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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die Katastrophe in Hannover.

Als König Georg der Fünfte seinem Vater auf dem Thron folgte, war er
ein zurückgesetzter, despotisch behandelter, von aller Theilnahme an den Staats¬
geschäften aufgeschlossener Prinz. Seine Blindheit, die den von seinem Vater
befohlenen wiederholten Operationen nicht hatte weichen wollen, machte ihn
obendrein in nicht geringem Maße von seiner Umgebung abhängig. Trotzdem
hat dieser blinde Fürst es binnen fünfzehn Jahren dahin zu bringen gewußt,
daß gegen ihn schon lange keine noch so bescheidene und wohlmeinende Art von
Widerspruch mehr laut wurde. Nur die unbedingt ergebenen und zu allem
nickenden Diener vermochten sich in seiner Nähe zu behaupten. Andere, selbst
wenn sie so unentbehrlich waren und eine so verantwortliche Stellung ein¬
nahmen wie die den Kammern gegenübergestellten Minister, wurden wochenlang
nicht vorgelassen, wenn man sich irgend unwillkommener Dinge von ihnen ver¬
sah. Ein eigentliches Gesammtministerium gab es ihm gegenüber gar nicht.

Aber diese Uebersteigerung der monarchischen Autorität zur ausgeprägtesten
Alleinherrschaft rächt sich in einem Staat ohne Macht wie Hannover noch viel
leichter und furchtbarer als anderswo. Sie hat bewirkt, daß zuletzt nur noch
gesinnungslose Bureaukraten oder Fachmenschen ohne den mindesten politischen
Blick Minister spielen wollten, während Männer von Charakter und Einsicht
immer weiter vom König zurückwichen. Sie hat ferner bewirkt, daß in dem
gefahrvollsten Augenblick der thörichtste Beschluß gefaßt werden konnte, obwohl
alle ihn verwünschten, weil alle, auch die nüchternen Köpfe in der Regierungs¬
partei, welche einsahen, daß er verhängnißvoll sei. vollständig entwöhnt waren, eine
abweichende Meinung geltend zu machen. Sie hat endlich bewirkt, daß die
Armee sich in einem Zustand von Unschlagfertigkeit befand, als man sie. um
eine halsbrechende Politik doch wenigstens mit Ehren, wenn auch nicht mit
Erfolg durchzuführen, am nothwendigsten und dringendsten brauchte.

Der Krieg zwischen Preußen und Oestreich hat sich so langsam entwickelt
und sein Ausbruch wurde so lange allgemein mit der größten Bestimmtheit vorher-
gcsehe", daß keine deutsche Regierung sagen kann, sie habe nicht die ausreichendste
Zeit gehabt, ihren wirklichen Interessen und Umständen gemäß Partei zu er-


Grmzbotm III. 18S6, ^ 1
Die Katastrophe in Hannover.

Als König Georg der Fünfte seinem Vater auf dem Thron folgte, war er
ein zurückgesetzter, despotisch behandelter, von aller Theilnahme an den Staats¬
geschäften aufgeschlossener Prinz. Seine Blindheit, die den von seinem Vater
befohlenen wiederholten Operationen nicht hatte weichen wollen, machte ihn
obendrein in nicht geringem Maße von seiner Umgebung abhängig. Trotzdem
hat dieser blinde Fürst es binnen fünfzehn Jahren dahin zu bringen gewußt,
daß gegen ihn schon lange keine noch so bescheidene und wohlmeinende Art von
Widerspruch mehr laut wurde. Nur die unbedingt ergebenen und zu allem
nickenden Diener vermochten sich in seiner Nähe zu behaupten. Andere, selbst
wenn sie so unentbehrlich waren und eine so verantwortliche Stellung ein¬
nahmen wie die den Kammern gegenübergestellten Minister, wurden wochenlang
nicht vorgelassen, wenn man sich irgend unwillkommener Dinge von ihnen ver¬
sah. Ein eigentliches Gesammtministerium gab es ihm gegenüber gar nicht.

