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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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thümlicher Natursinn entwickelt zu haben. Sein Bruder Johann Christian,
dessen früher Tod der tiefste Schmerz seiner Knabenjahre war, ging nicht lange
vor seinem Ableben bei starkem Gewitter und Regen vor das Haus hinaus
und blieb dort mit der Mütze in der Hand stehen. Als der Vater fragte, was
er da treibe, antwortete das fünfjährige Kind: "Ich verehre den großen Gott".
Einen andern der Brüder fand später in Quedlinburg der Hofprediger Krämer
hoch oben in einem Kirschbaum mit einem Buche sitzen: er lerne den hundert-
neununddreißigsten Psalm, sagte er.

Der friedeburger Pacht war kein gutes Geschäft, man zog ärmer als man
gekommen wieder nach Quedlinburg. Dem jetzt etwa dreizehnjährigen Dichter¬
knaben fiel diese Veränderung äußerst schwer, und lebenslänglich hat er auf die
Jahre in Friedeburg als auf eine goldene Zeit zurückgeblickt. Er besuchte von
nun an das Gymnasium seiner Vaterstadt, ohne daß dieses lebhaftere Lust am
Studiren in ihm erweckt hätte. Er schlenderte so fort und ließ sich auch da¬
durch nicht reizen, daß andere Knaben ihn hier übertrafen, während er unter
den friedeburger Junkern ohne Mühe der Erste gewesen war. Da gelang es
einem der langensalzaer Verwandten, für ihn eine Freistelle in der Schulpforte
zu erwirken, und jetzt nahm sich der nunmehr Fünfzehnjährige zusammen, um
in eine möglichst hohe Classe zu kommen. Im, November 1739 reiste er mit
dem Vater nach dem neuen Bestimmungsorte ab, bestand bei dem Rector Freitag
die Aufnahmeprüfung zu dessen höchster Zufriedenheit und wurde unter die
ersten der dritten Classe gesetzt.

Der Rector Freitag war ein für seine Zeit tüchtiger Philolog, der In-
spector Am Ende ein milder freundlicher Mann; außer ihnen wirkten noch die
Lehrer Peucer, Henschel. Geisler, Heymann und Hübsch an der Anstalt. Mit
besondrer Neigung aber schloß sich der junge Klopstock an den Conrector Stubei
an, dem er noch als Greis ein dankbares Andenken bewahrte. Stubei ging,
wie jeder Erzieher sollte, auf die Eigenthümlichkeiten seiner Zöglinge ein und
behandelte darnach jeden besonders. Dem Einen brachte er die Leerheit seiner
Einbildung auf Verstand und Witz zum Bewußtsein, dem Andern sagte er
wieder, daß er Gaben habe, von denen er selbst nichts wisse, träge Köpfe
spornte er zum Nachdenken an, die Lebhafter warnte er, das Gedächtniß nicht
zu vernachlässigen, bei allen drang er auf gute Sitten. Munter und auf¬
geräumt, wußte er den Schülern auch das Schwere leicht zu machen, ermun¬
terte sie durch Lob und milderte nothwendig werdende Verweise durch väter¬
lichen Ton.

Der Unterricht in der Schulpforte war vorzüglich auf die alten Sprachen
gerichtet. Der feste Grund, den Klopstock hier in diesen legte, die vertraute
Bekanntschaft mit ihren Formen, die er sich erwarb, der Geist des classischen
Alterthums, den er einsog, kamen ihm nachher bei seinen Bemühungen um


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thümlicher Natursinn entwickelt zu haben. Sein Bruder Johann Christian,
dessen früher Tod der tiefste Schmerz seiner Knabenjahre war, ging nicht lange
vor seinem Ableben bei starkem Gewitter und Regen vor das Haus hinaus
und blieb dort mit der Mütze in der Hand stehen. Als der Vater fragte, was
er da treibe, antwortete das fünfjährige Kind: „Ich verehre den großen Gott".
Einen andern der Brüder fand später in Quedlinburg der Hofprediger Krämer
hoch oben in einem Kirschbaum mit einem Buche sitzen: er lerne den hundert-
neununddreißigsten Psalm, sagte er.

Der friedeburger Pacht war kein gutes Geschäft, man zog ärmer als man
gekommen wieder nach Quedlinburg. Dem jetzt etwa dreizehnjährigen Dichter¬
knaben fiel diese Veränderung äußerst schwer, und lebenslänglich hat er auf die
Jahre in Friedeburg als auf eine goldene Zeit zurückgeblickt. Er besuchte von
nun an das Gymnasium seiner Vaterstadt, ohne daß dieses lebhaftere Lust am
Studiren in ihm erweckt hätte. Er schlenderte so fort und ließ sich auch da¬
durch nicht reizen, daß andere Knaben ihn hier übertrafen, während er unter
den friedeburger Junkern ohne Mühe der Erste gewesen war. Da gelang es
einem der langensalzaer Verwandten, für ihn eine Freistelle in der Schulpforte
zu erwirken, und jetzt nahm sich der nunmehr Fünfzehnjährige zusammen, um
in eine möglichst hohe Classe zu kommen. Im, November 1739 reiste er mit
dem Vater nach dem neuen Bestimmungsorte ab, bestand bei dem Rector Freitag
die Aufnahmeprüfung zu dessen höchster Zufriedenheit und wurde unter die
ersten der dritten Classe gesetzt.

