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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Heraclits, es ist dunkel, oder stellen sich, als ob sie so tiefe Gedanken hätten,
daß sie sie nicht aussprechen könnten, sondern bei sich behalten müßten. Und
damit sie sich in kindischen Fragen und nutzlosen Liebhabereien recht gehen lassen
können, wühlen sie alle die längst begrabnen Träume der alten Sophisten und
Scholastiker wieder auf und setzen sie als Geburten ihres eignen Hirns in Scene,
nachdem sie dieselben gleich den Dieben, welche die Zeichen auszukratzen Pflegen,
ein wenig verändert haben."

Es war nicht zu verwundern, wenn der flotte Student sich bei solchen und
ähnlichen Professoren langweilte und wenn sich auch Bessere von deren Audi¬
torien fern hielten. Nach Beendigung des Krieges waren die Oberbehörden all¬
gemein bemüht, die Ordnung auf den Universitäten wiederherzustellen und
den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Die Dekane mußten die Studirenden ihrer
Facultäten von Zeit zu Zeit zusammenrufen und vernehmen, wie sie lebten, bei
wem sie wohnten, welche Vorlesungen sie hörten, und welche Privatlehrer sie
genommen. Ja bisweilen wurden sogar die Hefte von ihnen eingefordert, welche
sie nachgeschrieben hatten. Strenge Verbote ergingen gegen Unfug aller Art,
gegen Duelle, Kartenspiel. Zechen, Unzucht. Aber so gut die Absicht dabei
war, so gering war in den meisten Fällen der Erfolg. Weder in den Sitten,
noch in den Studien wurde der Barbarei wirksam gesteuert; blieb dieselbe doch
auch in den Kreisen der Professoren bis zu Ende des Jahrhunderts fast allent¬
halben und in vielen Fällen bis weit über dessen Grenze hinaus herrschend.

Erst mit der Bewegung, welche zur Gründung der Universität Halle führte,
mit Thomasius und den Pietisten, kam neues Leben in die Erstarrung der
deutschen Akademien. Erst mit Lessing und einigen seiner Zeitgenossen begann
der Humanismus, und zwar in edlerer, freierer und feinerer Gestalt, zu neuem
Kampf mit der Scholastik sich von den ihm angelegten Fesseln zu befreien und
die Universitäten von Neuem zu erobern. Halle war in dieser Periode in ge¬
wissem Maße das. was anderthalb Jahrhunderte vorher, unter Melanchthon,
Wittenberg gewesen. Unter dem Schutze eines duldsamer Regenten erfreute sich
hier der von sächsischer Bornirtheit aus Leipzig vertriebene Thomasius der Frei¬
heit, "der Wahrheit ohne Furcht naHzutrachtcn". Von Halle verbreitete er seine
neuen Gedanken über Natur- und Kirchenrecht, von hier aus führte er den
Kampf gegen den Glauben an Hexen und Teufelsbündnisse und gegen die trotz
Descartes noch überall sich breit machende scholastisci'e Philosophie, hier ver¬
diente er sich den Lobspruch des großen Königs: "ve tous los savans, <M
out illustre I'^IIemaMe, I^eidnits et llioirmsius rellüirevt les plus granäs
Services ö, l'esxrit krumain."

Die weitere Entwicklung dieser Dinge und deren Einfluß aus das Leben
der Studenten kann hier nicht geschildert werden. Dagegen ist noch ein Wort
zu sagen über eine Erscheinung in diesem Leben, welche das siebzehnte Jahr-


Heraclits, es ist dunkel, oder stellen sich, als ob sie so tiefe Gedanken hätten,
daß sie sie nicht aussprechen könnten, sondern bei sich behalten müßten. Und
damit sie sich in kindischen Fragen und nutzlosen Liebhabereien recht gehen lassen
können, wühlen sie alle die längst begrabnen Träume der alten Sophisten und
Scholastiker wieder auf und setzen sie als Geburten ihres eignen Hirns in Scene,
nachdem sie dieselben gleich den Dieben, welche die Zeichen auszukratzen Pflegen,
ein wenig verändert haben."

Es war nicht zu verwundern, wenn der flotte Student sich bei solchen und
ähnlichen Professoren langweilte und wenn sich auch Bessere von deren Audi¬
torien fern hielten. Nach Beendigung des Krieges waren die Oberbehörden all¬
gemein bemüht, die Ordnung auf den Universitäten wiederherzustellen und
den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Die Dekane mußten die Studirenden ihrer
Facultäten von Zeit zu Zeit zusammenrufen und vernehmen, wie sie lebten, bei
wem sie wohnten, welche Vorlesungen sie hörten, und welche Privatlehrer sie
genommen. Ja bisweilen wurden sogar die Hefte von ihnen eingefordert, welche
sie nachgeschrieben hatten. Strenge Verbote ergingen gegen Unfug aller Art,
gegen Duelle, Kartenspiel. Zechen, Unzucht. Aber so gut die Absicht dabei
war, so gering war in den meisten Fällen der Erfolg. Weder in den Sitten,
noch in den Studien wurde der Barbarei wirksam gesteuert; blieb dieselbe doch
auch in den Kreisen der Professoren bis zu Ende des Jahrhunderts fast allent¬
halben und in vielen Fällen bis weit über dessen Grenze hinaus herrschend.