Aber diese Uebersteigerung der monarchischen Autorität zur ausgeprägtesten
Alleinherrschaft rächt sich in einem Staat ohne Macht wie Hannover noch viel
leichter und furchtbarer als anderswo. Sie hat bewirkt, daß zuletzt nur noch
gesinnungslose Bureaukraten oder Fachmenschen ohne den mindesten politischen
Blick Minister spielen wollten, während Männer von Charakter und Einsicht
immer weiter vom König zurückwichen. Sie hat ferner bewirkt, daß in dem
gefahrvollsten Augenblick der thörichtste Beschluß gefaßt werden konnte, obwohl
alle ihn verwünschten, weil alle, auch die nüchternen Köpfe in der Regierungs¬
partei, welche einsahen, daß er verhängnißvoll sei. vollständig entwöhnt waren, eine
abweichende Meinung geltend zu machen. Sie hat endlich bewirkt, daß die
Armee sich in einem Zustand von Unschlagfertigkeit befand, als man sie. um
eine halsbrechende Politik doch wenigstens mit Ehren, wenn auch nicht mit
Erfolg durchzuführen, am nothwendigsten und dringendsten brauchte.

Der Krieg zwischen Preußen und Oestreich hat sich so langsam entwickelt
und sein Ausbruch wurde so lange allgemein mit der größten Bestimmtheit vorher-
gcsehe», daß keine deutsche Regierung sagen kann, sie habe nicht die ausreichendste
Zeit gehabt, ihren wirklichen Interessen und Umständen gemäß Partei zu er-


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[0011] Die Katastrophe in Hannover. Als König Georg der Fünfte seinem Vater auf dem Thron folgte, war er ein zurückgesetzter, despotisch behandelter, von aller Theilnahme an den Staats¬ geschäften aufgeschlossener Prinz. Seine Blindheit, die den von seinem Vater befohlenen wiederholten Operationen nicht hatte weichen wollen, machte ihn obendrein in nicht geringem Maße von seiner Umgebung abhängig. Trotzdem hat dieser blinde Fürst es binnen fünfzehn Jahren dahin zu bringen gewußt, daß gegen ihn schon lange keine noch so bescheidene und wohlmeinende Art von Widerspruch mehr laut wurde. Nur die unbedingt ergebenen und zu allem nickenden Diener vermochten sich in seiner Nähe zu behaupten. Andere, selbst wenn sie so unentbehrlich waren und eine so verantwortliche Stellung ein¬ nahmen wie die den Kammern gegenübergestellten Minister, wurden wochenlang nicht vorgelassen, wenn man sich irgend unwillkommener Dinge von ihnen ver¬ sah. Ein eigentliches Gesammtministerium gab es ihm gegenüber gar nicht. Aber diese Uebersteigerung der monarchischen Autorität zur ausgeprägtesten Alleinherrschaft rächt sich in einem Staat ohne Macht wie Hannover noch viel leichter und furchtbarer als anderswo. Sie hat bewirkt, daß zuletzt nur noch gesinnungslose Bureaukraten oder Fachmenschen ohne den mindesten politischen Blick Minister spielen wollten, während Männer von Charakter und Einsicht immer weiter vom König zurückwichen. Sie hat ferner bewirkt, daß in dem gefahrvollsten Augenblick der thörichtste Beschluß gefaßt werden konnte, obwohl alle ihn verwünschten, weil alle, auch die nüchternen Köpfe in der Regierungs¬ partei, welche einsahen, daß er verhängnißvoll sei. vollständig entwöhnt waren, eine abweichende Meinung geltend zu machen. Sie hat endlich bewirkt, daß die Armee sich in einem Zustand von Unschlagfertigkeit befand, als man sie. um eine halsbrechende Politik doch wenigstens mit Ehren, wenn auch nicht mit Erfolg durchzuführen, am nothwendigsten und dringendsten brauchte. Der Krieg zwischen Preußen und Oestreich hat sich so langsam entwickelt und sein Ausbruch wurde so lange allgemein mit der größten Bestimmtheit vorher- gcsehe», daß keine deutsche Regierung sagen kann, sie habe nicht die ausreichendste Zeit gehabt, ihren wirklichen Interessen und Umständen gemäß Partei zu er- Grmzbotm III. 18S6, ^ 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/11>, abgerufen am 03.07.2024.