Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Dr. Braun "Die wirthschaftlichen Verhältnisse des Herzogthums Nassau"
(Wiesbaden 1863) aufgezählt finden. Es kam zu einem heftigen Zusammen¬
stoße zwischen dem klerikalen Regiment und dem liberalen Landtag. Man ist
1864 zum ersten, 1865 zum zweiten Male zu Neuwahlen geschritten. Die
Reihen der liberalen Partei im Lande und im Landtage haben sich dadurch nur
verstärkt, trotzdem daß Werren kein Mittel, den entgegengesetzten Erfolg zu- er¬
zielen, unversucht ließ. Er verbot den Liberalen das gesetzlich Erlaubte und
erlaubte den sogenannten "Conservativen" das gesetzlich Verbotene. Seine
Wahlmanöver waren ebenso originell als unerhört. Es würde bogenlanger
Schilderungen bedürfen, um sie erschöpfend darzustellen. Wer sich näher darüber
informiren will, den verweisen wir auf das Schriftchen: "Die Wahlmißbräuche
in Nassau, Reden der Abgeordneten Dr. Lang und Dr. Braun, gehalten bei
der am 10. August 1865 vorgenommenen Prüfung der Wahlen zur zweiten
Kammer." (Wiesbaden, 1865.) Aller Kraftaufwand an Gewalt und an Cor-
ruption hat nur dazu gedient, die liberale Partei zu stärken und die Autorität
der gemißbrauchten Staatsdiener zu schwächen.

Wie Werren regierte, und wie er siel (nämlich infolge dessen, daß ihn die
Bürgerschaft von Wiesbaden in Anbetracht einer von dem AppellationSgerichte
gegen ihn verfügten, jedoch von dem Herzog auf Wcrrens Bitten nieder¬
geschlagenen Untersuchung wegen gewerbsmäßigen Zinswuchers in öffentlicher
Versammlung durch einen nach langer Discussion zwischen Dr. Braun, als An¬
kläger, und Werren selbst, als Angeklagten, für bescholten und deshalb unbe¬
rechtigt zur Ausübung des Wahlrechts erklärte), -- alles das ist durch die
Tagespresse der Welt bekannt geworden. Wir wollen es hier, um nicht wieder
"der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl zu wecken", nicht wiederholen.

Aber wie der Herzog von Nassau dazu kam, einen solchen Mann -- Werren
ist ein mittelmäßiger Kopf ohne Kenntnisse -- und ein solches System zu
wählen, -- das ist schwer zu begreifen und bedarf einer Erörterung. Man be¬
hauptet, es sei infolge einer dringenden Empfehlung von Wien aus geschehen.
Ob dies wahr ist, wissen wir nicht. Allein wir bedürfen auch dieser Hypothese
nicht zur Erläuterung des Sachverhalts.

Das Bewußtsein, den Liberalen Versprechungen gemacht, ihnen -- diesen
"Kerls", diesen "Canaillen", -- so und nie anders nennt der Stallmeister des
Herzogs Freiherr Fritz von Breidbach-Bürresheim genannt von und zu Ried
die liberalen Mitglieder des Landtags -- gegenüber Verpflichtungen eingegangen
zu haben, drückte schwer in gewissen Kreisen. Der Gedanke an Pflichten schien
fast eine Gefährdung der Souveränetät in sich zu schließen. Man wollte sie
um jeden Preis, sei es auch um den einer vorübergehenden Herrschaft der Klerikalen
--- deren man sich später doch wieder zu entledigen gedachte -- los werden.
Gelang es mit der Kunst und den Mitteln, die der von dem Herzog für


von Dr. Braun „Die wirthschaftlichen Verhältnisse des Herzogthums Nassau"
(Wiesbaden 1863) aufgezählt finden. Es kam zu einem heftigen Zusammen¬
stoße zwischen dem klerikalen Regiment und dem liberalen Landtag. Man ist
1864 zum ersten, 1865 zum zweiten Male zu Neuwahlen geschritten. Die
Reihen der liberalen Partei im Lande und im Landtage haben sich dadurch nur
verstärkt, trotzdem daß Werren kein Mittel, den entgegengesetzten Erfolg zu- er¬
zielen, unversucht ließ. Er verbot den Liberalen das gesetzlich Erlaubte und
erlaubte den sogenannten „Conservativen" das gesetzlich Verbotene. Seine
Wahlmanöver waren ebenso originell als unerhört. Es würde bogenlanger
Schilderungen bedürfen, um sie erschöpfend darzustellen. Wer sich näher darüber
informiren will, den verweisen wir auf das Schriftchen: „Die Wahlmißbräuche
in Nassau, Reden der Abgeordneten Dr. Lang und Dr. Braun, gehalten bei
der am 10. August 1865 vorgenommenen Prüfung der Wahlen zur zweiten
Kammer." (Wiesbaden, 1865.) Aller Kraftaufwand an Gewalt und an Cor-
ruption hat nur dazu gedient, die liberale Partei zu stärken und die Autorität
der gemißbrauchten Staatsdiener zu schwächen.