Erst mit der Bewegung, welche zur Gründung der Universität Halle führte,
mit Thomasius und den Pietisten, kam neues Leben in die Erstarrung der
deutschen Akademien. Erst mit Lessing und einigen seiner Zeitgenossen begann
der Humanismus, und zwar in edlerer, freierer und feinerer Gestalt, zu neuem
Kampf mit der Scholastik sich von den ihm angelegten Fesseln zu befreien und
die Universitäten von Neuem zu erobern. Halle war in dieser Periode in ge¬
wissem Maße das. was anderthalb Jahrhunderte vorher, unter Melanchthon,
Wittenberg gewesen. Unter dem Schutze eines duldsamer Regenten erfreute sich
hier der von sächsischer Bornirtheit aus Leipzig vertriebene Thomasius der Frei¬
heit, „der Wahrheit ohne Furcht naHzutrachtcn". Von Halle verbreitete er seine
neuen Gedanken über Natur- und Kirchenrecht, von hier aus führte er den
Kampf gegen den Glauben an Hexen und Teufelsbündnisse und gegen die trotz
Descartes noch überall sich breit machende scholastisci'e Philosophie, hier ver¬
diente er sich den Lobspruch des großen Königs: „ve tous los savans, <M
out illustre I'^IIemaMe, I^eidnits et llioirmsius rellüirevt les plus granäs
Services ö, l'esxrit krumain."

Die weitere Entwicklung dieser Dinge und deren Einfluß aus das Leben
der Studenten kann hier nicht geschildert werden. Dagegen ist noch ein Wort
zu sagen über eine Erscheinung in diesem Leben, welche das siebzehnte Jahr-


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[0468] Heraclits, es ist dunkel, oder stellen sich, als ob sie so tiefe Gedanken hätten, daß sie sie nicht aussprechen könnten, sondern bei sich behalten müßten. Und damit sie sich in kindischen Fragen und nutzlosen Liebhabereien recht gehen lassen können, wühlen sie alle die längst begrabnen Träume der alten Sophisten und Scholastiker wieder auf und setzen sie als Geburten ihres eignen Hirns in Scene, nachdem sie dieselben gleich den Dieben, welche die Zeichen auszukratzen Pflegen, ein wenig verändert haben." Es war nicht zu verwundern, wenn der flotte Student sich bei solchen und ähnlichen Professoren langweilte und wenn sich auch Bessere von deren Audi¬ torien fern hielten. Nach Beendigung des Krieges waren die Oberbehörden all¬ gemein bemüht, die Ordnung auf den Universitäten wiederherzustellen und den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Die Dekane mußten die Studirenden ihrer Facultäten von Zeit zu Zeit zusammenrufen und vernehmen, wie sie lebten, bei wem sie wohnten, welche Vorlesungen sie hörten, und welche Privatlehrer sie genommen. Ja bisweilen wurden sogar die Hefte von ihnen eingefordert, welche sie nachgeschrieben hatten. Strenge Verbote ergingen gegen Unfug aller Art, gegen Duelle, Kartenspiel. Zechen, Unzucht. Aber so gut die Absicht dabei war, so gering war in den meisten Fällen der Erfolg. Weder in den Sitten, noch in den Studien wurde der Barbarei wirksam gesteuert; blieb dieselbe doch auch in den Kreisen der Professoren bis zu Ende des Jahrhunderts fast allent¬ halben und in vielen Fällen bis weit über dessen Grenze hinaus herrschend. Erst mit der Bewegung, welche zur Gründung der Universität Halle führte, mit Thomasius und den Pietisten, kam neues Leben in die Erstarrung der deutschen Akademien. Erst mit Lessing und einigen seiner Zeitgenossen begann der Humanismus, und zwar in edlerer, freierer und feinerer Gestalt, zu neuem Kampf mit der Scholastik sich von den ihm angelegten Fesseln zu befreien und die Universitäten von Neuem zu erobern. Halle war in dieser Periode in ge¬ wissem Maße das. was anderthalb Jahrhunderte vorher, unter Melanchthon, Wittenberg gewesen. Unter dem Schutze eines duldsamer Regenten erfreute sich hier der von sächsischer Bornirtheit aus Leipzig vertriebene Thomasius der Frei¬ heit, „der Wahrheit ohne Furcht naHzutrachtcn". Von Halle verbreitete er seine neuen Gedanken über Natur- und Kirchenrecht, von hier aus führte er den Kampf gegen den Glauben an Hexen und Teufelsbündnisse und gegen die trotz Descartes noch überall sich breit machende scholastisci'e Philosophie, hier ver¬ diente er sich den Lobspruch des großen Königs: „ve tous los savans, <M out illustre I'^IIemaMe, I^eidnits et llioirmsius rellüirevt les plus granäs Services ö, l'esxrit krumain." Die weitere Entwicklung dieser Dinge und deren Einfluß aus das Leben der Studenten kann hier nicht geschildert werden. Dagegen ist noch ein Wort zu sagen über eine Erscheinung in diesem Leben, welche das siebzehnte Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/468>, abgerufen am 01.09.2024.