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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Bedingungen zu sehen. Der tragische Untergang des Burgunderreichs zu
Worms durch Hunnen, welche einen bedeutenden Theil des in Gallien stehenden
römischen Heeres bildeten, machte einen so gewaltigen Eindruck, daß auch die
kommenden Geschlechter des Schreckenstages nicht vergaßen. schaurig tönt
noch heute aus den Niebelungen der Nachhall von dem Angstgeschrei des fast
vernichteten Volks.

Fast unmöglich jedoch bleibt es, die Größe dieses Einflusses zu schätzen.
Will man den Versuch machen, indem man die Lage der Provincialen in den
durch Vertrag und in den durch Eroberung gegründeten Staaten vergleicht, so
findet man einerseits eine so große Ähnlichkeit, andererseits aber in den Ver¬
schiedenheiten so wenig Regelmäßigkeit, daß z. B. in dem von Chlodwech er¬
oberten Gebiete des Syagrius die Römer nicht wie ihre Volksgenossen in Bur¬
gund, in Aquitanien, die durch Vertrag abgetreten wurden, einen Theil ihres
Grundbesitzes verloren. Während Burgunden, Franken, Ostgothen, wahrschein¬
lich selbst Langobarden und Vandalen Ehen mit den Römern niemals unter¬
sagten, gewährten ihnen die Westgothen erst unter König Receswinth (5 672)
eovllubium.

Namentlich bewahrten die Römer auch in dem Reiche der Vandalen
ihr römisches Recht, ihre eigenthümliche Municipalverfassung, ja trotz der
Katholikenverfolgungen ihre großartig oiganisirte Kirche mit fast 500 Bi¬
schöfen.

Es wirkten verschiedene Ursachen zusammen, um dies fast befremdende Re¬
sultat zu erreichen. Einmal erzwangen die alte Cultur, die ausgebildeten
Formen des römischen Lebens an sich schon eine bedeutende Achtung, die vor
Verletzung warnte, zumal die neuen, vielfach verwickelten Verhältnisse der jungen
Staaten Bedürfnisse schufen, zu deren Befriedigung man weder der römischen
Institutionen, noch der Gcschäftsgewandtheit römischer Männer entrathen konnte.
Daher auch selbst die Vandalenkönige zahlreiche Römer unter ihre Beamten
aufnahmen und keineswegs blos solche, die durch den Uebertritt zum Arianis-
mus sich von ihren Volksgenossen losgesagt hatten. Sodann lag auch für die
durch Eroberung gegründeten Staaten in dem Vorhandensein solcher germani¬
scher Reiche, welche den Römern eine bedeutende, rechtlich gesicherte Stellung
einräumten, ein Beispiel, das zugleich eine Mahnung war. Bei einem aus¬
brechenden Kriege mußten sie sonst fürchten, daß die Provinzialen die Sache
der Feinde förderten, unter deren Scepter sie ihre Landsleute weit glücklicher
leben sahen.

Dazu trat die Rücksicht auf Rom. So oft man genöthigt war, von Rom
etwas zu verlangen, fühlte man sich veranlaßt, etwaige Härten in der Behand¬
lung der Provincialen, den natürlichen Schutzbefohlenen des Kaisers, abzustellen.
Die kleineren Staaten mußten selbst fürchten, daß Rom von der schlechten Lage


Bedingungen zu sehen. Der tragische Untergang des Burgunderreichs zu
Worms durch Hunnen, welche einen bedeutenden Theil des in Gallien stehenden
römischen Heeres bildeten, machte einen so gewaltigen Eindruck, daß auch die
kommenden Geschlechter des Schreckenstages nicht vergaßen. schaurig tönt
noch heute aus den Niebelungen der Nachhall von dem Angstgeschrei des fast
vernichteten Volks.

Fast unmöglich jedoch bleibt es, die Größe dieses Einflusses zu schätzen.
Will man den Versuch machen, indem man die Lage der Provincialen in den
durch Vertrag und in den durch Eroberung gegründeten Staaten vergleicht, so
findet man einerseits eine so große Ähnlichkeit, andererseits aber in den Ver¬
schiedenheiten so wenig Regelmäßigkeit, daß z. B. in dem von Chlodwech er¬
oberten Gebiete des Syagrius die Römer nicht wie ihre Volksgenossen in Bur¬
gund, in Aquitanien, die durch Vertrag abgetreten wurden, einen Theil ihres
Grundbesitzes verloren. Während Burgunden, Franken, Ostgothen, wahrschein¬
lich selbst Langobarden und Vandalen Ehen mit den Römern niemals unter¬
sagten, gewährten ihnen die Westgothen erst unter König Receswinth (5 672)
eovllubium.

Namentlich bewahrten die Römer auch in dem Reiche der Vandalen
ihr römisches Recht, ihre eigenthümliche Municipalverfassung, ja trotz der
Katholikenverfolgungen ihre großartig oiganisirte Kirche mit fast 500 Bi¬
schöfen.

