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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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gleich die Rekrutirung, die in den päpstlichen Staaten und in Sicilien eine un¬
bekannte Institution war, und auf welche die niedere Classe dort gradezu mit
Abscheu blickte, da der Soldat derselben bisher als Miethling und nicht als
Vertheidiger des Vaterlandes, sondern als Wächter und Scherge der Tyrannei
gegenübergestanden hatte. War infolge dessen die Conscription in diesen Ge¬
bieten häufig nur mit Anwendung von Gewaltmaßregeln durchzusehen, so standen
ihr auch in den andern Provinzen mancherlei Hemmnisse entgegen, indem in der
Lombardei andre Rekrutirungsgesehe als in Neapel, in Toskana oder Parma
wieder andere wie in Piemont in der Uebung waren, und man diese Usanccn
nicht sofort mit den Regeln vertauschen konnte, die in Turin galten.

Alle diese Hindernisse der Schöpfung eines nationalen Heeres und manche
weniger wichtige, die hier unerwähnt bleiben, sind, wie unsre Schrift zeigt, so¬
weit es die Natur der Dinge gestattete, von den Organisatoren der italienischen
Armee mit großem Geschick überwunden worden. Man legte dabei selbst¬
verständlich die Einrichtungen des piemontesischen Militärs zu Grunde, einmal weil
diese in Italien die besten waren, dann aber, weil das Heer Piemonts durch die
Ereignisse der jüngsten Vergangenheit allein nicht moralisch erschüttert war, und
schließlich, weil Piemont durch seine Initiative in den gemeinsamen Angelegen¬
heiten sich ohnehin die Rolle des Führers verschafft hatte. >

Die toskanische Armee, die bei Beginn des Kriegs von 1859 den Anschluß
an die französisch-sardinische verlangt hatte, schloß sich, nachdem ihr Oisiziers-
corps den Großherzog ritterlich als Ehrengarde bis zur Grenze begleitet und
ihm dort Lebewohl gesagt, an die piemontesische an. Sie blieb zunächst bei¬
sammen, und da ihre Organisation, der des östreichischen Heeres nachgebildet,
eine gute war, so beließ man es einige Zeit dabei. Indeß war ihre Zahl zu
klein, als daß sie auf die Neugestaltung der Nationalarmee hätte Einfluß haben
können, und so wurde sie mit derselben später einfach verschmolzen. Dasselbe
geschah mit der parmesischen und mit der nach 1860 geschaffenen emilischen so¬
wie mit der modcnesischen. als dieselbe, von ihrem Herzog auf östreichisches
Gebiet geführt und bis 1863 dort vereint geblieben, nach Hause entlassen wurde.

Anders hätte es sich mit dem neapolitanischen Heere gestalten können, wenn
es sich als Ganzes an die norditalienische Armee angeschlossen hätte; denn es
war der Zahl nach fast so stark als die Kontingente Nord- und Mittelitaliens
zusammen. Die Truppen Franz. des Zweiten lösten sich aber nach dem Fall
von Capua und Gaeta ganz auf, und so war natürlich nur noch von einer
Aufnahme der auseinandergegangnen Elemente in den bereits existirenden Heeres¬
organismus des Nordens die Rede. Piemont war vollständig Herr der Ver¬
hältnisse, und so wurde seine Armee Kern, Grundlage und Fachwerk des sich
neubildenden militärischen Baues. Niemand fand dagegen etwas einzuwenden,
und namentlich das Offizierscorps unterstützte das neue System in der aufrichtigen


gleich die Rekrutirung, die in den päpstlichen Staaten und in Sicilien eine un¬
bekannte Institution war, und auf welche die niedere Classe dort gradezu mit
Abscheu blickte, da der Soldat derselben bisher als Miethling und nicht als
Vertheidiger des Vaterlandes, sondern als Wächter und Scherge der Tyrannei
gegenübergestanden hatte. War infolge dessen die Conscription in diesen Ge¬
bieten häufig nur mit Anwendung von Gewaltmaßregeln durchzusehen, so standen
ihr auch in den andern Provinzen mancherlei Hemmnisse entgegen, indem in der
Lombardei andre Rekrutirungsgesehe als in Neapel, in Toskana oder Parma
wieder andere wie in Piemont in der Uebung waren, und man diese Usanccn
nicht sofort mit den Regeln vertauschen konnte, die in Turin galten.

Alle diese Hindernisse der Schöpfung eines nationalen Heeres und manche
weniger wichtige, die hier unerwähnt bleiben, sind, wie unsre Schrift zeigt, so¬
weit es die Natur der Dinge gestattete, von den Organisatoren der italienischen
Armee mit großem Geschick überwunden worden. Man legte dabei selbst¬
verständlich die Einrichtungen des piemontesischen Militärs zu Grunde, einmal weil
diese in Italien die besten waren, dann aber, weil das Heer Piemonts durch die
Ereignisse der jüngsten Vergangenheit allein nicht moralisch erschüttert war, und
schließlich, weil Piemont durch seine Initiative in den gemeinsamen Angelegen¬
heiten sich ohnehin die Rolle des Führers verschafft hatte. >

