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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Walachen, die wenigstens 400 Ducaten Einkommen haben. Die Versammlungen
treten alljährlich im December zusammen und haben Gesetzgebung^ und Steuer-
bewilligungsrecht sowie das Recht der Ministeranklage. Die permanente Central-
commission besteht aus 16 Mitgliedern, von denen 4 von dem Hospodar und 4
von der gesetzgebenden Versammlung der Moldau und 8 auf gleiche Weise von
der Walachei ernannt werden. Ihr Sitz ist Fokschani, wo auch der oberste
Gerichtshof für beide Fürstenthümer residirt. Die Milizen beider Länder werden
so organisirt, daß sie eine einheitliche Armee bilden können. Moldauer können
in der Walachei, Walachen in der Moldau Aemter erlangen. Schließlich wurden
als Maximen der Gesetzgebung Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Besteuerung,
Freiheit der Person und des Eigenthums und Gleichstellung aller christlichen
Bekenntnisse hingestellt.

Nachdem die Pforte die Bestimmungen dieser Convention Ende Oetober
verkündigt, legten die bisherigen Kaimakame, Vogorides und Ghika, ihre Gewalt
nieder, und an ihre Stelle trat in jedem Fürstenthume eine aus drei Männern
bestehende provisorische Verwaltung, die sofort Wahlen für die gesetzgebenden
Versammlungen ausschrieben. Am 9. Januar 1859 trat die der Moldau, vor¬
wiegend aus Unionisten zusammengesetzt, in Jassy zusammen, und acht Tage
später wählte sie zum Fürsten Alexander Johann Cusa, der die Wahl sogleich
annahm. Am 5. Februar wiederholte sich dies in der walachischen Versamm¬
lung, so daß Cusa, jetzt auch Fürst der Walachei, in einer am 8. Februar er-
lassenen Proclamation in schwungvollen Stil die Verwirklichung der Unionsidee
feiern konnte.

Ehe wir mit unserm Ueberblick über die neueste Geschichte Rumäniens fort¬
fahren, sind zum Verständniß des Weiteren ein paar Bemerkungen einzuflechten.
War das Land reif für Einführung des parlamentarischen Systems? Entsprach
das Wahlgesetz den Interessen des Volkes? Wir glauben beides verneinen zu
müssen. Man hatte mit letzterem nichts als eine Oligarchie an die Stelle
monarchischer Einrichtung gesetzt. Ohne eine Mittelclasse, die in sich die Be¬
dingungen der Wählbarkeit vereinigte, und mit einer Masse von drei Millionen
Bauern, die davon noch weniger aufzuweisen hatten, sah die Wahl immer nur
eine kleine Zahl von Kandidaten vor sich, die sämmtlich dem Stande der großen
und mittleren Grundbesitzer angehörten, und die Bojarenschaft absorbirte so die
ganze parlamentarische Gewalt. Der Rest der Nation war damit mundtodt
gemacht, die Herrschaft der Privilegirten verewigt, und man hat sich nicht zu
verwundern, wenn die Hauptpunkte der pariser Convention von 1888, soweit
sie die innere Organisation betraf, wenn die Gleichheit vor dem Gesetz und die
gleiche Besteuerung todter Buchstabe waren, die Gutsbesitzer ihre Monopole
und Privilegien festhielten, Frohnden und Zehnten unabgelöst blieben. Nicht
leicht wiederholt sichs, daß ein grundbesitzender Adel seine Vorrechte freiwillig


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Walachen, die wenigstens 400 Ducaten Einkommen haben. Die Versammlungen
treten alljährlich im December zusammen und haben Gesetzgebung^ und Steuer-
bewilligungsrecht sowie das Recht der Ministeranklage. Die permanente Central-
commission besteht aus 16 Mitgliedern, von denen 4 von dem Hospodar und 4
von der gesetzgebenden Versammlung der Moldau und 8 auf gleiche Weise von
der Walachei ernannt werden. Ihr Sitz ist Fokschani, wo auch der oberste
Gerichtshof für beide Fürstenthümer residirt. Die Milizen beider Länder werden
so organisirt, daß sie eine einheitliche Armee bilden können. Moldauer können
in der Walachei, Walachen in der Moldau Aemter erlangen. Schließlich wurden
als Maximen der Gesetzgebung Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Besteuerung,
Freiheit der Person und des Eigenthums und Gleichstellung aller christlichen
Bekenntnisse hingestellt.

Nachdem die Pforte die Bestimmungen dieser Convention Ende Oetober
verkündigt, legten die bisherigen Kaimakame, Vogorides und Ghika, ihre Gewalt
nieder, und an ihre Stelle trat in jedem Fürstenthume eine aus drei Männern
bestehende provisorische Verwaltung, die sofort Wahlen für die gesetzgebenden
Versammlungen ausschrieben. Am 9. Januar 1859 trat die der Moldau, vor¬
wiegend aus Unionisten zusammengesetzt, in Jassy zusammen, und acht Tage
später wählte sie zum Fürsten Alexander Johann Cusa, der die Wahl sogleich
annahm. Am 5. Februar wiederholte sich dies in der walachischen Versamm¬
lung, so daß Cusa, jetzt auch Fürst der Walachei, in einer am 8. Februar er-
lassenen Proclamation in schwungvollen Stil die Verwirklichung der Unionsidee
feiern konnte.