Es wirkten verschiedene Ursachen zusammen, um dies fast befremdende Re¬
sultat zu erreichen. Einmal erzwangen die alte Cultur, die ausgebildeten
Formen des römischen Lebens an sich schon eine bedeutende Achtung, die vor
Verletzung warnte, zumal die neuen, vielfach verwickelten Verhältnisse der jungen
Staaten Bedürfnisse schufen, zu deren Befriedigung man weder der römischen
Institutionen, noch der Gcschäftsgewandtheit römischer Männer entrathen konnte.
Daher auch selbst die Vandalenkönige zahlreiche Römer unter ihre Beamten
aufnahmen und keineswegs blos solche, die durch den Uebertritt zum Arianis-
mus sich von ihren Volksgenossen losgesagt hatten. Sodann lag auch für die
durch Eroberung gegründeten Staaten in dem Vorhandensein solcher germani¬
scher Reiche, welche den Römern eine bedeutende, rechtlich gesicherte Stellung
einräumten, ein Beispiel, das zugleich eine Mahnung war. Bei einem aus¬
brechenden Kriege mußten sie sonst fürchten, daß die Provinzialen die Sache
der Feinde förderten, unter deren Scepter sie ihre Landsleute weit glücklicher
leben sahen.

Dazu trat die Rücksicht auf Rom. So oft man genöthigt war, von Rom
etwas zu verlangen, fühlte man sich veranlaßt, etwaige Härten in der Behand¬
lung der Provincialen, den natürlichen Schutzbefohlenen des Kaisers, abzustellen.
Die kleineren Staaten mußten selbst fürchten, daß Rom von der schlechten Lage


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[0201] Bedingungen zu sehen. Der tragische Untergang des Burgunderreichs zu Worms durch Hunnen, welche einen bedeutenden Theil des in Gallien stehenden römischen Heeres bildeten, machte einen so gewaltigen Eindruck, daß auch die kommenden Geschlechter des Schreckenstages nicht vergaßen. schaurig tönt noch heute aus den Niebelungen der Nachhall von dem Angstgeschrei des fast vernichteten Volks. Fast unmöglich jedoch bleibt es, die Größe dieses Einflusses zu schätzen. Will man den Versuch machen, indem man die Lage der Provincialen in den durch Vertrag und in den durch Eroberung gegründeten Staaten vergleicht, so findet man einerseits eine so große Ähnlichkeit, andererseits aber in den Ver¬ schiedenheiten so wenig Regelmäßigkeit, daß z. B. in dem von Chlodwech er¬ oberten Gebiete des Syagrius die Römer nicht wie ihre Volksgenossen in Bur¬ gund, in Aquitanien, die durch Vertrag abgetreten wurden, einen Theil ihres Grundbesitzes verloren. Während Burgunden, Franken, Ostgothen, wahrschein¬ lich selbst Langobarden und Vandalen Ehen mit den Römern niemals unter¬ sagten, gewährten ihnen die Westgothen erst unter König Receswinth (5 672) eovllubium. Namentlich bewahrten die Römer auch in dem Reiche der Vandalen ihr römisches Recht, ihre eigenthümliche Municipalverfassung, ja trotz der Katholikenverfolgungen ihre großartig oiganisirte Kirche mit fast 500 Bi¬ schöfen. Es wirkten verschiedene Ursachen zusammen, um dies fast befremdende Re¬ sultat zu erreichen. Einmal erzwangen die alte Cultur, die ausgebildeten Formen des römischen Lebens an sich schon eine bedeutende Achtung, die vor Verletzung warnte, zumal die neuen, vielfach verwickelten Verhältnisse der jungen Staaten Bedürfnisse schufen, zu deren Befriedigung man weder der römischen Institutionen, noch der Gcschäftsgewandtheit römischer Männer entrathen konnte. Daher auch selbst die Vandalenkönige zahlreiche Römer unter ihre Beamten aufnahmen und keineswegs blos solche, die durch den Uebertritt zum Arianis- mus sich von ihren Volksgenossen losgesagt hatten. Sodann lag auch für die durch Eroberung gegründeten Staaten in dem Vorhandensein solcher germani¬ scher Reiche, welche den Römern eine bedeutende, rechtlich gesicherte Stellung einräumten, ein Beispiel, das zugleich eine Mahnung war. Bei einem aus¬ brechenden Kriege mußten sie sonst fürchten, daß die Provinzialen die Sache der Feinde förderten, unter deren Scepter sie ihre Landsleute weit glücklicher leben sahen. Dazu trat die Rücksicht auf Rom. So oft man genöthigt war, von Rom etwas zu verlangen, fühlte man sich veranlaßt, etwaige Härten in der Behand¬ lung der Provincialen, den natürlichen Schutzbefohlenen des Kaisers, abzustellen. Die kleineren Staaten mußten selbst fürchten, daß Rom von der schlechten Lage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/201>, abgerufen am 28.07.2024.