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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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vollen italienischen Feldzuges glaubte, siebt sich bitter getäuscht. Bei der Ne¬
gierung waltet nach wie vor beschränkte Hartnäckigfeit, falsche Berechnung ihrer
Kräfte, die Scheu vor wahrer Volksthümlichkeit; die Parteien, die beinahe ebenso
viele Stämme bilden, bezeichnet noch immer Wankelmuth, eine kindische Hin¬
gabe an augenblickliche Eindrücke, ein gründliches MißVerständniß ihrer wahren
Interessen. Da und dort sind alle alten Fehler geblieben, zu diesen aber noch
neue hinzugetreten. Die frühere östreichische Regierungspolitik erinnerte an die
Methode der katholischen Kirche. Man konnte mit ihr nicht übereinstimmen, man
durste ihre falsche Grundlage und verwerfliche Richtung verdammen, man blieb
aber immerhin geneigt, ein gewisses vornehmes Auftreten, eine imponirende
Großartigkeit in ihrem ganzen Wesen an ihr zu rühmen und damit manche
Gebrechen zu entschuldigen. Die alte östreichische Regierung wurde vielfach ge¬
haßt, niemals verachtet. Seit 18S9 ist darin ein bedauernswerther Umschwung
eingetreten. Ein heimtückisches, jesuitisch-frömmelndcs Element hat sich in den
Regierungskreisen eingebürgert, ein bis zur Schamlosigkeit grundsatzloses Ver¬
fahren erregt kaum noch Anstoß, die Unbefangenheit im Wechsel der Stand-
punkte ist förmlich zur Gewohnheit geworden. Wir wollen den Grafen Moritz
Esterhazy nicht für diese Wandlung verantwortlich machen, Thatsache ist es,
daß dieselbe mit seinem Eintritt in die Regierung gleichzeitig sich äußerte.
Nicht besser ist es den einzelnen Volkspartcicn ergangen, so weit sich dieselben
in der Presse erkennen lassen. An politischer Reife haben sie nicht gewonnen,
dafür einer beschränkten Selbstsucht und einer ganz unerhörten Frivolität sich
hingegeben. Sie tragen einen schweren Theil der Schuld an dem Mißlingen
des parlamentarischen Experimentes. Daß die Räthe des Kaisers sich nicht
rasch mit dem Reichstagsinstitute befreundeten, war vorauszusehen. Ihnen er¬
schien das Parlament als eine auferlegte herbe Buße für manche Unterlassungs¬
sünden. Desto eifriger mußten die Volksparteien auf die Wahrung und Hebung
des parlamentarischen Ansehens bedacht sein. Sie thaten das Gegentheil. Bald
rechthaberisch, bald durch zudringliche Schmeichelei sich wegwerfend, verloren die
Reichstagsmitglieder schnell allen Einfluß auf die Negierung. Erfuhr man doch
deutlich, daß in den Augen gar mancher Volksvertreter nicht die Ausnahme
ihrer Parteigrundsätze in den Kreis der Negierungsanschauungen, sondern ihre
Persönliche Mitwirkung an der Administration als das bessere Kampfziel galt.

In demselben Grade, als sich die Furcht vor dem Reichstage am Hof min¬
derte, nahm auch die Achtung der Wähler vor ihren Repräsentanten ab. Mit
dem in Oestreich ganz gewöhnlichen Umschlag der Stimmung wurde der Reichs¬
tag, dessen Misston anfangs nicht hoch genug geschätzt werden konnte, später
als eine überflüssige, nutzlose Einrichtung verspottet. Auf seine Thätigkeit durfte
der letztere nicht pochen. Wer für die vollendete Trefflichkeit der Februarver¬
fassung einstand, ärgerte sich, daß die Versammlung vor dem Scholtenthore nicht


vollen italienischen Feldzuges glaubte, siebt sich bitter getäuscht. Bei der Ne¬
gierung waltet nach wie vor beschränkte Hartnäckigfeit, falsche Berechnung ihrer
Kräfte, die Scheu vor wahrer Volksthümlichkeit; die Parteien, die beinahe ebenso
viele Stämme bilden, bezeichnet noch immer Wankelmuth, eine kindische Hin¬
gabe an augenblickliche Eindrücke, ein gründliches MißVerständniß ihrer wahren
Interessen. Da und dort sind alle alten Fehler geblieben, zu diesen aber noch
neue hinzugetreten. Die frühere östreichische Regierungspolitik erinnerte an die
Methode der katholischen Kirche. Man konnte mit ihr nicht übereinstimmen, man
durste ihre falsche Grundlage und verwerfliche Richtung verdammen, man blieb
aber immerhin geneigt, ein gewisses vornehmes Auftreten, eine imponirende
Großartigkeit in ihrem ganzen Wesen an ihr zu rühmen und damit manche
Gebrechen zu entschuldigen. Die alte östreichische Regierung wurde vielfach ge¬
haßt, niemals verachtet. Seit 18S9 ist darin ein bedauernswerther Umschwung
eingetreten. Ein heimtückisches, jesuitisch-frömmelndcs Element hat sich in den
Regierungskreisen eingebürgert, ein bis zur Schamlosigkeit grundsatzloses Ver¬
fahren erregt kaum noch Anstoß, die Unbefangenheit im Wechsel der Stand-
punkte ist förmlich zur Gewohnheit geworden. Wir wollen den Grafen Moritz
Esterhazy nicht für diese Wandlung verantwortlich machen, Thatsache ist es,
daß dieselbe mit seinem Eintritt in die Regierung gleichzeitig sich äußerte.
Nicht besser ist es den einzelnen Volkspartcicn ergangen, so weit sich dieselben
in der Presse erkennen lassen. An politischer Reife haben sie nicht gewonnen,
dafür einer beschränkten Selbstsucht und einer ganz unerhörten Frivolität sich
hingegeben. Sie tragen einen schweren Theil der Schuld an dem Mißlingen
des parlamentarischen Experimentes. Daß die Räthe des Kaisers sich nicht
rasch mit dem Reichstagsinstitute befreundeten, war vorauszusehen. Ihnen er¬
schien das Parlament als eine auferlegte herbe Buße für manche Unterlassungs¬
sünden. Desto eifriger mußten die Volksparteien auf die Wahrung und Hebung
des parlamentarischen Ansehens bedacht sein. Sie thaten das Gegentheil. Bald
rechthaberisch, bald durch zudringliche Schmeichelei sich wegwerfend, verloren die
Reichstagsmitglieder schnell allen Einfluß auf die Negierung. Erfuhr man doch
deutlich, daß in den Augen gar mancher Volksvertreter nicht die Ausnahme
ihrer Parteigrundsätze in den Kreis der Negierungsanschauungen, sondern ihre
Persönliche Mitwirkung an der Administration als das bessere Kampfziel galt.

In demselben Grade, als sich die Furcht vor dem Reichstage am Hof min¬
derte, nahm auch die Achtung der Wähler vor ihren Repräsentanten ab. Mit
dem in Oestreich ganz gewöhnlichen Umschlag der Stimmung wurde der Reichs¬
tag, dessen Misston anfangs nicht hoch genug geschätzt werden konnte, später
als eine überflüssige, nutzlose Einrichtung verspottet. Auf seine Thätigkeit durfte
der letztere nicht pochen. Wer für die vollendete Trefflichkeit der Februarver¬
fassung einstand, ärgerte sich, daß die Versammlung vor dem Scholtenthore nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/141>, abgerufen am 22.07.2024.