Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

religiöser Gemeinschaften. Allein auch hier sind aus der Apostelgeschichte die
allerverdächtigsten Züge als historisch aufgenommen, und wir möchten rathen,
diese Abschnitte nicht zu lesen, ohne Zelters "Apostelgeschichte" als fortlaufenden
Kommentar zu benutzen. Charakteristisch ist, wie die mythische Erzählung vom
ersten Pfingstfest wieder echt rationalistisch mit Hilfe eines Gewitters erklärt
wird. "Eines Tages, als die Brüder vereinigt waren, brach ein Gewitter los.
Ein heftiger Wind öffnete die Fenster; der Himmel stand in Feuer. Die Ge¬
witter in jenen Gegenden werden von einer gewaltigen Entwickelung des Lichts
begleitet; die Atmosphäre ist wie von allen Seiten von feurigen Garben durch¬
furcht. Sei es, daß die elektrische Flüssigkeit in das Zimmer selbst gedrungen,
sei es. daß ein leuchtinder Blitz Plötzlich das Gesicht aller erhellt hatte, man
war überzeugt, daß der Geist hereingetreten war und sich auf das Haupt eines
jeden in Gestalt von Feuerflammen niedergelassen habe."

Näher treten wir dem Gebiet der Geschichte, wenn Renan die Verbreitung
des Evangeliums unter griechischen Juden und Proselyten schildert, damit die
Keime des Conflicts zwischen einer freisinnigeren und einer jüdisch gebundeneren
Partei andeutet und dann zur Lebensgeschichte des Paulus übergeht. Hier ge¬
winnt die Darstellung den festen Boden der Geschichte. Bei der Bekehrung
des Paulus bekommen wir freilich abermals ein Stückchen des unverbesserlichen
Rationalismus zum Besten. Renan faßt diese Bekehrung ganz richtig als einen
inneren Vorgang und motivirt sie in ähnlicher Weise, wie andere neuere Schrift¬
steller. Aber dies genügt ihm nicht; die sagenhaften Züge, durch welche der
Vorgang später materialisirt worden ist, sind für ihn viel zu verlockend, und so
bietet er denn einen höchst mannigfaltigen Apparat auf, um die Scene von
Damascus gehörig auszuschmücken; vor allem eine Augenentzündung, ein bös¬
artiges Fieber, herbeigeführt durch die Anstrengung der Fußreise, ein heftiger
Blutandrang nach dem Gehirn, ein Sonnenstich, kurz ein furchtbarer betäuben¬
der Krankheitsanfall; dazu stellt er noch ein plötzliches Gewitter zur Verfügung,
einen Blitz, der ein langes Geblendetsein herbeiführt -- ein ganzes Ar¬
senal von Motiven, das den Vorfall so anschaulich und natürlich als möglich
machen soll, in Wahrheit ihn wieder ganz in das Gebiet des Mythus-zu¬
rückwirft.

Zur Charakteristik des Heidenapostels verwendet Renan ziemlich grelle
Farben. Er hat eine besondere Vorliebe für das Weibliche, das Weiche, das
Naive, seine Ideale sind die Weiber von Galiläa mit ihrer Hingebung und
ihrem Enthusiasmus, und nicht genug kann er bedauern, daß sie so früh ans
der Geschichte verschwinden, undankbar zurückgedrängt durch Petrus und die
anderen Jünger. Das Männliche, Schroffe, Heftige im Charakter des Paulus
ist ihm ebenso wenig sympathisch, als dessen Neigung zu den Spitzfindigkeiten
des Dogma. Doch giebt er der Bedeutung des Paulus für die Entwickelung


religiöser Gemeinschaften. Allein auch hier sind aus der Apostelgeschichte die
allerverdächtigsten Züge als historisch aufgenommen, und wir möchten rathen,
diese Abschnitte nicht zu lesen, ohne Zelters „Apostelgeschichte" als fortlaufenden
Kommentar zu benutzen. Charakteristisch ist, wie die mythische Erzählung vom
ersten Pfingstfest wieder echt rationalistisch mit Hilfe eines Gewitters erklärt
wird. „Eines Tages, als die Brüder vereinigt waren, brach ein Gewitter los.
Ein heftiger Wind öffnete die Fenster; der Himmel stand in Feuer. Die Ge¬
witter in jenen Gegenden werden von einer gewaltigen Entwickelung des Lichts
begleitet; die Atmosphäre ist wie von allen Seiten von feurigen Garben durch¬
furcht. Sei es, daß die elektrische Flüssigkeit in das Zimmer selbst gedrungen,
sei es. daß ein leuchtinder Blitz Plötzlich das Gesicht aller erhellt hatte, man
war überzeugt, daß der Geist hereingetreten war und sich auf das Haupt eines
jeden in Gestalt von Feuerflammen niedergelassen habe."

