Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gefährlich, als die wiederholten acuten Ausbrüche leidenschaftlicher Aufregung,
welche durch die ununterbrochen sich wiederholenden Nepressivmaßregeln gegen
eine freigegebene Presse hervorgerufen werden würden: an den unbequemsten
Zustand gewöhnt man sich, keineswegs aber an immer wiederkehrende Ver¬
folgungen und Preßprocesse, die in Frankreich noch immer dazu beigetragen
haben, die extremsten Ansichten populär, die Opposition zur Beherrscherin des
Publikums zu machen. Daß, vom Standpunkt der französischen Regierung aus,
diese Erwägung ganz richtig ist, leuchtet ein.

Unter den Forderungen des Constitutionalismus stößt keine bei dem gegen¬
wärtig herrschenden System auf lebhafteren und leidenschaftlicheren Widerstand
als die der Ministerverantwortlichkeit. Auch diese Abneigung liegt tief im Wesen
des Napoleonismus begründet und ist speciell für Frankreich nicht ohne eine
gewisse Berechtigung. Die Ministerverantwortlichkeit ist der Schlußstein des
constitutionellen Systems, der feierliche Verzicht auf das absolute Regime. Nun
beruht aber in einer neuen Monarchie das Ansehen des Herrschers ganz aus
dessen eigner Thätigkeit und Tüchtigkeit, zumal in einem Volke wie das fran¬
zösische, das, so schwer es regierbar ist, doch regiert und determinirt sein will.
Der vorzügliche Verwaltungsorganismus Frankreichs fordert vor allen Dingen
Stabilität; die Macht, die derselbe in die Hände des jedesmaligen Ministeriums
legt, ist zu ausgedehnt, um ohne Gefahr für den Staat den Besitz derselben
von jedem Kammervotum abhängig und somit zum Spielball, nicht der bereits
erprobten Grundsätze fest consolidirter Parteien (denn die fehlen in Frankreich),
sondern des Ehrgeizes jedes beliebigen Ministercandidaten zu machen. Nehmen
wir nun im Augenblick an, Napoleon gewährte die Ministerverantwortlichkeit.
Was würde die Folge davon sein? Würde die Verantwortlichkeit der Minister
seine Person decken? Gewiß nicht, so wenig wie sie Ludwig Philipp gedeckt
hat, der in dieser Beziehung mit fast peinlicher Aengstlichkeit die Consequenzen
des konstitutionellen Princips gezogen hat. Die Folge würde einfach die sein,
daß die Angriffe gegen parlamentarisch verantwortliche Minister sich verdoppeln
würden, weil jedem Ministerium sofort Coterien von Ministercandidaten gegen¬
übertreten würden, daß aber jeder gegen ein Ministerium gerichtete Streich doch
die Stellung des unverantwortlichen Staatsoberhauptes treffen würde. In
einem Lande, in dem Dynastie gegen Dynastie, Republik gegen Monarchie steht,
ist die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes eine Phrase, die seine Thätig¬
keit beschränkt, ohne seiner Stellung eine erhöhte Sicherheit zu gewähren.

Es ist ein alter Zug der französischen Monarchie, nicht nur die Macht zu
concentriren, sondern den Herrscher als die Quelle alles Großen, alles Guten,
aller Ehren und Wohlthaten erscheinen zu lassen. Wollte der Fürst auf dieses
Vorrecht verzichten, so würde der Franzose sich sofort nach einer andern Macht
umsehen, die sein Bedürfniß nach einer populär, aber glänzend auftretenden und


gefährlich, als die wiederholten acuten Ausbrüche leidenschaftlicher Aufregung,
welche durch die ununterbrochen sich wiederholenden Nepressivmaßregeln gegen
eine freigegebene Presse hervorgerufen werden würden: an den unbequemsten
Zustand gewöhnt man sich, keineswegs aber an immer wiederkehrende Ver¬
folgungen und Preßprocesse, die in Frankreich noch immer dazu beigetragen
haben, die extremsten Ansichten populär, die Opposition zur Beherrscherin des
Publikums zu machen. Daß, vom Standpunkt der französischen Regierung aus,
diese Erwägung ganz richtig ist, leuchtet ein.