Der Rector Freitag war ein für seine Zeit tüchtiger Philolog, der In-
spector Am Ende ein milder freundlicher Mann; außer ihnen wirkten noch die
Lehrer Peucer, Henschel. Geisler, Heymann und Hübsch an der Anstalt. Mit
besondrer Neigung aber schloß sich der junge Klopstock an den Conrector Stubei
an, dem er noch als Greis ein dankbares Andenken bewahrte. Stubei ging,
wie jeder Erzieher sollte, auf die Eigenthümlichkeiten seiner Zöglinge ein und
behandelte darnach jeden besonders. Dem Einen brachte er die Leerheit seiner
Einbildung auf Verstand und Witz zum Bewußtsein, dem Andern sagte er
wieder, daß er Gaben habe, von denen er selbst nichts wisse, träge Köpfe
spornte er zum Nachdenken an, die Lebhafter warnte er, das Gedächtniß nicht
zu vernachlässigen, bei allen drang er auf gute Sitten. Munter und auf¬
geräumt, wußte er den Schülern auch das Schwere leicht zu machen, ermun¬
terte sie durch Lob und milderte nothwendig werdende Verweise durch väter¬
lichen Ton.

Der Unterricht in der Schulpforte war vorzüglich auf die alten Sprachen
gerichtet. Der feste Grund, den Klopstock hier in diesen legte, die vertraute
Bekanntschaft mit ihren Formen, die er sich erwarb, der Geist des classischen
Alterthums, den er einsog, kamen ihm nachher bei seinen Bemühungen um


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[0247] thümlicher Natursinn entwickelt zu haben. Sein Bruder Johann Christian, dessen früher Tod der tiefste Schmerz seiner Knabenjahre war, ging nicht lange vor seinem Ableben bei starkem Gewitter und Regen vor das Haus hinaus und blieb dort mit der Mütze in der Hand stehen. Als der Vater fragte, was er da treibe, antwortete das fünfjährige Kind: „Ich verehre den großen Gott". Einen andern der Brüder fand später in Quedlinburg der Hofprediger Krämer hoch oben in einem Kirschbaum mit einem Buche sitzen: er lerne den hundert- neununddreißigsten Psalm, sagte er. Der friedeburger Pacht war kein gutes Geschäft, man zog ärmer als man gekommen wieder nach Quedlinburg. Dem jetzt etwa dreizehnjährigen Dichter¬ knaben fiel diese Veränderung äußerst schwer, und lebenslänglich hat er auf die Jahre in Friedeburg als auf eine goldene Zeit zurückgeblickt. Er besuchte von nun an das Gymnasium seiner Vaterstadt, ohne daß dieses lebhaftere Lust am Studiren in ihm erweckt hätte. Er schlenderte so fort und ließ sich auch da¬ durch nicht reizen, daß andere Knaben ihn hier übertrafen, während er unter den friedeburger Junkern ohne Mühe der Erste gewesen war. Da gelang es einem der langensalzaer Verwandten, für ihn eine Freistelle in der Schulpforte zu erwirken, und jetzt nahm sich der nunmehr Fünfzehnjährige zusammen, um in eine möglichst hohe Classe zu kommen. Im, November 1739 reiste er mit dem Vater nach dem neuen Bestimmungsorte ab, bestand bei dem Rector Freitag die Aufnahmeprüfung zu dessen höchster Zufriedenheit und wurde unter die ersten der dritten Classe gesetzt. Der Rector Freitag war ein für seine Zeit tüchtiger Philolog, der In- spector Am Ende ein milder freundlicher Mann; außer ihnen wirkten noch die Lehrer Peucer, Henschel. Geisler, Heymann und Hübsch an der Anstalt. Mit besondrer Neigung aber schloß sich der junge Klopstock an den Conrector Stubei an, dem er noch als Greis ein dankbares Andenken bewahrte. Stubei ging, wie jeder Erzieher sollte, auf die Eigenthümlichkeiten seiner Zöglinge ein und behandelte darnach jeden besonders. Dem Einen brachte er die Leerheit seiner Einbildung auf Verstand und Witz zum Bewußtsein, dem Andern sagte er wieder, daß er Gaben habe, von denen er selbst nichts wisse, träge Köpfe spornte er zum Nachdenken an, die Lebhafter warnte er, das Gedächtniß nicht zu vernachlässigen, bei allen drang er auf gute Sitten. Munter und auf¬ geräumt, wußte er den Schülern auch das Schwere leicht zu machen, ermun¬ terte sie durch Lob und milderte nothwendig werdende Verweise durch väter¬ lichen Ton. Der Unterricht in der Schulpforte war vorzüglich auf die alten Sprachen gerichtet. Der feste Grund, den Klopstock hier in diesen legte, die vertraute Bekanntschaft mit ihren Formen, die er sich erwarb, der Geist des classischen Alterthums, den er einsog, kamen ihm nachher bei seinen Bemühungen um 29 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/247>, abgerufen am 28.07.2024.