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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wie alles so unerwartet gekommen und das furchtbare Schicksal, das sie blitz¬
schnell ereilt, zu fassen. Schwer und peinlich wird für sie die Selbsterkenntniß
sein, sie bleibt aber trotzdem unerläßlich, soll der Krieg nicht zu einer nutzlosen
Menschenschlächterei ausarten.

Es geht nicht an. daß die Oestreicher auch fernerhin nur in der schlechteren
Bewaffnung ihrer Soldaten die Ursache der Niederlage finden. Die Zünd¬
nadelgewehre haben ihre Schuldigkeit gethan, mit der entschieden tüchtigeren
Führung der preußischen Armee haben sie aber nichts zu thun. Noch viel
weniger darf man in Oestreich glauben, das ganze Mißgeschick des Nordhcers
erklären zu können, indem man ein halbes Dutzend Generale für Dummköpfe
oder wohl gar Verräther ausgiebt. Ist denn aus den Oestreichern so sehr alle
Scham und alle Vernunft gewichen, daß sie nicht ahnen, mit welchem Vor¬
wurfe sie ihr eigenes Land belasten, wenn sie Verrath bei den Spitzen ihrer
Aristokratie für möglich halten. Konnte Graf Clam-Gallas. einer der reichsten
und angesehensten Kavaliere Oestreichs, für ein gutes Stück Geld von Preußen
gewonnen werden, konnte Preußen sich die Kenntniß aller östreichischen Kriegs-
Pläne erkaufen, die gesammte Operationskanzlei bestechen, so ist überhaupt die
politische Existenz der Großmacht Oestreich unmöglich. Sitzt der Verrath so
nahe am Throne, wer kann dann noch an die Festigkeit des letzteren glauben.
Die Beschränktheit bei den meisten Heerführern geben wir zu. Noch immer waltet
zwischen Gyulai und Benedek ein großer Unterschied. Gyulai war ein Ge¬
schöpf des Hofes, von seiner Unfähigkeit jedermann, noch ehe er den Tessin über¬
schritten hatte, überzeugt; Benedek ist durch die öffentliche Meinung an die Spitze
des Heeres gerufen und wenn der Unglücksmann sich schließlich für unfehlbar,
für einen wahren Kriegsgott hielt, so durfte er sich auf die gleiche Meinung
aller Oestreicher berufen. Seit sieben Jahren hat jedermann, der eine laute
Stimme in Oestreich besaß, Benedek geschmeichelt, ihn als unbezwingliches
Schwert des Reiches gepriesen, jeden Zweifel an seiner Befähigung dem Hoch¬
verrath gleichgestellt. Alle Parteien in Oestreich hatten Benedek aus den Schild
gehoben, alle gleichmäßig daran gearbeitet, den Dünkel und die Ueberschätzung
in ihm zur üppigsten Entwickelung zu bringen. Geht er jetzt an diesen Eigen¬
schaften zu Grunde, so haben sich die Parteien in Oestreich, die Mehrheit der
Bevölkerung selbst anzuklagen. Sie tragen die Verantwortung des schlechten
Ausganges des Kampfes, sie haben diesen provocirt und ihm den Charakter
des übermüthigen, frechen Spieles aufgedrückt.

Diese Selbsterkenntniß verlangen wir von den Völkern Oestreichs. Sie
ist, wenn auch ein harter, doch der einzig sichere Weg, die neueste Niederlage
für ihr eigenes Land fruchtbarer zu machen, als es die Niederlage bei Solferino
gewesen. Wer an eine tiefere Aenderung im östreichischen Staatswesen, an
eine wirkliche Einkehr und den Aufschwung zum Besseren als Folge des Schmach-


wie alles so unerwartet gekommen und das furchtbare Schicksal, das sie blitz¬
schnell ereilt, zu fassen. Schwer und peinlich wird für sie die Selbsterkenntniß
sein, sie bleibt aber trotzdem unerläßlich, soll der Krieg nicht zu einer nutzlosen
Menschenschlächterei ausarten.

Es geht nicht an. daß die Oestreicher auch fernerhin nur in der schlechteren
Bewaffnung ihrer Soldaten die Ursache der Niederlage finden. Die Zünd¬
nadelgewehre haben ihre Schuldigkeit gethan, mit der entschieden tüchtigeren
Führung der preußischen Armee haben sie aber nichts zu thun. Noch viel
weniger darf man in Oestreich glauben, das ganze Mißgeschick des Nordhcers
erklären zu können, indem man ein halbes Dutzend Generale für Dummköpfe
oder wohl gar Verräther ausgiebt. Ist denn aus den Oestreichern so sehr alle
Scham und alle Vernunft gewichen, daß sie nicht ahnen, mit welchem Vor¬
wurfe sie ihr eigenes Land belasten, wenn sie Verrath bei den Spitzen ihrer
Aristokratie für möglich halten. Konnte Graf Clam-Gallas. einer der reichsten
und angesehensten Kavaliere Oestreichs, für ein gutes Stück Geld von Preußen
gewonnen werden, konnte Preußen sich die Kenntniß aller östreichischen Kriegs-
Pläne erkaufen, die gesammte Operationskanzlei bestechen, so ist überhaupt die
politische Existenz der Großmacht Oestreich unmöglich. Sitzt der Verrath so
nahe am Throne, wer kann dann noch an die Festigkeit des letzteren glauben.
Die Beschränktheit bei den meisten Heerführern geben wir zu. Noch immer waltet
zwischen Gyulai und Benedek ein großer Unterschied. Gyulai war ein Ge¬
schöpf des Hofes, von seiner Unfähigkeit jedermann, noch ehe er den Tessin über¬
schritten hatte, überzeugt; Benedek ist durch die öffentliche Meinung an die Spitze
des Heeres gerufen und wenn der Unglücksmann sich schließlich für unfehlbar,
für einen wahren Kriegsgott hielt, so durfte er sich auf die gleiche Meinung
aller Oestreicher berufen. Seit sieben Jahren hat jedermann, der eine laute
Stimme in Oestreich besaß, Benedek geschmeichelt, ihn als unbezwingliches
Schwert des Reiches gepriesen, jeden Zweifel an seiner Befähigung dem Hoch¬
verrath gleichgestellt. Alle Parteien in Oestreich hatten Benedek aus den Schild
gehoben, alle gleichmäßig daran gearbeitet, den Dünkel und die Ueberschätzung
in ihm zur üppigsten Entwickelung zu bringen. Geht er jetzt an diesen Eigen¬
schaften zu Grunde, so haben sich die Parteien in Oestreich, die Mehrheit der
Bevölkerung selbst anzuklagen. Sie tragen die Verantwortung des schlechten
Ausganges des Kampfes, sie haben diesen provocirt und ihm den Charakter
des übermüthigen, frechen Spieles aufgedrückt.

Diese Selbsterkenntniß verlangen wir von den Völkern Oestreichs. Sie
ist, wenn auch ein harter, doch der einzig sichere Weg, die neueste Niederlage
für ihr eigenes Land fruchtbarer zu machen, als es die Niederlage bei Solferino
gewesen. Wer an eine tiefere Aenderung im östreichischen Staatswesen, an
eine wirkliche Einkehr und den Aufschwung zum Besseren als Folge des Schmach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/140>, abgerufen am 22.07.2024.