Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.liebes Gefühl setzt, das diese Impietät des Dichters gegen seinen Fallstaff ver¬ Gegenüber der idealisirenden Behandlung Shakespeares, die ihn über alle So schätzbare Beiträge zur Kenntniß von Dichterwerken in der Kenntniß liebes Gefühl setzt, das diese Impietät des Dichters gegen seinen Fallstaff ver¬ Gegenüber der idealisirenden Behandlung Shakespeares, die ihn über alle So schätzbare Beiträge zur Kenntniß von Dichterwerken in der Kenntniß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285082"/> <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> liebes Gefühl setzt, das diese Impietät des Dichters gegen seinen Fallstaff ver¬<lb/> urtheilt, oder wenn er die angebliche Befähigung Shakespeares zum „wählens-<lb/> würdigsten sittlichen Führer der Menschheit" S. 167 ff. auf ihr bescheidenes<lb/> Maß zurückführt. Nur sollte bei der letzteren Erörterung die poetische Ge¬<lb/> rechtigkeit, der Glaube an eine sittliche Weltordnung, die Herr Rümelin im<lb/> Gegensatz zu Gervinus von unserem Dichter weder verlangt, noch in ihm findet,<lb/> doch mindestens so weit als dramatisches Erforderniß und shakespearesche Leistung<lb/> anerkannt sein, als dieselbe wenigstens den Sieg der Sache der Tugend und<lb/> die Niederlage der Sache der Schlechtigkeit in sich schließt; „ein blos unbe¬<lb/> fangner Blick in das Weltleben" und das demgemäße Wechselnlassen zwischen<lb/> Vergeltung und Nichtv.ergeltung bei Austheilung der menschlichen Schicksale<lb/> würde nie den großen Tragiker möglich machen. Es verhält sich so. daß auch<lb/> in dem Weltlauf eine Gerechtigkeit waltet, nur daß dieselbe in ihren einzelnen<lb/> Acten auseinandergezogen ist, die gute Sache, die in einem Huß unterlegen ist,<lb/> ein Jahrhundert braucht, um in Luther zu siegen. Dem Tragiker kommt es zu,<lb/> das im Weltgange oft Auseinanderliegende zusammenzustellen, und es ließe sich<lb/> unschwer in den shakespeareschen Dramen nachweisen, daß solches in ihnen ge¬<lb/> schehen ist, wie es unumgänglich geschehen mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_93"> Gegenüber der idealisirenden Behandlung Shakespeares, die ihn über alle<lb/> zeitliche und räumliche Bedingungen hinausstellt und darum zu den subjcctivsten,<lb/> bodenlosesten, weitest auseinandergehenden Urtheilen über Sinn und Richtung<lb/> des Dichters und seiner Dichtungen gefühlt hat, setzt sich Herr Rümelin die<lb/> Aufgabe, die zeitlichen Bedingungen seines Werdens und seines Schaffens mög¬<lb/> lichst zu ergründen, und es von hier aus zu einer unbefangenen Erklärung seiner<lb/> Producte zu bringen. Der Stoff hierzu wird in den Abschnitten. I. Die Stellung<lb/> der englischen Bühne zu Shakespeares Zeit. II. Shakespeares Stellung zu seinen<lb/> Zeitgenossen. IV. Für wen dichtete er? X. Seine Individualität und Bildungs¬<lb/> gang beigebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> So schätzbare Beiträge zur Kenntniß von Dichterwerken in der Kenntniß<lb/> eines Dichterlebens liegen und im vorliegenden Falle hier und da auch<lb/> geliefert worden sein mögen, so viel Raum ist bei der Lückenhaftigkeit der<lb/> hier in Frage stehenden Biographie und bei der so leicht an diesem Orte<lb/> obwaltenden Versuchung, rasche Schlüsse zu ziehen, für eine subjective, nicht<lb/> immer gründliche Betrachtungsweise dichterischer Erzeugnisse gegeben. Man<lb/> sehnt sich unwillkürlich nach einer Ergänzung der biographischen Behandlung<lb/> und Erklärung poetischer Schöpfungen durch eine objectivere, sachlichere, wie sie<lb/> z. B. von Gervinus. mit Zuhilfenahme tieferer psychologischer ethischer Ma߬<lb/> stäbe, aus den Werken selber unternommen wird. Die nachtheiligen Folgen<lb/> der pragmatisirenden Erklärungsweise hat in unserem Buche vor allen Hamlet,<lb/> dann aber auch Shakespeare selber zu büßen. So sehr man dem Verfasser zu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
