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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der er den Senatoren einige neue Rechte einräumte. Die Regierung brachte den
Antrag auf eine Anleihe von 40 Millionen Piaster ein. Trotz lauter Klage
der Opposition kam eine Adresse voll Ergebenheitsphrasen zu Stande, aber von
den 40 Millionen wurden nur sechs bewilligt.

Inzwischen hatte sich eine neue Verschwörung gebildet, an welcher die ein¬
flußreichsten Parteiführer, namentlich mehre Großbojaren, betheiligt waren, und
die auch den größten Theil der Garnison von Bukarest gewonnen hatte. Der
Fürst ahnte nichts davon. Am 9. Februar hatte er noch einmal Gelegenheit,
seine Neigung zu Ministerwechseln zu befriedigen. In der Nacht vom 22. auf
den 23. brach die Revolution aus und endete ohne Blutvergießen mit der Ge¬
fangennahme und der Abdankung des Fürsten. Charakteristisch ist, in welcher
Situation die Verschworenen ihn, als sie in seinen Palast kamen, antrafen.
Sie geriethen zuerst in das Zimmer seines Bruders, der vollständig betrunken
auf dem Boden lag. Dann vor das rechte Gemach gelangt, fanden sie es ver¬
riegelt, und als geöffnet wurde, schien der Bewohner vorzüglich deshalb in Ver¬
legenheit zu sein, weil er eine Dame in tiefem Neglig6 zum Besuch hatte. Am
Tage nach seiner Abdankung ließ man ihn unter Eskorte nach Kronstäbe ab¬
reisen. Das Volk war damit ungefähr ebenso zufrieden, wie es Anfangs mit Cusas
Staatsstreich zufrieden gewesen war. Es ist in Rumänien noch keine Macht.
Die Geschicke des Landes sind hier noch fast allein in den Händen der Bojaren,
der höheren Beamten und des Militärs. Das zeigt schon die Zusammensetzung
der provisorischen Negierung, die seitdem die Angelegenheiten geleitet hat, und
ihres Ministeriums. Die Herren sind sämmtlich Bojaren, zwei davon aus der
alten Hospodarenfamilie der Ghika. zwei andere höhere Offiziere.

Das Weitere ist den Lesern in frischer Erinnerung, aber großentheils noch
nicht recht aufgeklärt, am wenigsten der Schritt des Prinzen von Hohenzollern.
der die ihm von der allgemeinen Volksabstimmung dargebotene Krone annahm,
und die Stellung Rußlands zu der Frage. Rumänien könnte unter einem be¬
deutenden Fürsten sich zu einem stattlichen Staat herausbilden. Aber die
Schwierigkeiten, denen der neue Fürst schon im Innern gegenübersteht, sind
heute eher größer als zur Zeit der Erwählung Cusas. Das Land umfaßt 2197
Quadratmeilen, ist also fast so groß als Bayern, Würtemberg, Baden und
Hessen-Darmstadt zusammengenommen, und Lage und Boden sind nicht ungünstig
für ein rasches Wachsthum der Bevölkerung und des Nationalreichthums. Al'er
die letztere beträgt jetzt noch nicht vier Millionen Köpfe, die Staatsschuld be-
läuft sich auf 283 Millionen Piaster, d. h. ungefähr auf 28 V- Million Gulden,
und den Augiasstall des gesellschaftlichen Lebens, den wir zu Anfang schilderten,
zu reinigen, bedarf es eines Herkules an Energie und eines Stroms moralischer
Kraft so breit und tief wie die das Land bespülende Donau.




der er den Senatoren einige neue Rechte einräumte. Die Regierung brachte den
Antrag auf eine Anleihe von 40 Millionen Piaster ein. Trotz lauter Klage
der Opposition kam eine Adresse voll Ergebenheitsphrasen zu Stande, aber von
den 40 Millionen wurden nur sechs bewilligt.

Inzwischen hatte sich eine neue Verschwörung gebildet, an welcher die ein¬
flußreichsten Parteiführer, namentlich mehre Großbojaren, betheiligt waren, und
die auch den größten Theil der Garnison von Bukarest gewonnen hatte. Der
Fürst ahnte nichts davon. Am 9. Februar hatte er noch einmal Gelegenheit,
seine Neigung zu Ministerwechseln zu befriedigen. In der Nacht vom 22. auf
den 23. brach die Revolution aus und endete ohne Blutvergießen mit der Ge¬
fangennahme und der Abdankung des Fürsten. Charakteristisch ist, in welcher
Situation die Verschworenen ihn, als sie in seinen Palast kamen, antrafen.
Sie geriethen zuerst in das Zimmer seines Bruders, der vollständig betrunken
auf dem Boden lag. Dann vor das rechte Gemach gelangt, fanden sie es ver¬
riegelt, und als geöffnet wurde, schien der Bewohner vorzüglich deshalb in Ver¬
legenheit zu sein, weil er eine Dame in tiefem Neglig6 zum Besuch hatte. Am
Tage nach seiner Abdankung ließ man ihn unter Eskorte nach Kronstäbe ab¬
reisen. Das Volk war damit ungefähr ebenso zufrieden, wie es Anfangs mit Cusas
Staatsstreich zufrieden gewesen war. Es ist in Rumänien noch keine Macht.
Die Geschicke des Landes sind hier noch fast allein in den Händen der Bojaren,
der höheren Beamten und des Militärs. Das zeigt schon die Zusammensetzung
der provisorischen Negierung, die seitdem die Angelegenheiten geleitet hat, und
ihres Ministeriums. Die Herren sind sämmtlich Bojaren, zwei davon aus der
alten Hospodarenfamilie der Ghika. zwei andere höhere Offiziere.

Das Weitere ist den Lesern in frischer Erinnerung, aber großentheils noch
nicht recht aufgeklärt, am wenigsten der Schritt des Prinzen von Hohenzollern.
der die ihm von der allgemeinen Volksabstimmung dargebotene Krone annahm,
und die Stellung Rußlands zu der Frage. Rumänien könnte unter einem be¬
deutenden Fürsten sich zu einem stattlichen Staat herausbilden. Aber die
Schwierigkeiten, denen der neue Fürst schon im Innern gegenübersteht, sind
heute eher größer als zur Zeit der Erwählung Cusas. Das Land umfaßt 2197
Quadratmeilen, ist also fast so groß als Bayern, Würtemberg, Baden und
Hessen-Darmstadt zusammengenommen, und Lage und Boden sind nicht ungünstig
für ein rasches Wachsthum der Bevölkerung und des Nationalreichthums. Al'er
die letztere beträgt jetzt noch nicht vier Millionen Köpfe, die Staatsschuld be-
läuft sich auf 283 Millionen Piaster, d. h. ungefähr auf 28 V- Million Gulden,
und den Augiasstall des gesellschaftlichen Lebens, den wir zu Anfang schilderten,
zu reinigen, bedarf es eines Herkules an Energie und eines Stroms moralischer
Kraft so breit und tief wie die das Land bespülende Donau.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/503>, abgerufen am 27.07.2024.