Unter den Forderungen des Constitutionalismus stößt keine bei dem gegen¬
wärtig herrschenden System auf lebhafteren und leidenschaftlicheren Widerstand
als die der Ministerverantwortlichkeit. Auch diese Abneigung liegt tief im Wesen
des Napoleonismus begründet und ist speciell für Frankreich nicht ohne eine
gewisse Berechtigung. Die Ministerverantwortlichkeit ist der Schlußstein des
constitutionellen Systems, der feierliche Verzicht auf das absolute Regime. Nun
beruht aber in einer neuen Monarchie das Ansehen des Herrschers ganz aus
dessen eigner Thätigkeit und Tüchtigkeit, zumal in einem Volke wie das fran¬
zösische, das, so schwer es regierbar ist, doch regiert und determinirt sein will.
Der vorzügliche Verwaltungsorganismus Frankreichs fordert vor allen Dingen
Stabilität; die Macht, die derselbe in die Hände des jedesmaligen Ministeriums
legt, ist zu ausgedehnt, um ohne Gefahr für den Staat den Besitz derselben
von jedem Kammervotum abhängig und somit zum Spielball, nicht der bereits
erprobten Grundsätze fest consolidirter Parteien (denn die fehlen in Frankreich),
sondern des Ehrgeizes jedes beliebigen Ministercandidaten zu machen. Nehmen
wir nun im Augenblick an, Napoleon gewährte die Ministerverantwortlichkeit.
Was würde die Folge davon sein? Würde die Verantwortlichkeit der Minister
seine Person decken? Gewiß nicht, so wenig wie sie Ludwig Philipp gedeckt
hat, der in dieser Beziehung mit fast peinlicher Aengstlichkeit die Consequenzen
des konstitutionellen Princips gezogen hat. Die Folge würde einfach die sein,
daß die Angriffe gegen parlamentarisch verantwortliche Minister sich verdoppeln
würden, weil jedem Ministerium sofort Coterien von Ministercandidaten gegen¬
übertreten würden, daß aber jeder gegen ein Ministerium gerichtete Streich doch
die Stellung des unverantwortlichen Staatsoberhauptes treffen würde. In
einem Lande, in dem Dynastie gegen Dynastie, Republik gegen Monarchie steht,
ist die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes eine Phrase, die seine Thätig¬
keit beschränkt, ohne seiner Stellung eine erhöhte Sicherheit zu gewähren.

