Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- nicht blos die Scholastik, die ja nie ganz das Feld geräumt -- mit allen
seinen Thorheiten, namentlich mit der Neigung, über Untergeordnetes zu streiten,
wieder in die Anker und Auditorien ein.

Lebhaft beschwert sich Heyder darüber, daß die Räthe der Fürsten ungelehrte
Leute oder solche von groben Sitten den Universitäten zu Professoren aufdringen.
Dann schildert er die unfähigen College" etwa folgendermaßen:

.Welche auf Akademien lehren sollen, sind oftmals ganz unerfahren derer
Dinge, welche sie vorzutragen haben, und vermögen dieselben nur aus fremden
zusammengestohlnen Heften und das nicht einmal ohne Stocken zu lesen. Der¬
gestalt begiebt sichs nicht selten, daß die Gunst die Kunst überwiegt, und daß
der zur Ausübung der Arzneikunde berufen wird, der selbst von Schwären
wimmelt." "Sehr häßlich stehet es," setzt Meyfart dann hinzu, "wenn jemand
als Professor der griechischen Sprache angestellt und darin schlecht beschlagen
ist; dictiret den Studenten: Lst ^.oristus, est ^oristus -- tertia, -- est tertia
xersong, siriLuIariK. Warum bestellet man nicht Lahme zu Postboten und Blinde
zu Kupferstechern?"

"Andere Professoren," fährt Heyder fort, "sind langsam und faul, als ob
sie in dem Irrgarten des Minocn gerathen und jenem nachäsfcten, der zwei¬
undzwanzig Jahre über dem ersten Capitel des Propheten Esaias arbeitete und
nicht vollendete." Wer dieser Gründliche war, wissen wir nicht, aber einen
Geistesverwandten wies in dieser Zeit die Universität Tübingen in dem Professor
und Kanzler Ulrich Pregitzer aus, der*) vom März 1620 bis August 1624 in
312 Vorlesungen den Daniel, dann im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren in
1509 öffentlichen Lectionen den Jesaias absolvirte und endlich vom 1. Juli 1649
bis zum 10. April 1656 mit der Erklärung des Jeremias bis zur Hälfte dieses
Propheten gediehen war, als er abzubrechen genöthigt wurde, indem er am
letztgenannten Tage, "achtzig Jahre alt, im Herrn entschlief." Und ein anderes
Exempel der Art war der Professor der Theologie Crocius in Marburg, der volle
dreizehn Jahre -- von 1660 bis 1673 -- mit Interpretation der Psalmen
zubrachte.

"Andere Professoren," klagt Heyder fernerhin, "eilen zu geschwinde, brauchen
weder Zeit noch Fleiß, und was am nothwendigsten ist zu erklären, pflegen sie
zu überschreiten." Wieder andere "sind zwar nicht ungelehrt, auch wohlgeschicket.
aber sie führen eine gemeine Art zu lehren und bleiben aus der alten Geigen,
welche ihre Voreltern gestimmt, verachten, was recht akademisch, behelfen sich
Mit Lumpereien^der Schützen und Plackereien der Abcdarien." Noch Andre endlich
"setzen bei Seite, was nützlich, nöthig und zierlich ist und verlieben ihre Seelen
in schlimme Albernheiten. Stets brauchen sie während des Lehrens das Wort



-) Dolch, S. 227.

— nicht blos die Scholastik, die ja nie ganz das Feld geräumt — mit allen
seinen Thorheiten, namentlich mit der Neigung, über Untergeordnetes zu streiten,
wieder in die Anker und Auditorien ein.

Lebhaft beschwert sich Heyder darüber, daß die Räthe der Fürsten ungelehrte
Leute oder solche von groben Sitten den Universitäten zu Professoren aufdringen.
Dann schildert er die unfähigen College« etwa folgendermaßen:

.Welche auf Akademien lehren sollen, sind oftmals ganz unerfahren derer
Dinge, welche sie vorzutragen haben, und vermögen dieselben nur aus fremden
zusammengestohlnen Heften und das nicht einmal ohne Stocken zu lesen. Der¬
gestalt begiebt sichs nicht selten, daß die Gunst die Kunst überwiegt, und daß
der zur Ausübung der Arzneikunde berufen wird, der selbst von Schwären
wimmelt." „Sehr häßlich stehet es," setzt Meyfart dann hinzu, „wenn jemand
als Professor der griechischen Sprache angestellt und darin schlecht beschlagen
ist; dictiret den Studenten: Lst ^.oristus, est ^oristus — tertia, — est tertia
xersong, siriLuIariK. Warum bestellet man nicht Lahme zu Postboten und Blinde
zu Kupferstechern?"

