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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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boxen. die schon im Leben Jesu besonders anstößig gewesen sind, z. B.: "Der
Ruhm der Auferstehung gehört der Maria von Magdala. Nach Jesus ist es
Maria, welche das Meiste für die Begründung des Christenthums gethan hat."
Oder später: "In solchen entscheidenden Stunden bestimmen ein Luftzug, ein
klappendes Fenster, ein zufälliges Gemurmel den Glauben der Völker auf
Jahrhunderte." Aber auch wieder treffende Bemerkungen, so z. B. was über
die Ansteckung religiöser Erscheinungen gesagt ist oder über die Anfänge jener
Seelenstimmung, die er als wetteifernde Ueberbietung in der Kraft des Glau¬
bens beschreibt: "Das Verdienst bestand jetzt darin, zu glauben, ohne gesehen
zu haben; der Glaube um jeden Preis, der freiwillig bis zur Thorheit gehende
Glaube war zur ersten Seelengabe hinaufgeschraubt. Das Oroäo quia ad-
Luräum fleht nun festbegründet da; das Gesetz der christlichen Dogmen soll ein
ungewöhnlicher Fortschritt werden, der vor keiner Unmöglichkeit stillstehen wird.
Eine Art ritterlichen Gefühls wird niemals zugeben, rückwärts zu blicken. Die
der Frömmigkeit theuersten Glaubenssätze, die, an welche sie sich mit aller
Kraft anklammern wird, werden die der Vernunft am meisten widerstrebenden,
infolge jener rührenden Idee, daß der sittliche Werth des Glaubens im Ver¬
hältniß der Schwierigkeit zu glauben zunimmt, und daß man keinen Beweis
der Liebe giebt, wenn man annimmt, was klar ist."

Jene Visionen wiederholen sich in Galiläa, wohin sich die Jünger mit der
Gewißheit begeben, den Meister wiederzusehen. Auch hier liefert die Sage wie¬
der die einzelnsten Züge, und je deutlicher und materieller dieses Traumleben mit
dem "heißgeliebten Phantom" geschildert ist, um so unvermeidlicher ist wirklich
der Eindruck des Spuk- und Gespensterhaften. Tage und Monate lang dauert
"dieser große und melancholische Traum", "diese ununterbrochenen und mit dem
geliebten Todten erneuerten Unterhaltungen". Eine dieser Visionen ist diejenige,
die später zur Scene der Himmelfahrt ausgebildet worden ist: "Die Lust auf
jenen Höhen ist reich an seltsamen Spiegelungen." Von da sangen die Er¬
scheinungen an schwächer zu werden, es erwacht der Drang, ins Leben zurück¬
zukehren und von Jesus zu predigen, die Jünger wenden sich wieder nach
Jerusalem. Und indem die Visionen jetzt seltener werden, wirft sich die Phan¬
tasiethätigkeit der Jünger auf das Herabsteigen des Geistes und seine Gaben,
die Mythenbildung aus die Himmelfahrt Jesu und sein Wiederkommen. Jetzt,
da auch "das zweite galiläische Leben" zu Ende, verabschiedet sich Renan mit
einem Nachruf von ausgesuchter Geschmacklosigkeit von Jesus, der das Göttliche
von der Erde mitgenommen hat. auf seiner Wolke erhoben uns allein mit
Menschen zurückläßt, "und, o Himmel, wie schwer ist nicht der Sturz!"

In den nächsten Capiteln folgt die Schilderung der ersten Gemeinde, ihrer
Ausbreitung, ihrer Organisation. Wir begegnen hier interessanten Parallelen,
theils aus der gleichzeitigen Profangeschichte, theils aus der Geschichte ähnlicher


boxen. die schon im Leben Jesu besonders anstößig gewesen sind, z. B.: „Der
Ruhm der Auferstehung gehört der Maria von Magdala. Nach Jesus ist es
Maria, welche das Meiste für die Begründung des Christenthums gethan hat."
Oder später: „In solchen entscheidenden Stunden bestimmen ein Luftzug, ein
klappendes Fenster, ein zufälliges Gemurmel den Glauben der Völker auf
Jahrhunderte." Aber auch wieder treffende Bemerkungen, so z. B. was über
die Ansteckung religiöser Erscheinungen gesagt ist oder über die Anfänge jener
Seelenstimmung, die er als wetteifernde Ueberbietung in der Kraft des Glau¬
bens beschreibt: „Das Verdienst bestand jetzt darin, zu glauben, ohne gesehen
zu haben; der Glaube um jeden Preis, der freiwillig bis zur Thorheit gehende
Glaube war zur ersten Seelengabe hinaufgeschraubt. Das Oroäo quia ad-
Luräum fleht nun festbegründet da; das Gesetz der christlichen Dogmen soll ein
ungewöhnlicher Fortschritt werden, der vor keiner Unmöglichkeit stillstehen wird.
Eine Art ritterlichen Gefühls wird niemals zugeben, rückwärts zu blicken. Die
der Frömmigkeit theuersten Glaubenssätze, die, an welche sie sich mit aller
Kraft anklammern wird, werden die der Vernunft am meisten widerstrebenden,
infolge jener rührenden Idee, daß der sittliche Werth des Glaubens im Ver¬
hältniß der Schwierigkeit zu glauben zunimmt, und daß man keinen Beweis
der Liebe giebt, wenn man annimmt, was klar ist."

Jene Visionen wiederholen sich in Galiläa, wohin sich die Jünger mit der
Gewißheit begeben, den Meister wiederzusehen. Auch hier liefert die Sage wie¬
der die einzelnsten Züge, und je deutlicher und materieller dieses Traumleben mit
dem „heißgeliebten Phantom" geschildert ist, um so unvermeidlicher ist wirklich
der Eindruck des Spuk- und Gespensterhaften. Tage und Monate lang dauert
„dieser große und melancholische Traum", „diese ununterbrochenen und mit dem
geliebten Todten erneuerten Unterhaltungen". Eine dieser Visionen ist diejenige,
die später zur Scene der Himmelfahrt ausgebildet worden ist: „Die Lust auf
jenen Höhen ist reich an seltsamen Spiegelungen." Von da sangen die Er¬
scheinungen an schwächer zu werden, es erwacht der Drang, ins Leben zurück¬
zukehren und von Jesus zu predigen, die Jünger wenden sich wieder nach
Jerusalem. Und indem die Visionen jetzt seltener werden, wirft sich die Phan¬
tasiethätigkeit der Jünger auf das Herabsteigen des Geistes und seine Gaben,
die Mythenbildung aus die Himmelfahrt Jesu und sein Wiederkommen. Jetzt,
da auch „das zweite galiläische Leben" zu Ende, verabschiedet sich Renan mit
einem Nachruf von ausgesuchter Geschmacklosigkeit von Jesus, der das Göttliche
von der Erde mitgenommen hat. auf seiner Wolke erhoben uns allein mit
Menschen zurückläßt, „und, o Himmel, wie schwer ist nicht der Sturz!"

In den nächsten Capiteln folgt die Schilderung der ersten Gemeinde, ihrer
Ausbreitung, ihrer Organisation. Wir begegnen hier interessanten Parallelen,
theils aus der gleichzeitigen Profangeschichte, theils aus der Geschichte ähnlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/108>, abgerufen am 30.06.2024.