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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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nicht im Hause, und selbst um das tägliche Brod mußte gestritten werden.
Gneisenau soll in der Currende mit gesungen haben, um sich den freien Schul¬
unterricht zu verdienen. Er besuchte zuerst die Kaufmannsschule, dann das
Rathsgymnasium und genoß daneben den Zeichenunterricht seines Vaters, bis
dieser im Braunschweigischen Beschäftigung suchend den Sohn allein in Erfurt
zurückließ. Dieser zog dann in das Haus seines Schulfreundes, eines Sohnes
des Professor Siegling, mit dem er für das Leben verbunden blieb. Es war
am 1. October 1777, als Antonius Neithardt sich als Stuck. MI. auf der Uni¬
versität Erfurt immatrikuliren ließ und in den Besitz des vom Großvater
ihm hinterlassenen Vermögens trat. Die ihm hierdurch gewährte freiere Stel¬
lung genoß er in vollen Zügen. Er betheiligte sich reichlich an geselligen Freu¬
den, beschaffte sich ein kleines Pferd, auf dem er die Gegend durchstreifte, und
lebte als flotter Student darauf los. -- Dazu kam, daß er wegen eines Ver¬
hältnisses mit der Schwester seines Freundes das SiegUngsche Haus verlassen
mußte. Damit schwand der letzte feste Halt. Jung, schön und kräftig, schar¬
fen Verstandes, reichen Gemüths und durch die vielen Schwankungen seines
bisherigen Schicksals nothwendig leichtsinnig gemacht, ließ er sich gehen, bis
er das kleine Vermögen ausgegeben hatte und nicht aus noch ein wußte. Zu
edel angelegt, um sich in Gemeinem zu verlieren, aber ohne Mittel, die begon¬
nene Laufbahn fortzusetzen, zog er in die Welt und wurde, was sein Vater
gewesen, Soldat.

Er trat zunächst im Jahre 1778 in ein östreichisches Husarenregiment,
Mußte aber diesen Dienst schon 1779 infolge eines Duells wieder verlassen
und ging nunmehr nach Anspach, welches Truppen an England zum nordameri¬
kanischen Kriege vermiethet hatte und deshalb stets neu formirte.

In Erinnerung an diese Zeiten bekannte Gneisenau noch in späten Jahren:
"Wie ich mich aus allen Verirrungen glücklich retten konnte, oder vielmehr durch
höhere Hand gerettet wurde, dies alles muß mir als ein Wunder erscheinen."
Sein besseres Selbst siegte ohne helfende Hand von Außen, und dieser Sieg
hat ihm Vertrauen zu sich für das ganze Leben gegeben, hat ihn frei und un¬
abhängig von allem fernern Wandel des Schicksals gemacht. Froh begann er
ein neues Leben, das sich auch deshalb scharf gegen die Vergangenheit abzeich¬
net, weil er von da ab den Namen Gneisenau, den seine aus Oestreich stam¬
mende Familie neben dem Namen Neithardt zu führen berechtigt war, vor¬
wiegend brauchte und sich Neithardt von Gneisenau nannte.

Im Jahre 1780 als Cadet angenommen, wurde er 1781 Unteroffizier
und am 3. März 1782 als August Wilhelm Neithardt von Gneisenau Unter-
Lieutenant beim Jägerregiment, das im April 1782 nach Amerika aufbrach und
nach langer Fahrt in Halifax landete. Er kam zu spät, um noch an den krie¬
gerischen Ereignissen theilzunehmen; fast ein Jahr aber blieb das Regiment


nicht im Hause, und selbst um das tägliche Brod mußte gestritten werden.
Gneisenau soll in der Currende mit gesungen haben, um sich den freien Schul¬
unterricht zu verdienen. Er besuchte zuerst die Kaufmannsschule, dann das
Rathsgymnasium und genoß daneben den Zeichenunterricht seines Vaters, bis
dieser im Braunschweigischen Beschäftigung suchend den Sohn allein in Erfurt
zurückließ. Dieser zog dann in das Haus seines Schulfreundes, eines Sohnes
des Professor Siegling, mit dem er für das Leben verbunden blieb. Es war
am 1. October 1777, als Antonius Neithardt sich als Stuck. MI. auf der Uni¬
versität Erfurt immatrikuliren ließ und in den Besitz des vom Großvater
ihm hinterlassenen Vermögens trat. Die ihm hierdurch gewährte freiere Stel¬
lung genoß er in vollen Zügen. Er betheiligte sich reichlich an geselligen Freu¬
den, beschaffte sich ein kleines Pferd, auf dem er die Gegend durchstreifte, und
lebte als flotter Student darauf los. — Dazu kam, daß er wegen eines Ver¬
hältnisses mit der Schwester seines Freundes das SiegUngsche Haus verlassen
mußte. Damit schwand der letzte feste Halt. Jung, schön und kräftig, schar¬
fen Verstandes, reichen Gemüths und durch die vielen Schwankungen seines
bisherigen Schicksals nothwendig leichtsinnig gemacht, ließ er sich gehen, bis
er das kleine Vermögen ausgegeben hatte und nicht aus noch ein wußte. Zu
edel angelegt, um sich in Gemeinem zu verlieren, aber ohne Mittel, die begon¬
nene Laufbahn fortzusetzen, zog er in die Welt und wurde, was sein Vater
gewesen, Soldat.

Er trat zunächst im Jahre 1778 in ein östreichisches Husarenregiment,
Mußte aber diesen Dienst schon 1779 infolge eines Duells wieder verlassen
und ging nunmehr nach Anspach, welches Truppen an England zum nordameri¬
kanischen Kriege vermiethet hatte und deshalb stets neu formirte.

In Erinnerung an diese Zeiten bekannte Gneisenau noch in späten Jahren:
»Wie ich mich aus allen Verirrungen glücklich retten konnte, oder vielmehr durch
höhere Hand gerettet wurde, dies alles muß mir als ein Wunder erscheinen."
Sein besseres Selbst siegte ohne helfende Hand von Außen, und dieser Sieg
hat ihm Vertrauen zu sich für das ganze Leben gegeben, hat ihn frei und un¬
abhängig von allem fernern Wandel des Schicksals gemacht. Froh begann er
ein neues Leben, das sich auch deshalb scharf gegen die Vergangenheit abzeich¬
net, weil er von da ab den Namen Gneisenau, den seine aus Oestreich stam¬
mende Familie neben dem Namen Neithardt zu führen berechtigt war, vor¬
wiegend brauchte und sich Neithardt von Gneisenau nannte.

Im Jahre 1780 als Cadet angenommen, wurde er 1781 Unteroffizier
und am 3. März 1782 als August Wilhelm Neithardt von Gneisenau Unter-
Lieutenant beim Jägerregiment, das im April 1782 nach Amerika aufbrach und
nach langer Fahrt in Halifax landete. Er kam zu spät, um noch an den krie¬
gerischen Ereignissen theilzunehmen; fast ein Jahr aber blieb das Regiment


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/157>, abgerufen am 01.09.2024.