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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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legten Gesetzentwürfe gewissenhaft zu berathen. Sie glaubte jenen Zweck zu
erreichen, indem sie am 23. December fast einstimmig beschloß, die Einkünfte
einer Anzahl von Klostergütern, welche verschiedenen heiligen Orten in der
Levante, z. B. den Athosklöstern gehörten, für den Staat in Beschlag zu nehmen,
ein Votum, welches gegen die pariser Convention verstieß, vorzüglich Nußland
verletzte und von dem Ministerium lebhaft bekämpft wurde. Als es dennoch
durchging, erbat sich das Cabinet vom Fürsten seine Entlassung, dieselbe wurde
aber nicht bewilligt. Als die Sitzungen nach dem Weihnachtsfeste wieder be¬
gannen, ergriff die Opposition die Gelegenheit einer Creditforderung von Seiten
der Negierung, um die verfassungsmäßige Fortexistenz der letzteren zu bestreiten,
und am 18. Februar 1863 beschloß die Kammer eine Adresse, die ein entschie¬
denes Mißtrauensvotum nicht nur gegen das Cabinet, sondern gegen den Fürsten
selbst war. Vier Jahre lang, hieß es darin, habe er nichts gethan, als fünfmal
die gesetzgebende Versammlung aufgelöst und sechzehnmal seine Räthe gewechselt,
das Budget sei von 60 Millionen Piaster auf das Doppelte gestiegen, zwei
Anleihen seien bewilligt und nichts damit gefördert worden, das Heer im mangel¬
haftesten Zustande, die Beamtenwelt ohne ihren Gehalt, die Verwaltung ein
Willkürregiment, der Unterricht kläglich vernachlässigt. "Die Regierung Ew.
Hoheit," so las man in dieser fulminantenAnsprache, "sollte endlich den falschen
und für die Interessen des Landes unheilvollen Weg verlassen, den sie seit vier
Jahren gegangen ist."

In jedem andern Lande hätte eine solche Sprache eine Revolution ange¬
kündigt. In Bukarest und in ganz Rumänien herrschte die tiefste Stille. Nur
die Deputirten lärmten, aber sie glaubten selbst nicht an ihre großen Worte.
Der Sturm beschränkte sich auf ihren Sitzungssaal. Außerhalb desselben ging
man dem Carneval nach. Die Municipalität der Hauptstadt gab um diese Zeit
einen großen Ball, der Hof veranstaltete Feste. Das niedere Volk war eher
für als gegen den Fürsten. Die wenigen Rechtschaffenen und Verständigen unter
der höheren Classe hegten geringe Achtung vor ihm, aber mindestens ebenso
geringe vor der Majorität der Kammer. Keine Hand erhob sich, als die An¬
nahme der Adresse verweigert wurde und als der Fürst die Session am 14. März
mit einer an Gegenvorwürfen reichen Botschaft schloß. Die Adresse hatte Recht,
die Botschaft gleichermaßen.

Fürst Johann der Erste begann jetzt in einer Weise zu regieren, die sich
von der Dictatur nicht wesentlich unterschied, ein Theil des Volkes dagegen
schickte sich an, da die Stände in einer ihrer letzten Sitzungen die Erhebung
von ihnen nicht bewilligter Steuern als Verletzung des Gesetzes bezeichnet, die
Entrichtung solcher Abgaben zu verweigern. Der Fürst übernahm am 9. Juni
persönlich den Oberbefehl des Heeres und übersandte den Garantiemächten eine
Denkschrift, in welcher er ausführte, daß seine Befugnis) beträchtlich erweitert


legten Gesetzentwürfe gewissenhaft zu berathen. Sie glaubte jenen Zweck zu
erreichen, indem sie am 23. December fast einstimmig beschloß, die Einkünfte
einer Anzahl von Klostergütern, welche verschiedenen heiligen Orten in der
Levante, z. B. den Athosklöstern gehörten, für den Staat in Beschlag zu nehmen,
ein Votum, welches gegen die pariser Convention verstieß, vorzüglich Nußland
verletzte und von dem Ministerium lebhaft bekämpft wurde. Als es dennoch
durchging, erbat sich das Cabinet vom Fürsten seine Entlassung, dieselbe wurde
aber nicht bewilligt. Als die Sitzungen nach dem Weihnachtsfeste wieder be¬
gannen, ergriff die Opposition die Gelegenheit einer Creditforderung von Seiten
der Negierung, um die verfassungsmäßige Fortexistenz der letzteren zu bestreiten,
und am 18. Februar 1863 beschloß die Kammer eine Adresse, die ein entschie¬
denes Mißtrauensvotum nicht nur gegen das Cabinet, sondern gegen den Fürsten
selbst war. Vier Jahre lang, hieß es darin, habe er nichts gethan, als fünfmal
die gesetzgebende Versammlung aufgelöst und sechzehnmal seine Räthe gewechselt,
das Budget sei von 60 Millionen Piaster auf das Doppelte gestiegen, zwei
Anleihen seien bewilligt und nichts damit gefördert worden, das Heer im mangel¬
haftesten Zustande, die Beamtenwelt ohne ihren Gehalt, die Verwaltung ein
Willkürregiment, der Unterricht kläglich vernachlässigt. „Die Regierung Ew.
Hoheit," so las man in dieser fulminantenAnsprache, „sollte endlich den falschen
und für die Interessen des Landes unheilvollen Weg verlassen, den sie seit vier
Jahren gegangen ist."

In jedem andern Lande hätte eine solche Sprache eine Revolution ange¬
kündigt. In Bukarest und in ganz Rumänien herrschte die tiefste Stille. Nur
die Deputirten lärmten, aber sie glaubten selbst nicht an ihre großen Worte.
Der Sturm beschränkte sich auf ihren Sitzungssaal. Außerhalb desselben ging
man dem Carneval nach. Die Municipalität der Hauptstadt gab um diese Zeit
einen großen Ball, der Hof veranstaltete Feste. Das niedere Volk war eher
für als gegen den Fürsten. Die wenigen Rechtschaffenen und Verständigen unter
der höheren Classe hegten geringe Achtung vor ihm, aber mindestens ebenso
geringe vor der Majorität der Kammer. Keine Hand erhob sich, als die An¬
nahme der Adresse verweigert wurde und als der Fürst die Session am 14. März
mit einer an Gegenvorwürfen reichen Botschaft schloß. Die Adresse hatte Recht,
die Botschaft gleichermaßen.

Fürst Johann der Erste begann jetzt in einer Weise zu regieren, die sich
von der Dictatur nicht wesentlich unterschied, ein Theil des Volkes dagegen
schickte sich an, da die Stände in einer ihrer letzten Sitzungen die Erhebung
von ihnen nicht bewilligter Steuern als Verletzung des Gesetzes bezeichnet, die
Entrichtung solcher Abgaben zu verweigern. Der Fürst übernahm am 9. Juni
persönlich den Oberbefehl des Heeres und übersandte den Garantiemächten eine
Denkschrift, in welcher er ausführte, daß seine Befugnis) beträchtlich erweitert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/498>, abgerufen am 28.07.2024.