Näher treten wir dem Gebiet der Geschichte, wenn Renan die Verbreitung
des Evangeliums unter griechischen Juden und Proselyten schildert, damit die
Keime des Conflicts zwischen einer freisinnigeren und einer jüdisch gebundeneren
Partei andeutet und dann zur Lebensgeschichte des Paulus übergeht. Hier ge¬
winnt die Darstellung den festen Boden der Geschichte. Bei der Bekehrung
des Paulus bekommen wir freilich abermals ein Stückchen des unverbesserlichen
Rationalismus zum Besten. Renan faßt diese Bekehrung ganz richtig als einen
inneren Vorgang und motivirt sie in ähnlicher Weise, wie andere neuere Schrift¬
steller. Aber dies genügt ihm nicht; die sagenhaften Züge, durch welche der
Vorgang später materialisirt worden ist, sind für ihn viel zu verlockend, und so
bietet er denn einen höchst mannigfaltigen Apparat auf, um die Scene von
Damascus gehörig auszuschmücken; vor allem eine Augenentzündung, ein bös¬
artiges Fieber, herbeigeführt durch die Anstrengung der Fußreise, ein heftiger
Blutandrang nach dem Gehirn, ein Sonnenstich, kurz ein furchtbarer betäuben¬
der Krankheitsanfall; dazu stellt er noch ein plötzliches Gewitter zur Verfügung,
einen Blitz, der ein langes Geblendetsein herbeiführt — ein ganzes Ar¬
senal von Motiven, das den Vorfall so anschaulich und natürlich als möglich
machen soll, in Wahrheit ihn wieder ganz in das Gebiet des Mythus-zu¬
rückwirft.