Die toskanische Armee, die bei Beginn des Kriegs von 1859 den Anschluß
an die französisch-sardinische verlangt hatte, schloß sich, nachdem ihr Oisiziers-
corps den Großherzog ritterlich als Ehrengarde bis zur Grenze begleitet und
ihm dort Lebewohl gesagt, an die piemontesische an. Sie blieb zunächst bei¬
sammen, und da ihre Organisation, der des östreichischen Heeres nachgebildet,
eine gute war, so beließ man es einige Zeit dabei. Indeß war ihre Zahl zu
klein, als daß sie auf die Neugestaltung der Nationalarmee hätte Einfluß haben
können, und so wurde sie mit derselben später einfach verschmolzen. Dasselbe
geschah mit der parmesischen und mit der nach 1860 geschaffenen emilischen so¬
wie mit der modcnesischen. als dieselbe, von ihrem Herzog auf östreichisches
Gebiet geführt und bis 1863 dort vereint geblieben, nach Hause entlassen wurde.

Anders hätte es sich mit dem neapolitanischen Heere gestalten können, wenn
es sich als Ganzes an die norditalienische Armee angeschlossen hätte; denn es
war der Zahl nach fast so stark als die Kontingente Nord- und Mittelitaliens
zusammen. Die Truppen Franz. des Zweiten lösten sich aber nach dem Fall
von Capua und Gaeta ganz auf, und so war natürlich nur noch von einer
Aufnahme der auseinandergegangnen Elemente in den bereits existirenden Heeres¬
organismus des Nordens die Rede. Piemont war vollständig Herr der Ver¬
hältnisse, und so wurde seine Armee Kern, Grundlage und Fachwerk des sich
neubildenden militärischen Baues. Niemand fand dagegen etwas einzuwenden,
und namentlich das Offizierscorps unterstützte das neue System in der aufrichtigen


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[0275] gleich die Rekrutirung, die in den päpstlichen Staaten und in Sicilien eine un¬ bekannte Institution war, und auf welche die niedere Classe dort gradezu mit Abscheu blickte, da der Soldat derselben bisher als Miethling und nicht als Vertheidiger des Vaterlandes, sondern als Wächter und Scherge der Tyrannei gegenübergestanden hatte. War infolge dessen die Conscription in diesen Ge¬ bieten häufig nur mit Anwendung von Gewaltmaßregeln durchzusehen, so standen ihr auch in den andern Provinzen mancherlei Hemmnisse entgegen, indem in der Lombardei andre Rekrutirungsgesehe als in Neapel, in Toskana oder Parma wieder andere wie in Piemont in der Uebung waren, und man diese Usanccn nicht sofort mit den Regeln vertauschen konnte, die in Turin galten. Alle diese Hindernisse der Schöpfung eines nationalen Heeres und manche weniger wichtige, die hier unerwähnt bleiben, sind, wie unsre Schrift zeigt, so¬ weit es die Natur der Dinge gestattete, von den Organisatoren der italienischen Armee mit großem Geschick überwunden worden. Man legte dabei selbst¬ verständlich die Einrichtungen des piemontesischen Militärs zu Grunde, einmal weil diese in Italien die besten waren, dann aber, weil das Heer Piemonts durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit allein nicht moralisch erschüttert war, und schließlich, weil Piemont durch seine Initiative in den gemeinsamen Angelegen¬ heiten sich ohnehin die Rolle des Führers verschafft hatte. > Die toskanische Armee, die bei Beginn des Kriegs von 1859 den Anschluß an die französisch-sardinische verlangt hatte, schloß sich, nachdem ihr Oisiziers- corps den Großherzog ritterlich als Ehrengarde bis zur Grenze begleitet und ihm dort Lebewohl gesagt, an die piemontesische an. Sie blieb zunächst bei¬ sammen, und da ihre Organisation, der des östreichischen Heeres nachgebildet, eine gute war, so beließ man es einige Zeit dabei. Indeß war ihre Zahl zu klein, als daß sie auf die Neugestaltung der Nationalarmee hätte Einfluß haben können, und so wurde sie mit derselben später einfach verschmolzen. Dasselbe geschah mit der parmesischen und mit der nach 1860 geschaffenen emilischen so¬ wie mit der modcnesischen. als dieselbe, von ihrem Herzog auf östreichisches Gebiet geführt und bis 1863 dort vereint geblieben, nach Hause entlassen wurde. Anders hätte es sich mit dem neapolitanischen Heere gestalten können, wenn es sich als Ganzes an die norditalienische Armee angeschlossen hätte; denn es war der Zahl nach fast so stark als die Kontingente Nord- und Mittelitaliens zusammen. Die Truppen Franz. des Zweiten lösten sich aber nach dem Fall von Capua und Gaeta ganz auf, und so war natürlich nur noch von einer Aufnahme der auseinandergegangnen Elemente in den bereits existirenden Heeres¬ organismus des Nordens die Rede. Piemont war vollständig Herr der Ver¬ hältnisse, und so wurde seine Armee Kern, Grundlage und Fachwerk des sich neubildenden militärischen Baues. Niemand fand dagegen etwas einzuwenden, und namentlich das Offizierscorps unterstützte das neue System in der aufrichtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/275>, abgerufen am 27.07.2024.