Ehe wir mit unserm Ueberblick über die neueste Geschichte Rumäniens fort¬
fahren, sind zum Verständniß des Weiteren ein paar Bemerkungen einzuflechten.
War das Land reif für Einführung des parlamentarischen Systems? Entsprach
das Wahlgesetz den Interessen des Volkes? Wir glauben beides verneinen zu
müssen. Man hatte mit letzterem nichts als eine Oligarchie an die Stelle
monarchischer Einrichtung gesetzt. Ohne eine Mittelclasse, die in sich die Be¬
dingungen der Wählbarkeit vereinigte, und mit einer Masse von drei Millionen
Bauern, die davon noch weniger aufzuweisen hatten, sah die Wahl immer nur
eine kleine Zahl von Kandidaten vor sich, die sämmtlich dem Stande der großen
und mittleren Grundbesitzer angehörten, und die Bojarenschaft absorbirte so die
ganze parlamentarische Gewalt. Der Rest der Nation war damit mundtodt
gemacht, die Herrschaft der Privilegirten verewigt, und man hat sich nicht zu
verwundern, wenn die Hauptpunkte der pariser Convention von 1888, soweit
sie die innere Organisation betraf, wenn die Gleichheit vor dem Gesetz und die
gleiche Besteuerung todter Buchstabe waren, die Gutsbesitzer ihre Monopole
und Privilegien festhielten, Frohnden und Zehnten unabgelöst blieben. Nicht
leicht wiederholt sichs, daß ein grundbesitzender Adel seine Vorrechte freiwillig


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[0491] Walachen, die wenigstens 400 Ducaten Einkommen haben. Die Versammlungen treten alljährlich im December zusammen und haben Gesetzgebung^ und Steuer- bewilligungsrecht sowie das Recht der Ministeranklage. Die permanente Central- commission besteht aus 16 Mitgliedern, von denen 4 von dem Hospodar und 4 von der gesetzgebenden Versammlung der Moldau und 8 auf gleiche Weise von der Walachei ernannt werden. Ihr Sitz ist Fokschani, wo auch der oberste Gerichtshof für beide Fürstenthümer residirt. Die Milizen beider Länder werden so organisirt, daß sie eine einheitliche Armee bilden können. Moldauer können in der Walachei, Walachen in der Moldau Aemter erlangen. Schließlich wurden als Maximen der Gesetzgebung Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Besteuerung, Freiheit der Person und des Eigenthums und Gleichstellung aller christlichen Bekenntnisse hingestellt. Nachdem die Pforte die Bestimmungen dieser Convention Ende Oetober verkündigt, legten die bisherigen Kaimakame, Vogorides und Ghika, ihre Gewalt nieder, und an ihre Stelle trat in jedem Fürstenthume eine aus drei Männern bestehende provisorische Verwaltung, die sofort Wahlen für die gesetzgebenden Versammlungen ausschrieben. Am 9. Januar 1859 trat die der Moldau, vor¬ wiegend aus Unionisten zusammengesetzt, in Jassy zusammen, und acht Tage später wählte sie zum Fürsten Alexander Johann Cusa, der die Wahl sogleich annahm. Am 5. Februar wiederholte sich dies in der walachischen Versamm¬ lung, so daß Cusa, jetzt auch Fürst der Walachei, in einer am 8. Februar er- lassenen Proclamation in schwungvollen Stil die Verwirklichung der Unionsidee feiern konnte. Ehe wir mit unserm Ueberblick über die neueste Geschichte Rumäniens fort¬ fahren, sind zum Verständniß des Weiteren ein paar Bemerkungen einzuflechten. War das Land reif für Einführung des parlamentarischen Systems? Entsprach das Wahlgesetz den Interessen des Volkes? Wir glauben beides verneinen zu müssen. Man hatte mit letzterem nichts als eine Oligarchie an die Stelle monarchischer Einrichtung gesetzt. Ohne eine Mittelclasse, die in sich die Be¬ dingungen der Wählbarkeit vereinigte, und mit einer Masse von drei Millionen Bauern, die davon noch weniger aufzuweisen hatten, sah die Wahl immer nur eine kleine Zahl von Kandidaten vor sich, die sämmtlich dem Stande der großen und mittleren Grundbesitzer angehörten, und die Bojarenschaft absorbirte so die ganze parlamentarische Gewalt. Der Rest der Nation war damit mundtodt gemacht, die Herrschaft der Privilegirten verewigt, und man hat sich nicht zu verwundern, wenn die Hauptpunkte der pariser Convention von 1888, soweit sie die innere Organisation betraf, wenn die Gleichheit vor dem Gesetz und die gleiche Besteuerung todter Buchstabe waren, die Gutsbesitzer ihre Monopole und Privilegien festhielten, Frohnden und Zehnten unabgelöst blieben. Nicht leicht wiederholt sichs, daß ein grundbesitzender Adel seine Vorrechte freiwillig L8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/491>, abgerufen am 28.07.2024.