„Andere Professoren," fährt Heyder fort, „sind langsam und faul, als ob
sie in dem Irrgarten des Minocn gerathen und jenem nachäsfcten, der zwei¬
undzwanzig Jahre über dem ersten Capitel des Propheten Esaias arbeitete und
nicht vollendete." Wer dieser Gründliche war, wissen wir nicht, aber einen
Geistesverwandten wies in dieser Zeit die Universität Tübingen in dem Professor
und Kanzler Ulrich Pregitzer aus, der*) vom März 1620 bis August 1624 in
312 Vorlesungen den Daniel, dann im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren in
1509 öffentlichen Lectionen den Jesaias absolvirte und endlich vom 1. Juli 1649
bis zum 10. April 1656 mit der Erklärung des Jeremias bis zur Hälfte dieses
Propheten gediehen war, als er abzubrechen genöthigt wurde, indem er am
letztgenannten Tage, „achtzig Jahre alt, im Herrn entschlief." Und ein anderes
Exempel der Art war der Professor der Theologie Crocius in Marburg, der volle
dreizehn Jahre — von 1660 bis 1673 — mit Interpretation der Psalmen
zubrachte.

„Andere Professoren," klagt Heyder fernerhin, „eilen zu geschwinde, brauchen
weder Zeit noch Fleiß, und was am nothwendigsten ist zu erklären, pflegen sie
zu überschreiten." Wieder andere „sind zwar nicht ungelehrt, auch wohlgeschicket.
aber sie führen eine gemeine Art zu lehren und bleiben aus der alten Geigen,
welche ihre Voreltern gestimmt, verachten, was recht akademisch, behelfen sich
Mit Lumpereien^der Schützen und Plackereien der Abcdarien." Noch Andre endlich
»setzen bei Seite, was nützlich, nöthig und zierlich ist und verlieben ihre Seelen
in schlimme Albernheiten. Stets brauchen sie während des Lehrens das Wort



