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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Sie dringend, und da die Vorsehung uns andre Wege, als den der Landung
andeutet, so wählen Sie ihn." -- Gneisenau antwortete auf diesen Brief sehr
empfindlich und wies dabei die Pläne Steins für eine Umgestaltung Deutsch¬
lands zurück; er sagt: "In einem frühern Briefe wollen Sie das ganze nörd¬
liche Deutschland an Preußen geben; in Ihrem jüngsten wollen Sie ganz
Deutschland zur Einheit unter Oestreich organisiren. Bei dem ersten ihrer Ent¬
würfe würden wir hier und selbst in den verschiedenen deutschen Völkerschaften
den heftigsten Widerstand finden und uns noch obendrein des Undanks schuldig
machen. -- Preußen ist ein kranker Körper mit niedergeschlagener Seele, der
nur durch Pflege und gütige Behandlung seiner Nachbarn wieder Kraft erhalten
kann, und der Kranke sollte damit anfangen, seine Nachbarn aus ihren Woh¬
nungen zu treiben? Das ist ebenso unausführbar, als es ungerecht ist. Zu
dem zweiten Ihrer Entwürfe muß wenigstens ich meine Mitwirkung verweigern.
Die Ausführbarkeit einer Zerstückelung Preußens ist wohl vorhanden, aber ob
das Verschwinden eines Staates von der Bedeutung als Preußen nicht das
Gleichgewicht auf andere Weise stören werde, mögen diejenigen berechnen, die
eine solche revolutionäre Maßregel anrathen und unterstützen."

Wir sehen aus diesen gegenseitigen Bemerkungen, wie viel großartiger
Stein die nothwendigen Veränderungen Deutschlands ansah als Gneisenau, und
wie unzureichend beide Männer, die an der Spitze der Bewegung in Preußen
gestanden hatten, die innere Kraft und Bedeutung dieses Landes beurtheilten,
das in kurzer Zeit durch die Großartigkeit seiner Leistungen und die Intensität
seiner Begeisterung für den Kampf an die Spitze der kriegführenden Mächte
trat. Beide waren eben keine Preußen; Stein aber ein durch und durch
deutscher Mann, der für Deutschland fühlte, Gneisenau dagegen eine ganz
deutsche Natur, welche sich in den großen Interessen des Vaterlandes fort und
fort individualisirte.

Die schweren Schläge, welche Napoleon auf seinem Rückzüge aus Rußland
trafen, fingen endlich an auf die preußische Regierung zu wirken. Der Staats¬
kanzler Hardenberg wandte sich dann gleich an Gneisenau, um durch ihn eine
Verbindung mit England und von diesem eine materielle Unterstützung zu er¬
wirken. Gneisenau unterzog sich diesen Aufträgen, verfolgte daneben aber immer
noch seine besonderen Pläne, und erst als aus Preußen immer neue Beweise
Von erwachenden Leben zu Gneisenau drangen, knüpfte er seine persönlichen
Interessen an den bereits aufgegebenen Staat. Mitte Januar schreibt Gneisenau
an das englische Ministerium: "Der Abfall der preußischen Corps unter Ge¬
neral v. Nork läßt hoffen, daß der Geist der preußischen Truppen diesem Beispiel
zu folgen reif ist. Ich will daher versuchen in dieser Beziehung auf die Truppen
in Pommern, insbesondere auf die Besatzung von Kolberg zu wirken. Zu
diesem Zweck verlange ich:


Sie dringend, und da die Vorsehung uns andre Wege, als den der Landung
andeutet, so wählen Sie ihn." — Gneisenau antwortete auf diesen Brief sehr
empfindlich und wies dabei die Pläne Steins für eine Umgestaltung Deutsch¬
lands zurück; er sagt: „In einem frühern Briefe wollen Sie das ganze nörd¬
liche Deutschland an Preußen geben; in Ihrem jüngsten wollen Sie ganz
Deutschland zur Einheit unter Oestreich organisiren. Bei dem ersten ihrer Ent¬
würfe würden wir hier und selbst in den verschiedenen deutschen Völkerschaften
den heftigsten Widerstand finden und uns noch obendrein des Undanks schuldig
machen. — Preußen ist ein kranker Körper mit niedergeschlagener Seele, der
nur durch Pflege und gütige Behandlung seiner Nachbarn wieder Kraft erhalten
kann, und der Kranke sollte damit anfangen, seine Nachbarn aus ihren Woh¬
nungen zu treiben? Das ist ebenso unausführbar, als es ungerecht ist. Zu
dem zweiten Ihrer Entwürfe muß wenigstens ich meine Mitwirkung verweigern.
Die Ausführbarkeit einer Zerstückelung Preußens ist wohl vorhanden, aber ob
das Verschwinden eines Staates von der Bedeutung als Preußen nicht das
Gleichgewicht auf andere Weise stören werde, mögen diejenigen berechnen, die
eine solche revolutionäre Maßregel anrathen und unterstützen."

Wir sehen aus diesen gegenseitigen Bemerkungen, wie viel großartiger
Stein die nothwendigen Veränderungen Deutschlands ansah als Gneisenau, und
wie unzureichend beide Männer, die an der Spitze der Bewegung in Preußen
gestanden hatten, die innere Kraft und Bedeutung dieses Landes beurtheilten,
das in kurzer Zeit durch die Großartigkeit seiner Leistungen und die Intensität
seiner Begeisterung für den Kampf an die Spitze der kriegführenden Mächte
trat. Beide waren eben keine Preußen; Stein aber ein durch und durch
deutscher Mann, der für Deutschland fühlte, Gneisenau dagegen eine ganz
deutsche Natur, welche sich in den großen Interessen des Vaterlandes fort und
fort individualisirte.

Die schweren Schläge, welche Napoleon auf seinem Rückzüge aus Rußland
trafen, fingen endlich an auf die preußische Regierung zu wirken. Der Staats¬
kanzler Hardenberg wandte sich dann gleich an Gneisenau, um durch ihn eine
Verbindung mit England und von diesem eine materielle Unterstützung zu er¬
wirken. Gneisenau unterzog sich diesen Aufträgen, verfolgte daneben aber immer
noch seine besonderen Pläne, und erst als aus Preußen immer neue Beweise
Von erwachenden Leben zu Gneisenau drangen, knüpfte er seine persönlichen
Interessen an den bereits aufgegebenen Staat. Mitte Januar schreibt Gneisenau
an das englische Ministerium: „Der Abfall der preußischen Corps unter Ge¬
neral v. Nork läßt hoffen, daß der Geist der preußischen Truppen diesem Beispiel
zu folgen reif ist. Ich will daher versuchen in dieser Beziehung auf die Truppen
in Pommern, insbesondere auf die Besatzung von Kolberg zu wirken. Zu
diesem Zweck verlange ich:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/292>, abgerufen am 01.09.2024.