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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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kleinerer Nationalitäten entgegentreten zu können. Den/Ausgleich mit Ungarn
will er offen und ehrlich.

Die deutsche Partei Böhmens wurde bei den Landtagswahlen im Februar
1861 gegründet, und seitdem sie damals unter der Devise "Freisinnig und
deutsch" zum ersten Male zusammentrat, hat sie fleißig gewirkt und sich von Tag
zu Tage mehr entwickelt. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit durchströmt
alle ihre Glieder,, die unreinen und halben Elemente sind ausgestoßen, muthig
schreitet man trotz wiederholter Niederlagen vorwärts und ist zu immer neuen
Opfern bereit. Die durch ihre ungünstige geographische Lage zersplitterten
Deutschböhmen finden in Prag nun einen trefflichen Halt und operiren nach
einem gemeinsamen Plane. Die erste Stelle unter den Deutschen nimmt un¬
bedingt Professor Eduard Herbst ein. Er ist als ausgezeichneter Strafrechts-
lehrer bekannt; unschätzbar ist er jedoch im Landtage. Bekanntlich spielte er
im Abgeordnetenhause des wiener Reichsrathes bereits eine hervorragende Rolle;
im böhmischen Landtage aber steht er in jeder Beziehung in erster Linie da.
mit ihm kann sich kein Tscheche auch nur entfernt messen; sein Scharfsinn, seine
Beredsamkeit, die große Menge von brauchbaren Thatsachen, die er stets in
der Debatte anzuführen weiß, sichern ihm, wenn er spricht, wenigstens immer
den moralischen Sieg. Neben ihm steht Dr. Alois Brinz. ein Schwabe von
Geburt, als tüchtiger Romanist von den Fachleuten geschätzt und durch seine
markige Redeweise, seine Ueberzeugungstreue und stramme deutsche Gesinnung
für die Partei von großem Werthe. Leiber hat er einen Ruf nach Tübingen
angenommen, und die Deutschen Böhmens sehen ihn mit Leidwesen scheiden.
Als dritter unter den Führern erscheint Leopold Von Hafner, der ehemalige
Präsident des wiener Abgeordnetenhauses. Die Eleganz und Formgcwandtheit
seiner Rede wird in Oestreich schwerlich noch einmal gefunden. Seit er ganz
und ungetheilt in der Opposition steht, hat er an Klarheit und Kraft gewonnen,
und wie sehr auch die Partei, der er angehört, verleumdet und befehdet wird,
er selbst genießt die Achtung aller. Ihm wurde die leichte und doch schöne
Aufgabe zu Theil, im letzten Landtage die Größe der deutschen Literatur gegen¬
über den Tschechen zu vertreten. Da man in Böhmen stets auf die "historischen
Rechte" zurückgreift und der Landtag manchmal eher einem Colleg über Ge¬
schichte als einer politischen Versammlung gleicht, so haben die Deutschen in
Constantin Hohler ihren tüchtigen und allzeit schlagfertigen Historiographen, der
mit unerbittlicher Strenge so manches Trug- und Phantasiegespinnst Palazkys
zu nichte macht. Er wies schonungslos das Märchen von der "Wcnzclstrone"
nach und öffnete den Deutschen die Augen über das weit mehr nationale (anti¬
deutsche) als religiöse Treiben des Johann Huß. Dafür ist er von tschechischen
Studenten thätlich insultirt worden. Die deutsche Journalistik ist durch David
Kuh (Redacteur des Tagesboten) wohl vertreten. Derselbe begann verlassen


Grenzboten II. 18os. 37

kleinerer Nationalitäten entgegentreten zu können. Den/Ausgleich mit Ungarn
will er offen und ehrlich.

