzern, jenes des Krieges endlich einigen privilegirten
Ossiziersfamilien an. Dieses wäre aber nicht möglich, wenn die östreichischen
Volksstämme Muth besäßen, sich selber anzugehören, wenn nicht auch sie stets
nach der Fremde schielten, nur durch fremde Hilfe, nicht durch eigene Kraft sich
stärken wollten. Wird nicht der gegenwärtige Augenblick zu einer Agitation
benutzt, welche die Regierung zwingt, endlich einmal östreichisch zu sein, nach¬
dem sie bisher nur großdeutsch, italienisch, russisch, päpstlich gewesen war, wird
nicht insbesondere in dem Ministerium des Aeußern endlich einmal gründlich
aufgeräumt, und aus demselben das Schmarotzergeschlecht vertrieben, wagt nicht
endlich jetzt die Reformpartei auf ihre Fahne einfach aber ehrlich zu schreiben:
Oestreich für Oestreich, so werden die künftigen Geschlechter noch von ganz
anderen Schlägen und Niederlagen Oestreichs zu erzählen wissen, als wir sie
A. S. gegenwärtig schauen.




Masse der Bevölkerung, welche ein blinder Lärm: „die Preußen kommen", in
meilenweite Flucht jagen kann, sondern auch der kaiserlichen Behörden, welche
noch überall vorzeitig ihre Amtssitze verließen, lieber Anarchie hervorriefen, als
daß sie ihren kostbaren Leichnam einer Gefahr ausgesetzt hätten. Regierung und
Negierte haben es in diesen Tagen deutlich bewiesen, daß die Begriffe politische
Ehre und Geweinwohl in Oestreich wenig bekannt sind. Wenn nur das In¬
dividuum keinen Schaden leidet, wenn nur die besonderen Interessen gewahrt
bleiben; ob das öffentliche Wohl, ob der Staatszweck dadurch verletzt werde,
erscheint der Mehrzahl gleichgiltig. Wir wagen angesichts der Thatsachen nicht
die Hoffnung zu äußern, daß die verderbliche Richtung des östreichischen Volks-
geistes sich bald ändern werde, desto schärfer aber müssen wir daher die Forde¬
rung betonen, daß alle, die auf die Volksmeinung Einfluß üben, diese Aende¬
rung und die ihr vorangehende Selbsterkenntniß und Umkehr vorbereiten.
Wird man nicht endlich jetzt zu der Einsicht gelangen, daß ein Relat nicht
kraftvoll bestehen kann, in dessen Negierung alle, nur nicht des Reiches und
Volkes eigene Interessen mitsprechen dürfen. In Oestreich gehört das Ministe¬
rium des Aeußern der großdeutschen Partei, das Ministerium des Cultus den
Ultramontanen, das Finanzministerium den Börsenjuden, das Ministerium des
Innern den Großgrundbesitzern, jenes des Krieges endlich einigen privilegirten
Ossiziersfamilien an. Dieses wäre aber nicht möglich, wenn die östreichischen
Volksstämme Muth besäßen, sich selber anzugehören, wenn nicht auch sie stets
nach der Fremde schielten, nur durch fremde Hilfe, nicht durch eigene Kraft sich
stärken wollten. Wird nicht der gegenwärtige Augenblick zu einer Agitation
benutzt, welche die Regierung zwingt, endlich einmal östreichisch zu sein, nach¬
dem sie bisher nur großdeutsch, italienisch, russisch, päpstlich gewesen war, wird
nicht insbesondere in dem Ministerium des Aeußern endlich einmal gründlich
aufgeräumt, und aus demselben das Schmarotzergeschlecht vertrieben, wagt nicht
endlich jetzt die Reformpartei auf ihre Fahne einfach aber ehrlich zu schreiben:
Oestreich für Oestreich, so werden die künftigen Geschlechter noch von ganz
anderen Schlägen und Niederlagen Oestreichs zu erzählen wissen, als wir sie
A. S. gegenwärtig schauen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/144>, abgerufen am 22.07.2024.