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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ich bei Gericht umherirren, da ja bei Euch die Verwaltung allmächtig ist, da
ja in Nassau etwas ihr Mißfälliges nicht gedruckt werden darf und Ihr soeben
erst ein paar Zeitungen ohne Urtheil und Recht mit dem Polizeistock todt¬
geschlagen habt?" Die Sache wurde so weit getrieben, daß der Herzog von
Nassau ein eigenhändiges Entschuldigungsschreiben an den König von Preußen
richtete. Jedenfalls hat dem ersteren diese Angelegenheit manche, schwere Stunde
gemacht, die ihm erspart worden wäre, wenn seine Negierung nicht die ver¬
fassungsmäßige Preßfreiheit beseitigt und beiden Theilen gleiches Recht gewährt
hätte. Die Kamarilla aber benutzte den Fall, um dem Herzog vorzutragen, das
Ganze sei eine ihm von dem Nationalverein gestellte Falle, wie man denn über¬
haupt diesen Verein, der in Nassau allerdings und zwar grade infolge der
klerikalen Schwenkung der Negierung, welche man östreichischen Einflüssen zu¬
schrieb, verhältnißmäßig viel Mitglieder zählte, als eine von gefährlichen blut¬
rothen Verschwörern dirigirte, allzeit schlagfertige Mediatisirungs-Guillotine dar¬
zustellen liebte. Man hat dieses Schreckbild trefflich ausgebeutet und große Erfolge
damit erzielt. Denn blinde Furcht und blinder Eifer treiben oft zu terroristischen
Maßregeln.

In gleicher Weise wurde die handelspolitische Bewegung zu Gunsten der
klerikalen und reactionären Partei ausgebeutet. Da Nassau mit seinen wichtigsten
Productionszweigen, mit Viehzucht, Weinbau und Montanindustrie, fast aus¬
schließlich auf Preußen angewiesen ist, und die Bevölkerung von Foucher, Braun
und Max Wirth volkswirthschaftlich unterrichtet und fast durchweg, soweit sie
ein eigenes Urtheil hat, freihändlerisch gesinnt ist, so stand sie natürlich in der
Zeit von 1862 bis 1864 auf der Seite Preußens und der westeuropäischen
Handelsverträge. Auch dieser Umstand wurde als ein Symptom des annexion¬
istischen Preußenthums interpretirt; und während die Bevölkerung des Landes
in gutem Glauben für ihre materiellen Interessen kämpfte, beschuldigte sie das
officielle Blatt deshalb des "Hoch- und Lcmdesverrathes"; ja ein klerikaler
Criminalrichter, welchen aus Werrens Empfehlung die wegen eines kleinen
Guts mit der Landstandschaft begabte Gräfin Seraphine Franziska Barbara
Neu-Leiningen-Westerburg, nassauische Linie, zum stellvertretenden Mitgliede des
nassauischen Herrnhauses erhoben hatte, proclamirte den Handelsvertrag mit
Frankreich noch im Sommer 1864, kurz ehe die Negierung ihm beitreten mußte,
als eine "Schandsäule".

So war die Entzweiung zwischen dem Lande und der Regierung immer
größer geworden. Die ganze besitzende und intelligente Bevölkerung stand auf
Seiten der Opposition. Zur Negierung stand nur eine kleine Minorität, be¬
stehend aus einander innerlich entfremdeten Elementen, nämlich der alten Bureau¬
kratie, der Hospartei, den Schutzzöllnern und der katholischen Geistlichkeit nebst
ihrem klerikalen Anhang, der sich hauptsächlich in den durch ihren Menschen-


ich bei Gericht umherirren, da ja bei Euch die Verwaltung allmächtig ist, da
ja in Nassau etwas ihr Mißfälliges nicht gedruckt werden darf und Ihr soeben
erst ein paar Zeitungen ohne Urtheil und Recht mit dem Polizeistock todt¬
geschlagen habt?" Die Sache wurde so weit getrieben, daß der Herzog von
Nassau ein eigenhändiges Entschuldigungsschreiben an den König von Preußen
richtete. Jedenfalls hat dem ersteren diese Angelegenheit manche, schwere Stunde
gemacht, die ihm erspart worden wäre, wenn seine Negierung nicht die ver¬
fassungsmäßige Preßfreiheit beseitigt und beiden Theilen gleiches Recht gewährt
hätte. Die Kamarilla aber benutzte den Fall, um dem Herzog vorzutragen, das
Ganze sei eine ihm von dem Nationalverein gestellte Falle, wie man denn über¬
haupt diesen Verein, der in Nassau allerdings und zwar grade infolge der
klerikalen Schwenkung der Negierung, welche man östreichischen Einflüssen zu¬
schrieb, verhältnißmäßig viel Mitglieder zählte, als eine von gefährlichen blut¬
rothen Verschwörern dirigirte, allzeit schlagfertige Mediatisirungs-Guillotine dar¬
zustellen liebte. Man hat dieses Schreckbild trefflich ausgebeutet und große Erfolge
damit erzielt. Denn blinde Furcht und blinder Eifer treiben oft zu terroristischen
Maßregeln.

In gleicher Weise wurde die handelspolitische Bewegung zu Gunsten der
klerikalen und reactionären Partei ausgebeutet. Da Nassau mit seinen wichtigsten
Productionszweigen, mit Viehzucht, Weinbau und Montanindustrie, fast aus¬
schließlich auf Preußen angewiesen ist, und die Bevölkerung von Foucher, Braun
und Max Wirth volkswirthschaftlich unterrichtet und fast durchweg, soweit sie
ein eigenes Urtheil hat, freihändlerisch gesinnt ist, so stand sie natürlich in der
Zeit von 1862 bis 1864 auf der Seite Preußens und der westeuropäischen
Handelsverträge. Auch dieser Umstand wurde als ein Symptom des annexion¬
istischen Preußenthums interpretirt; und während die Bevölkerung des Landes
in gutem Glauben für ihre materiellen Interessen kämpfte, beschuldigte sie das
officielle Blatt deshalb des „Hoch- und Lcmdesverrathes"; ja ein klerikaler
Criminalrichter, welchen aus Werrens Empfehlung die wegen eines kleinen
Guts mit der Landstandschaft begabte Gräfin Seraphine Franziska Barbara
Neu-Leiningen-Westerburg, nassauische Linie, zum stellvertretenden Mitgliede des
nassauischen Herrnhauses erhoben hatte, proclamirte den Handelsvertrag mit
Frankreich noch im Sommer 1864, kurz ehe die Negierung ihm beitreten mußte,
als eine „Schandsäule".

So war die Entzweiung zwischen dem Lande und der Regierung immer
größer geworden. Die ganze besitzende und intelligente Bevölkerung stand auf
Seiten der Opposition. Zur Negierung stand nur eine kleine Minorität, be¬
stehend aus einander innerlich entfremdeten Elementen, nämlich der alten Bureau¬
kratie, der Hospartei, den Schutzzöllnern und der katholischen Geistlichkeit nebst
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/400>, abgerufen am 28.07.2024.