-) Dolch, S. 227.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0467" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285495"/>
          <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> &#x2014; nicht blos die Scholastik, die ja nie ganz das Feld geräumt &#x2014; mit allen<lb/>
seinen Thorheiten, namentlich mit der Neigung, über Untergeordnetes zu streiten,<lb/>
wieder in die Anker und Auditorien ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1418"> Lebhaft beschwert sich Heyder darüber, daß die Räthe der Fürsten ungelehrte<lb/>
Leute oder solche von groben Sitten den Universitäten zu Professoren aufdringen.<lb/>
Dann schildert er die unfähigen College« etwa folgendermaßen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1419"> .Welche auf Akademien lehren sollen, sind oftmals ganz unerfahren derer<lb/>
Dinge, welche sie vorzutragen haben, und vermögen dieselben nur aus fremden<lb/>
zusammengestohlnen Heften und das nicht einmal ohne Stocken zu lesen. Der¬<lb/>
gestalt begiebt sichs nicht selten, daß die Gunst die Kunst überwiegt, und daß<lb/>
der zur Ausübung der Arzneikunde berufen wird, der selbst von Schwären<lb/>
wimmelt." &#x201E;Sehr häßlich stehet es," setzt Meyfart dann hinzu, &#x201E;wenn jemand<lb/>
als Professor der griechischen Sprache angestellt und darin schlecht beschlagen<lb/>
ist; dictiret den Studenten: Lst ^.oristus, est ^oristus &#x2014; tertia, &#x2014; est tertia<lb/>
xersong, siriLuIariK. Warum bestellet man nicht Lahme zu Postboten und Blinde<lb/>
zu Kupferstechern?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1420"> &#x201E;Andere Professoren," fährt Heyder fort, &#x201E;sind langsam und faul, als ob<lb/>
sie in dem Irrgarten des Minocn gerathen und jenem nachäsfcten, der zwei¬<lb/>
undzwanzig Jahre über dem ersten Capitel des Propheten Esaias arbeitete und<lb/>
nicht vollendete." Wer dieser Gründliche war, wissen wir nicht, aber einen<lb/>
Geistesverwandten wies in dieser Zeit die Universität Tübingen in dem Professor<lb/>
und Kanzler Ulrich Pregitzer aus, der*) vom März 1620 bis August 1624 in<lb/>
312 Vorlesungen den Daniel, dann im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren in<lb/>
1509 öffentlichen Lectionen den Jesaias absolvirte und endlich vom 1. Juli 1649<lb/>
bis zum 10. April 1656 mit der Erklärung des Jeremias bis zur Hälfte dieses<lb/>
Propheten gediehen war, als er abzubrechen genöthigt wurde, indem er am<lb/>
letztgenannten Tage, &#x201E;achtzig Jahre alt, im Herrn entschlief." Und ein anderes<lb/>
Exempel der Art war der Professor der Theologie Crocius in Marburg, der volle<lb/>
dreizehn Jahre &#x2014; von 1660 bis 1673 &#x2014; mit Interpretation der Psalmen<lb/>
zubrachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1421" next="#ID_1422"> &#x201E;Andere Professoren," klagt Heyder fernerhin, &#x201E;eilen zu geschwinde, brauchen<lb/>
weder Zeit noch Fleiß, und was am nothwendigsten ist zu erklären, pflegen sie<lb/>
zu überschreiten." Wieder andere &#x201E;sind zwar nicht ungelehrt, auch wohlgeschicket.<lb/>
aber sie führen eine gemeine Art zu lehren und bleiben aus der alten Geigen,<lb/>
welche ihre Voreltern gestimmt, verachten, was recht akademisch, behelfen sich<lb/>
Mit Lumpereien^der Schützen und Plackereien der Abcdarien." Noch Andre endlich<lb/>
»setzen bei Seite, was nützlich, nöthig und zierlich ist und verlieben ihre Seelen<lb/>
in schlimme Albernheiten.  Stets brauchen sie während des Lehrens das Wort</p><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> -) Dolch, S. 227.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0467] — nicht blos die Scholastik, die ja nie ganz das Feld geräumt — mit allen seinen Thorheiten, namentlich mit der Neigung, über Untergeordnetes zu streiten, wieder in die Anker und Auditorien ein. Lebhaft beschwert sich Heyder darüber, daß die Räthe der Fürsten ungelehrte Leute oder solche von groben Sitten den Universitäten zu Professoren aufdringen. Dann schildert er die unfähigen College« etwa folgendermaßen: .Welche auf Akademien lehren sollen, sind oftmals ganz unerfahren derer Dinge, welche sie vorzutragen haben, und vermögen dieselben nur aus fremden zusammengestohlnen Heften und das nicht einmal ohne Stocken zu lesen. Der¬ gestalt begiebt sichs nicht selten, daß die Gunst die Kunst überwiegt, und daß der zur Ausübung der Arzneikunde berufen wird, der selbst von Schwären wimmelt." „Sehr häßlich stehet es," setzt Meyfart dann hinzu, „wenn jemand als Professor der griechischen Sprache angestellt und darin schlecht beschlagen ist; dictiret den Studenten: Lst ^.oristus, est ^oristus — tertia, — est tertia xersong, siriLuIariK. Warum bestellet man nicht Lahme zu Postboten und Blinde zu Kupferstechern?" „Andere Professoren," fährt Heyder fort, „sind langsam und faul, als ob sie in dem Irrgarten des Minocn gerathen und jenem nachäsfcten, der zwei¬ undzwanzig Jahre über dem ersten Capitel des Propheten Esaias arbeitete und nicht vollendete." Wer dieser Gründliche war, wissen wir nicht, aber einen Geistesverwandten wies in dieser Zeit die Universität Tübingen in dem Professor und Kanzler Ulrich Pregitzer aus, der*) vom März 1620 bis August 1624 in 312 Vorlesungen den Daniel, dann im Verlauf von fünfundzwanzig Jahren in 1509 öffentlichen Lectionen den Jesaias absolvirte und endlich vom 1. Juli 1649 bis zum 10. April 1656 mit der Erklärung des Jeremias bis zur Hälfte dieses Propheten gediehen war, als er abzubrechen genöthigt wurde, indem er am letztgenannten Tage, „achtzig Jahre alt, im Herrn entschlief." Und ein anderes Exempel der Art war der Professor der Theologie Crocius in Marburg, der volle dreizehn Jahre — von 1660 bis 1673 — mit Interpretation der Psalmen zubrachte. „Andere Professoren," klagt Heyder fernerhin, „eilen zu geschwinde, brauchen weder Zeit noch Fleiß, und was am nothwendigsten ist zu erklären, pflegen sie zu überschreiten." Wieder andere „sind zwar nicht ungelehrt, auch wohlgeschicket. aber sie führen eine gemeine Art zu lehren und bleiben aus der alten Geigen, welche ihre Voreltern gestimmt, verachten, was recht akademisch, behelfen sich Mit Lumpereien^der Schützen und Plackereien der Abcdarien." Noch Andre endlich »setzen bei Seite, was nützlich, nöthig und zierlich ist und verlieben ihre Seelen in schlimme Albernheiten. Stets brauchen sie während des Lehrens das Wort -) Dolch, S. 227.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/467
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/467>, abgerufen am 28.07.2024.