Die deutsche Partei Böhmens wurde bei den Landtagswahlen im Februar
1861 gegründet, und seitdem sie damals unter der Devise „Freisinnig und
deutsch" zum ersten Male zusammentrat, hat sie fleißig gewirkt und sich von Tag
zu Tage mehr entwickelt. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit durchströmt
alle ihre Glieder,, die unreinen und halben Elemente sind ausgestoßen, muthig
schreitet man trotz wiederholter Niederlagen vorwärts und ist zu immer neuen
Opfern bereit. Die durch ihre ungünstige geographische Lage zersplitterten
Deutschböhmen finden in Prag nun einen trefflichen Halt und operiren nach
einem gemeinsamen Plane. Die erste Stelle unter den Deutschen nimmt un¬
bedingt Professor Eduard Herbst ein. Er ist als ausgezeichneter Strafrechts-
lehrer bekannt; unschätzbar ist er jedoch im Landtage. Bekanntlich spielte er
im Abgeordnetenhause des wiener Reichsrathes bereits eine hervorragende Rolle;
im böhmischen Landtage aber steht er in jeder Beziehung in erster Linie da.
mit ihm kann sich kein Tscheche auch nur entfernt messen; sein Scharfsinn, seine
Beredsamkeit, die große Menge von brauchbaren Thatsachen, die er stets in
der Debatte anzuführen weiß, sichern ihm, wenn er spricht, wenigstens immer
den moralischen Sieg. Neben ihm steht Dr. Alois Brinz. ein Schwabe von
Geburt, als tüchtiger Romanist von den Fachleuten geschätzt und durch seine
markige Redeweise, seine Ueberzeugungstreue und stramme deutsche Gesinnung
für die Partei von großem Werthe. Leiber hat er einen Ruf nach Tübingen
angenommen, und die Deutschen Böhmens sehen ihn mit Leidwesen scheiden.
Als dritter unter den Führern erscheint Leopold Von Hafner, der ehemalige
Präsident des wiener Abgeordnetenhauses. Die Eleganz und Formgcwandtheit
seiner Rede wird in Oestreich schwerlich noch einmal gefunden. Seit er ganz
und ungetheilt in der Opposition steht, hat er an Klarheit und Kraft gewonnen,
und wie sehr auch die Partei, der er angehört, verleumdet und befehdet wird,
er selbst genießt die Achtung aller. Ihm wurde die leichte und doch schöne
Aufgabe zu Theil, im letzten Landtage die Größe der deutschen Literatur gegen¬
über den Tschechen zu vertreten. Da man in Böhmen stets auf die „historischen
Rechte" zurückgreift und der Landtag manchmal eher einem Colleg über Ge¬
schichte als einer politischen Versammlung gleicht, so haben die Deutschen in
Constantin Hohler ihren tüchtigen und allzeit schlagfertigen Historiographen, der
mit unerbittlicher Strenge so manches Trug- und Phantasiegespinnst Palazkys
zu nichte macht. Er wies schonungslos das Märchen von der „Wcnzclstrone"
nach und öffnete den Deutschen die Augen über das weit mehr nationale (anti¬
deutsche) als religiöse Treiben des Johann Huß. Dafür ist er von tschechischen
Studenten thätlich insultirt worden. Die deutsche Journalistik ist durch David
Kuh (Redacteur des Tagesboten) wohl vertreten. Derselbe begann verlassen


Grenzboten II. 18os. 37
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[0313] kleinerer Nationalitäten entgegentreten zu können. Den/Ausgleich mit Ungarn will er offen und ehrlich. Die deutsche Partei Böhmens wurde bei den Landtagswahlen im Februar 1861 gegründet, und seitdem sie damals unter der Devise „Freisinnig und deutsch" zum ersten Male zusammentrat, hat sie fleißig gewirkt und sich von Tag zu Tage mehr entwickelt. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit durchströmt alle ihre Glieder,, die unreinen und halben Elemente sind ausgestoßen, muthig schreitet man trotz wiederholter Niederlagen vorwärts und ist zu immer neuen Opfern bereit. Die durch ihre ungünstige geographische Lage zersplitterten Deutschböhmen finden in Prag nun einen trefflichen Halt und operiren nach einem gemeinsamen Plane. Die erste Stelle unter den Deutschen nimmt un¬ bedingt Professor Eduard Herbst ein. Er ist als ausgezeichneter Strafrechts- lehrer bekannt; unschätzbar ist er jedoch im Landtage. Bekanntlich spielte er im Abgeordnetenhause des wiener Reichsrathes bereits eine hervorragende Rolle; im böhmischen Landtage aber steht er in jeder Beziehung in erster Linie da. mit ihm kann sich kein Tscheche auch nur entfernt messen; sein Scharfsinn, seine Beredsamkeit, die große Menge von brauchbaren Thatsachen, die er stets in der Debatte anzuführen weiß, sichern ihm, wenn er spricht, wenigstens immer den moralischen Sieg. Neben ihm steht Dr. Alois Brinz. ein Schwabe von Geburt, als tüchtiger Romanist von den Fachleuten geschätzt und durch seine markige Redeweise, seine Ueberzeugungstreue und stramme deutsche Gesinnung für die Partei von großem Werthe. Leiber hat er einen Ruf nach Tübingen angenommen, und die Deutschen Böhmens sehen ihn mit Leidwesen scheiden. Als dritter unter den Führern erscheint Leopold Von Hafner, der ehemalige Präsident des wiener Abgeordnetenhauses. Die Eleganz und Formgcwandtheit seiner Rede wird in Oestreich schwerlich noch einmal gefunden. Seit er ganz und ungetheilt in der Opposition steht, hat er an Klarheit und Kraft gewonnen, und wie sehr auch die Partei, der er angehört, verleumdet und befehdet wird, er selbst genießt die Achtung aller. Ihm wurde die leichte und doch schöne Aufgabe zu Theil, im letzten Landtage die Größe der deutschen Literatur gegen¬ über den Tschechen zu vertreten. Da man in Böhmen stets auf die „historischen Rechte" zurückgreift und der Landtag manchmal eher einem Colleg über Ge¬ schichte als einer politischen Versammlung gleicht, so haben die Deutschen in Constantin Hohler ihren tüchtigen und allzeit schlagfertigen Historiographen, der mit unerbittlicher Strenge so manches Trug- und Phantasiegespinnst Palazkys zu nichte macht. Er wies schonungslos das Märchen von der „Wcnzclstrone" nach und öffnete den Deutschen die Augen über das weit mehr nationale (anti¬ deutsche) als religiöse Treiben des Johann Huß. Dafür ist er von tschechischen Studenten thätlich insultirt worden. Die deutsche Journalistik ist durch David Kuh (Redacteur des Tagesboten) wohl vertreten. Derselbe begann verlassen Grenzboten II. 18os. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/313>, abgerufen am 28.07.2024.