Es ist ein alter Zug der französischen Monarchie, nicht nur die Macht zu
concentriren, sondern den Herrscher als die Quelle alles Großen, alles Guten,
aller Ehren und Wohlthaten erscheinen zu lassen. Wollte der Fürst auf dieses
Vorrecht verzichten, so würde der Franzose sich sofort nach einer andern Macht
umsehen, die sein Bedürfniß nach einer populär, aber glänzend auftretenden und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285292"/>
          <p xml:id="ID_760" prev="#ID_759"> gefährlich, als die wiederholten acuten Ausbrüche leidenschaftlicher Aufregung,<lb/>
welche durch die ununterbrochen sich wiederholenden Nepressivmaßregeln gegen<lb/>
eine freigegebene Presse hervorgerufen werden würden: an den unbequemsten<lb/>
Zustand gewöhnt man sich, keineswegs aber an immer wiederkehrende Ver¬<lb/>
folgungen und Preßprocesse, die in Frankreich noch immer dazu beigetragen<lb/>
haben, die extremsten Ansichten populär, die Opposition zur Beherrscherin des<lb/>
Publikums zu machen. Daß, vom Standpunkt der französischen Regierung aus,<lb/>
diese Erwägung ganz richtig ist, leuchtet ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761"> Unter den Forderungen des Constitutionalismus stößt keine bei dem gegen¬<lb/>
wärtig herrschenden System auf lebhafteren und leidenschaftlicheren Widerstand<lb/>
als die der Ministerverantwortlichkeit. Auch diese Abneigung liegt tief im Wesen<lb/>
des Napoleonismus begründet und ist speciell für Frankreich nicht ohne eine<lb/>
gewisse Berechtigung. Die Ministerverantwortlichkeit ist der Schlußstein des<lb/>
constitutionellen Systems, der feierliche Verzicht auf das absolute Regime. Nun<lb/>
beruht aber in einer neuen Monarchie das Ansehen des Herrschers ganz aus<lb/>
dessen eigner Thätigkeit und Tüchtigkeit, zumal in einem Volke wie das fran¬<lb/>
zösische, das, so schwer es regierbar ist, doch regiert und determinirt sein will.<lb/>
Der vorzügliche Verwaltungsorganismus Frankreichs fordert vor allen Dingen<lb/>
Stabilität; die Macht, die derselbe in die Hände des jedesmaligen Ministeriums<lb/>
legt, ist zu ausgedehnt, um ohne Gefahr für den Staat den Besitz derselben<lb/>
von jedem Kammervotum abhängig und somit zum Spielball, nicht der bereits<lb/>
erprobten Grundsätze fest consolidirter Parteien (denn die fehlen in Frankreich),<lb/>
sondern des Ehrgeizes jedes beliebigen Ministercandidaten zu machen. Nehmen<lb/>
wir nun im Augenblick an, Napoleon gewährte die Ministerverantwortlichkeit.<lb/>
Was würde die Folge davon sein? Würde die Verantwortlichkeit der Minister<lb/>
seine Person decken? Gewiß nicht, so wenig wie sie Ludwig Philipp gedeckt<lb/>
hat, der in dieser Beziehung mit fast peinlicher Aengstlichkeit die Consequenzen<lb/>
des konstitutionellen Princips gezogen hat. Die Folge würde einfach die sein,<lb/>
daß die Angriffe gegen parlamentarisch verantwortliche Minister sich verdoppeln<lb/>
würden, weil jedem Ministerium sofort Coterien von Ministercandidaten gegen¬<lb/>
übertreten würden, daß aber jeder gegen ein Ministerium gerichtete Streich doch<lb/>
die Stellung des unverantwortlichen Staatsoberhauptes treffen würde. In<lb/>
einem Lande, in dem Dynastie gegen Dynastie, Republik gegen Monarchie steht,<lb/>
ist die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes eine Phrase, die seine Thätig¬<lb/>
keit beschränkt, ohne seiner Stellung eine erhöhte Sicherheit zu gewähren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762" next="#ID_763"> Es ist ein alter Zug der französischen Monarchie, nicht nur die Macht zu<lb/>
concentriren, sondern den Herrscher als die Quelle alles Großen, alles Guten,<lb/>
aller Ehren und Wohlthaten erscheinen zu lassen. Wollte der Fürst auf dieses<lb/>
Vorrecht verzichten, so würde der Franzose sich sofort nach einer andern Macht<lb/>
umsehen, die sein Bedürfniß nach einer populär, aber glänzend auftretenden und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] gefährlich, als die wiederholten acuten Ausbrüche leidenschaftlicher Aufregung, welche durch die ununterbrochen sich wiederholenden Nepressivmaßregeln gegen eine freigegebene Presse hervorgerufen werden würden: an den unbequemsten Zustand gewöhnt man sich, keineswegs aber an immer wiederkehrende Ver¬ folgungen und Preßprocesse, die in Frankreich noch immer dazu beigetragen haben, die extremsten Ansichten populär, die Opposition zur Beherrscherin des Publikums zu machen. Daß, vom Standpunkt der französischen Regierung aus, diese Erwägung ganz richtig ist, leuchtet ein. Unter den Forderungen des Constitutionalismus stößt keine bei dem gegen¬ wärtig herrschenden System auf lebhafteren und leidenschaftlicheren Widerstand als die der Ministerverantwortlichkeit. Auch diese Abneigung liegt tief im Wesen des Napoleonismus begründet und ist speciell für Frankreich nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Die Ministerverantwortlichkeit ist der Schlußstein des constitutionellen Systems, der feierliche Verzicht auf das absolute Regime. Nun beruht aber in einer neuen Monarchie das Ansehen des Herrschers ganz aus dessen eigner Thätigkeit und Tüchtigkeit, zumal in einem Volke wie das fran¬ zösische, das, so schwer es regierbar ist, doch regiert und determinirt sein will. Der vorzügliche Verwaltungsorganismus Frankreichs fordert vor allen Dingen Stabilität; die Macht, die derselbe in die Hände des jedesmaligen Ministeriums legt, ist zu ausgedehnt, um ohne Gefahr für den Staat den Besitz derselben von jedem Kammervotum abhängig und somit zum Spielball, nicht der bereits erprobten Grundsätze fest consolidirter Parteien (denn die fehlen in Frankreich), sondern des Ehrgeizes jedes beliebigen Ministercandidaten zu machen. Nehmen wir nun im Augenblick an, Napoleon gewährte die Ministerverantwortlichkeit. Was würde die Folge davon sein? Würde die Verantwortlichkeit der Minister seine Person decken? Gewiß nicht, so wenig wie sie Ludwig Philipp gedeckt hat, der in dieser Beziehung mit fast peinlicher Aengstlichkeit die Consequenzen des konstitutionellen Princips gezogen hat. Die Folge würde einfach die sein, daß die Angriffe gegen parlamentarisch verantwortliche Minister sich verdoppeln würden, weil jedem Ministerium sofort Coterien von Ministercandidaten gegen¬ übertreten würden, daß aber jeder gegen ein Ministerium gerichtete Streich doch die Stellung des unverantwortlichen Staatsoberhauptes treffen würde. In einem Lande, in dem Dynastie gegen Dynastie, Republik gegen Monarchie steht, ist die UnVerantwortlichkeit des Staatsoberhauptes eine Phrase, die seine Thätig¬ keit beschränkt, ohne seiner Stellung eine erhöhte Sicherheit zu gewähren. Es ist ein alter Zug der französischen Monarchie, nicht nur die Macht zu concentriren, sondern den Herrscher als die Quelle alles Großen, alles Guten, aller Ehren und Wohlthaten erscheinen zu lassen. Wollte der Fürst auf dieses Vorrecht verzichten, so würde der Franzose sich sofort nach einer andern Macht umsehen, die sein Bedürfniß nach einer populär, aber glänzend auftretenden und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/264>, abgerufen am 27.07.2024.