Wie Werren regierte, und wie er siel (nämlich infolge dessen, daß ihn die
Bürgerschaft von Wiesbaden in Anbetracht einer von dem AppellationSgerichte
gegen ihn verfügten, jedoch von dem Herzog auf Wcrrens Bitten nieder¬
geschlagenen Untersuchung wegen gewerbsmäßigen Zinswuchers in öffentlicher
Versammlung durch einen nach langer Discussion zwischen Dr. Braun, als An¬
kläger, und Werren selbst, als Angeklagten, für bescholten und deshalb unbe¬
rechtigt zur Ausübung des Wahlrechts erklärte), — alles das ist durch die
Tagespresse der Welt bekannt geworden. Wir wollen es hier, um nicht wieder
„der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl zu wecken", nicht wiederholen.

Aber wie der Herzog von Nassau dazu kam, einen solchen Mann — Werren
ist ein mittelmäßiger Kopf ohne Kenntnisse — und ein solches System zu
wählen, — das ist schwer zu begreifen und bedarf einer Erörterung. Man be¬
hauptet, es sei infolge einer dringenden Empfehlung von Wien aus geschehen.
Ob dies wahr ist, wissen wir nicht. Allein wir bedürfen auch dieser Hypothese
nicht zur Erläuterung des Sachverhalts.