liebes Gefühl setzt, das diese Impietät des Dichters gegen seinen Fallstaff ver¬
urtheilt, oder wenn er die angebliche Befähigung Shakespeares zum „wählens-
würdigsten sittlichen Führer der Menschheit" S. 167 ff. auf ihr bescheidenes
Maß zurückführt. Nur sollte bei der letzteren Erörterung die poetische Ge¬
rechtigkeit, der Glaube an eine sittliche Weltordnung, die Herr Rümelin im
Gegensatz zu Gervinus von unserem Dichter weder verlangt, noch in ihm findet,
doch mindestens so weit als dramatisches Erforderniß und shakespearesche Leistung
anerkannt sein, als dieselbe wenigstens den Sieg der Sache der Tugend und
die Niederlage der Sache der Schlechtigkeit in sich schließt; „ein blos unbe¬
fangner Blick in das Weltleben" und das demgemäße Wechselnlassen zwischen
Vergeltung und Nichtv.ergeltung bei Austheilung der menschlichen Schicksale
würde nie den großen Tragiker möglich machen. Es verhält sich so. daß auch
in dem Weltlauf eine Gerechtigkeit waltet, nur daß dieselbe in ihren einzelnen
Acten auseinandergezogen ist, die gute Sache, die in einem Huß unterlegen ist,
ein Jahrhundert braucht, um in Luther zu siegen. Dem Tragiker kommt es zu,
das im Weltgange oft Auseinanderliegende zusammenzustellen, und es ließe sich
unschwer in den shakespeareschen Dramen nachweisen, daß solches in ihnen ge¬
schehen ist, wie es unumgänglich geschehen mußte.
Gegenüber der idealisirenden Behandlung Shakespeares, die ihn über alle
zeitliche und räumliche Bedingungen hinausstellt und darum zu den subjcctivsten,
bodenlosesten, weitest auseinandergehenden Urtheilen über Sinn und Richtung
des Dichters und seiner Dichtungen gefühlt hat, setzt sich Herr Rümelin die
Aufgabe, die zeitlichen Bedingungen seines Werdens und seines Schaffens mög¬
lichst zu ergründen, und es von hier aus zu einer unbefangenen Erklärung seiner
Producte zu bringen. Der Stoff hierzu wird in den Abschnitten. I. Die Stellung
der englischen Bühne zu Shakespeares Zeit. II. Shakespeares Stellung zu seinen
Zeitgenossen. IV. Für wen dichtete er? X. Seine Individualität und Bildungs¬
gang beigebracht.
So schätzbare Beiträge zur Kenntniß von Dichterwerken in der Kenntniß
eines Dichterlebens liegen und im vorliegenden Falle hier und da auch
geliefert worden sein mögen, so viel Raum ist bei der Lückenhaftigkeit der
hier in Frage stehenden Biographie und bei der so leicht an diesem Orte
obwaltenden Versuchung, rasche Schlüsse zu ziehen, für eine subjective, nicht
immer gründliche Betrachtungsweise dichterischer Erzeugnisse gegeben. Man
sehnt sich unwillkürlich nach einer Ergänzung der biographischen Behandlung
und Erklärung poetischer Schöpfungen durch eine objectivere, sachlichere, wie sie
z. B. von Gervinus. mit Zuhilfenahme tieferer psychologischer ethischer Ma߬
stäbe, aus den Werken selber unternommen wird. Die nachtheiligen Folgen
der pragmatisirenden Erklärungsweise hat in unserem Buche vor allen Hamlet,
dann aber auch Shakespeare selber zu büßen. So sehr man dem Verfasser zu-
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