Zur Charakteristik des Heidenapostels verwendet Renan ziemlich grelle
Farben. Er hat eine besondere Vorliebe für das Weibliche, das Weiche, das
Naive, seine Ideale sind die Weiber von Galiläa mit ihrer Hingebung und
ihrem Enthusiasmus, und nicht genug kann er bedauern, daß sie so früh ans
der Geschichte verschwinden, undankbar zurückgedrängt durch Petrus und die
anderen Jünger. Das Männliche, Schroffe, Heftige im Charakter des Paulus
ist ihm ebenso wenig sympathisch, als dessen Neigung zu den Spitzfindigkeiten
des Dogma. Doch giebt er der Bedeutung des Paulus für die Entwickelung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285697"/>
          <p xml:id="ID_324" prev="#ID_323"> religiöser Gemeinschaften. Allein auch hier sind aus der Apostelgeschichte die<lb/>
allerverdächtigsten Züge als historisch aufgenommen, und wir möchten rathen,<lb/>
diese Abschnitte nicht zu lesen, ohne Zelters &#x201E;Apostelgeschichte" als fortlaufenden<lb/>
Kommentar zu benutzen. Charakteristisch ist, wie die mythische Erzählung vom<lb/>
ersten Pfingstfest wieder echt rationalistisch mit Hilfe eines Gewitters erklärt<lb/>
wird. &#x201E;Eines Tages, als die Brüder vereinigt waren, brach ein Gewitter los.<lb/>
Ein heftiger Wind öffnete die Fenster; der Himmel stand in Feuer. Die Ge¬<lb/>
witter in jenen Gegenden werden von einer gewaltigen Entwickelung des Lichts<lb/>
begleitet; die Atmosphäre ist wie von allen Seiten von feurigen Garben durch¬<lb/>
furcht. Sei es, daß die elektrische Flüssigkeit in das Zimmer selbst gedrungen,<lb/>
sei es. daß ein leuchtinder Blitz Plötzlich das Gesicht aller erhellt hatte, man<lb/>
war überzeugt, daß der Geist hereingetreten war und sich auf das Haupt eines<lb/>
jeden in Gestalt von Feuerflammen niedergelassen habe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_325"> Näher treten wir dem Gebiet der Geschichte, wenn Renan die Verbreitung<lb/>
des Evangeliums unter griechischen Juden und Proselyten schildert, damit die<lb/>
Keime des Conflicts zwischen einer freisinnigeren und einer jüdisch gebundeneren<lb/>
Partei andeutet und dann zur Lebensgeschichte des Paulus übergeht. Hier ge¬<lb/>
winnt die Darstellung den festen Boden der Geschichte. Bei der Bekehrung<lb/>
des Paulus bekommen wir freilich abermals ein Stückchen des unverbesserlichen<lb/>
Rationalismus zum Besten. Renan faßt diese Bekehrung ganz richtig als einen<lb/>
inneren Vorgang und motivirt sie in ähnlicher Weise, wie andere neuere Schrift¬<lb/>
steller. Aber dies genügt ihm nicht; die sagenhaften Züge, durch welche der<lb/>
Vorgang später materialisirt worden ist, sind für ihn viel zu verlockend, und so<lb/>
bietet er denn einen höchst mannigfaltigen Apparat auf, um die Scene von<lb/>
Damascus gehörig auszuschmücken; vor allem eine Augenentzündung, ein bös¬<lb/>
artiges Fieber, herbeigeführt durch die Anstrengung der Fußreise, ein heftiger<lb/>
Blutandrang nach dem Gehirn, ein Sonnenstich, kurz ein furchtbarer betäuben¬<lb/>
der Krankheitsanfall; dazu stellt er noch ein plötzliches Gewitter zur Verfügung,<lb/>
einen Blitz, der ein langes Geblendetsein herbeiführt &#x2014; ein ganzes Ar¬<lb/>
senal von Motiven, das den Vorfall so anschaulich und natürlich als möglich<lb/>
machen soll, in Wahrheit ihn wieder ganz in das Gebiet des Mythus-zu¬<lb/>
rückwirft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_326" next="#ID_327"> Zur Charakteristik des Heidenapostels verwendet Renan ziemlich grelle<lb/>
Farben. Er hat eine besondere Vorliebe für das Weibliche, das Weiche, das<lb/>
Naive, seine Ideale sind die Weiber von Galiläa mit ihrer Hingebung und<lb/>
ihrem Enthusiasmus, und nicht genug kann er bedauern, daß sie so früh ans<lb/>
der Geschichte verschwinden, undankbar zurückgedrängt durch Petrus und die<lb/>
anderen Jünger. Das Männliche, Schroffe, Heftige im Charakter des Paulus<lb/>
ist ihm ebenso wenig sympathisch, als dessen Neigung zu den Spitzfindigkeiten<lb/>
des Dogma. Doch giebt er der Bedeutung des Paulus für die Entwickelung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] religiöser Gemeinschaften. Allein auch hier sind aus der Apostelgeschichte die allerverdächtigsten Züge als historisch aufgenommen, und wir möchten rathen, diese Abschnitte nicht zu lesen, ohne Zelters „Apostelgeschichte" als fortlaufenden Kommentar zu benutzen. Charakteristisch ist, wie die mythische Erzählung vom ersten Pfingstfest wieder echt rationalistisch mit Hilfe eines Gewitters erklärt wird. „Eines Tages, als die Brüder vereinigt waren, brach ein Gewitter los. Ein heftiger Wind öffnete die Fenster; der Himmel stand in Feuer. Die Ge¬ witter in jenen Gegenden werden von einer gewaltigen Entwickelung des Lichts begleitet; die Atmosphäre ist wie von allen Seiten von feurigen Garben durch¬ furcht. Sei es, daß die elektrische Flüssigkeit in das Zimmer selbst gedrungen, sei es. daß ein leuchtinder Blitz Plötzlich das Gesicht aller erhellt hatte, man war überzeugt, daß der Geist hereingetreten war und sich auf das Haupt eines jeden in Gestalt von Feuerflammen niedergelassen habe." Näher treten wir dem Gebiet der Geschichte, wenn Renan die Verbreitung des Evangeliums unter griechischen Juden und Proselyten schildert, damit die Keime des Conflicts zwischen einer freisinnigeren und einer jüdisch gebundeneren Partei andeutet und dann zur Lebensgeschichte des Paulus übergeht. Hier ge¬ winnt die Darstellung den festen Boden der Geschichte. Bei der Bekehrung des Paulus bekommen wir freilich abermals ein Stückchen des unverbesserlichen Rationalismus zum Besten. Renan faßt diese Bekehrung ganz richtig als einen inneren Vorgang und motivirt sie in ähnlicher Weise, wie andere neuere Schrift¬ steller. Aber dies genügt ihm nicht; die sagenhaften Züge, durch welche der Vorgang später materialisirt worden ist, sind für ihn viel zu verlockend, und so bietet er denn einen höchst mannigfaltigen Apparat auf, um die Scene von Damascus gehörig auszuschmücken; vor allem eine Augenentzündung, ein bös¬ artiges Fieber, herbeigeführt durch die Anstrengung der Fußreise, ein heftiger Blutandrang nach dem Gehirn, ein Sonnenstich, kurz ein furchtbarer betäuben¬ der Krankheitsanfall; dazu stellt er noch ein plötzliches Gewitter zur Verfügung, einen Blitz, der ein langes Geblendetsein herbeiführt — ein ganzes Ar¬ senal von Motiven, das den Vorfall so anschaulich und natürlich als möglich machen soll, in Wahrheit ihn wieder ganz in das Gebiet des Mythus-zu¬ rückwirft. Zur Charakteristik des Heidenapostels verwendet Renan ziemlich grelle Farben. Er hat eine besondere Vorliebe für das Weibliche, das Weiche, das Naive, seine Ideale sind die Weiber von Galiläa mit ihrer Hingebung und ihrem Enthusiasmus, und nicht genug kann er bedauern, daß sie so früh ans der Geschichte verschwinden, undankbar zurückgedrängt durch Petrus und die anderen Jünger. Das Männliche, Schroffe, Heftige im Charakter des Paulus ist ihm ebenso wenig sympathisch, als dessen Neigung zu den Spitzfindigkeiten des Dogma. Doch giebt er der Bedeutung des Paulus für die Entwickelung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/109>, abgerufen am 02.07.2024.