Das Bewußtsein, den Liberalen Versprechungen gemacht, ihnen — diesen
„Kerls", diesen „Canaillen", — so und nie anders nennt der Stallmeister des
Herzogs Freiherr Fritz von Breidbach-Bürresheim genannt von und zu Ried
die liberalen Mitglieder des Landtags — gegenüber Verpflichtungen eingegangen
zu haben, drückte schwer in gewissen Kreisen. Der Gedanke an Pflichten schien
fast eine Gefährdung der Souveränetät in sich zu schließen. Man wollte sie
um jeden Preis, sei es auch um den einer vorübergehenden Herrschaft der Klerikalen
—- deren man sich später doch wieder zu entledigen gedachte — los werden.
Gelang es mit der Kunst und den Mitteln, die der von dem Herzog für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285431"/>
          <p xml:id="ID_1214" prev="#ID_1213"> von Dr. Braun &#x201E;Die wirthschaftlichen Verhältnisse des Herzogthums Nassau"<lb/>
(Wiesbaden 1863) aufgezählt finden. Es kam zu einem heftigen Zusammen¬<lb/>
stoße zwischen dem klerikalen Regiment und dem liberalen Landtag. Man ist<lb/>
1864 zum ersten, 1865 zum zweiten Male zu Neuwahlen geschritten. Die<lb/>
Reihen der liberalen Partei im Lande und im Landtage haben sich dadurch nur<lb/>
verstärkt, trotzdem daß Werren kein Mittel, den entgegengesetzten Erfolg zu- er¬<lb/>
zielen, unversucht ließ. Er verbot den Liberalen das gesetzlich Erlaubte und<lb/>
erlaubte den sogenannten &#x201E;Conservativen" das gesetzlich Verbotene. Seine<lb/>
Wahlmanöver waren ebenso originell als unerhört. Es würde bogenlanger<lb/>
Schilderungen bedürfen, um sie erschöpfend darzustellen. Wer sich näher darüber<lb/>
informiren will, den verweisen wir auf das Schriftchen: &#x201E;Die Wahlmißbräuche<lb/>
in Nassau, Reden der Abgeordneten Dr. Lang und Dr. Braun, gehalten bei<lb/>
der am 10. August 1865 vorgenommenen Prüfung der Wahlen zur zweiten<lb/>
Kammer." (Wiesbaden, 1865.) Aller Kraftaufwand an Gewalt und an Cor-<lb/>
ruption hat nur dazu gedient, die liberale Partei zu stärken und die Autorität<lb/>
der gemißbrauchten Staatsdiener zu schwächen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1215"> Wie Werren regierte, und wie er siel (nämlich infolge dessen, daß ihn die<lb/>
Bürgerschaft von Wiesbaden in Anbetracht einer von dem AppellationSgerichte<lb/>
gegen ihn verfügten, jedoch von dem Herzog auf Wcrrens Bitten nieder¬<lb/>
geschlagenen Untersuchung wegen gewerbsmäßigen Zinswuchers in öffentlicher<lb/>
Versammlung durch einen nach langer Discussion zwischen Dr. Braun, als An¬<lb/>
kläger, und Werren selbst, als Angeklagten, für bescholten und deshalb unbe¬<lb/>
rechtigt zur Ausübung des Wahlrechts erklärte), &#x2014; alles das ist durch die<lb/>
Tagespresse der Welt bekannt geworden. Wir wollen es hier, um nicht wieder<lb/>
&#x201E;der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl zu wecken", nicht wiederholen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1216"> Aber wie der Herzog von Nassau dazu kam, einen solchen Mann &#x2014; Werren<lb/>
ist ein mittelmäßiger Kopf ohne Kenntnisse &#x2014; und ein solches System zu<lb/>
wählen, &#x2014; das ist schwer zu begreifen und bedarf einer Erörterung. Man be¬<lb/>
hauptet, es sei infolge einer dringenden Empfehlung von Wien aus geschehen.<lb/>
Ob dies wahr ist, wissen wir nicht. Allein wir bedürfen auch dieser Hypothese<lb/>
nicht zur Erläuterung des Sachverhalts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1217" next="#ID_1218"> Das Bewußtsein, den Liberalen Versprechungen gemacht, ihnen &#x2014; diesen<lb/>
&#x201E;Kerls", diesen &#x201E;Canaillen", &#x2014; so und nie anders nennt der Stallmeister des<lb/>
Herzogs Freiherr Fritz von Breidbach-Bürresheim genannt von und zu Ried<lb/>
die liberalen Mitglieder des Landtags &#x2014; gegenüber Verpflichtungen eingegangen<lb/>
zu haben, drückte schwer in gewissen Kreisen. Der Gedanke an Pflichten schien<lb/>
fast eine Gefährdung der Souveränetät in sich zu schließen. Man wollte sie<lb/>
um jeden Preis, sei es auch um den einer vorübergehenden Herrschaft der Klerikalen<lb/>
&#x2014;- deren man sich später doch wieder zu entledigen gedachte &#x2014; los werden.<lb/>
Gelang es mit der Kunst und den Mitteln, die der von dem Herzog für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] von Dr. Braun „Die wirthschaftlichen Verhältnisse des Herzogthums Nassau" (Wiesbaden 1863) aufgezählt finden. Es kam zu einem heftigen Zusammen¬ stoße zwischen dem klerikalen Regiment und dem liberalen Landtag. Man ist 1864 zum ersten, 1865 zum zweiten Male zu Neuwahlen geschritten. Die Reihen der liberalen Partei im Lande und im Landtage haben sich dadurch nur verstärkt, trotzdem daß Werren kein Mittel, den entgegengesetzten Erfolg zu- er¬ zielen, unversucht ließ. Er verbot den Liberalen das gesetzlich Erlaubte und erlaubte den sogenannten „Conservativen" das gesetzlich Verbotene. Seine Wahlmanöver waren ebenso originell als unerhört. Es würde bogenlanger Schilderungen bedürfen, um sie erschöpfend darzustellen. Wer sich näher darüber informiren will, den verweisen wir auf das Schriftchen: „Die Wahlmißbräuche in Nassau, Reden der Abgeordneten Dr. Lang und Dr. Braun, gehalten bei der am 10. August 1865 vorgenommenen Prüfung der Wahlen zur zweiten Kammer." (Wiesbaden, 1865.) Aller Kraftaufwand an Gewalt und an Cor- ruption hat nur dazu gedient, die liberale Partei zu stärken und die Autorität der gemißbrauchten Staatsdiener zu schwächen. Wie Werren regierte, und wie er siel (nämlich infolge dessen, daß ihn die Bürgerschaft von Wiesbaden in Anbetracht einer von dem AppellationSgerichte gegen ihn verfügten, jedoch von dem Herzog auf Wcrrens Bitten nieder¬ geschlagenen Untersuchung wegen gewerbsmäßigen Zinswuchers in öffentlicher Versammlung durch einen nach langer Discussion zwischen Dr. Braun, als An¬ kläger, und Werren selbst, als Angeklagten, für bescholten und deshalb unbe¬ rechtigt zur Ausübung des Wahlrechts erklärte), — alles das ist durch die Tagespresse der Welt bekannt geworden. Wir wollen es hier, um nicht wieder „der alten Wunde unnennbar schmerzliches Gefühl zu wecken", nicht wiederholen. Aber wie der Herzog von Nassau dazu kam, einen solchen Mann — Werren ist ein mittelmäßiger Kopf ohne Kenntnisse — und ein solches System zu wählen, — das ist schwer zu begreifen und bedarf einer Erörterung. Man be¬ hauptet, es sei infolge einer dringenden Empfehlung von Wien aus geschehen. Ob dies wahr ist, wissen wir nicht. Allein wir bedürfen auch dieser Hypothese nicht zur Erläuterung des Sachverhalts. Das Bewußtsein, den Liberalen Versprechungen gemacht, ihnen — diesen „Kerls", diesen „Canaillen", — so und nie anders nennt der Stallmeister des Herzogs Freiherr Fritz von Breidbach-Bürresheim genannt von und zu Ried die liberalen Mitglieder des Landtags — gegenüber Verpflichtungen eingegangen zu haben, drückte schwer in gewissen Kreisen. Der Gedanke an Pflichten schien fast eine Gefährdung der Souveränetät in sich zu schließen. Man wollte sie um jeden Preis, sei es auch um den einer vorübergehenden Herrschaft der Klerikalen —- deren man sich später doch wieder zu entledigen gedachte — los werden. Gelang es mit der Kunst und den Mitteln, die der von dem Herzog für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/403>, abgerufen am 28.07.2024.