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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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führen, welche in ihnen mit völliger Entschiedenheit auf die erste Makkabäerzeit
hinweisen und jede andre Erklärung unmöglich machen. Um uns jedoch nicht
zu sehr ins Einzelne zu verlieren, müssen wir uns dies wie eine Besprechung
der Gegengründe hier versagen. Nur daran zweifle ich nicht, daß die Zahl
der makkabäischen Psalme, zu denen etwa noch Psalm 79 und 60 zu rechnen sein
mögen, sicher nicht groß ist, und daß man gewiß nicht über die Zeit des ersten
großen makkabäischen Führers Judas heruntergehen kann. Sehr wahrscheinlich
ist es mir. daß diese Lieder erst nachträglich in die schon fertigen oder wenig¬
stens in die kleineren Sammlungen, aus denen dieser Psalter zusammengestellt
'se, eingeschoben sind. Wie das allseitig dieser Zeit zugewiesene Buch Daniel
das letzte der zur Kanonicität gelangten Bücher, des Alten Testaments ist. so
sind sicher auch die makkabäischen Psalme die letzten in das kanonische Buch
aufgenommenen. Die früher von uns besprochenen, derselben Zeit angehörigen,
s. g. "Psalme Salomos" haben nie kirchliche Autorität erlangt, und mit den
spätern lyrischen Producten jüdischer Dichter verlassen wir ganz das alttesta-
mentliche Gebiet.

So enthält also der Psalter Lieder von Davids bis zur makkabäischen
Zeit. Es versteht sich von selbst, daß diese sich nach dem Inhalt stark von
einander unterscheiden. Eine strenge Einteilung nach dem Inhalt ist nicht
möglich. Sehr häufig ist ein Lied zugleich Bitt-, Lob- und Danklied. Die
Uebergänge von tiefer Trauer zu heißem Dank oder freudigem Lob und um¬
gekehrt sind oft ganz rastb und unvermittelt. Nicht immer ist sicher zu er¬
kennen, ob der Dichter aus augenblicklicher Noth zu Gott fleht und ihm für
frühere Hilfe dankt, oder ob er nur seine vergangenen Klagen schildert und grade
jetzt gerettet ist. Der unbestimmte Gebrauch der hebräischen Tempora, sowie
einige andere Eigenheiten der hebräischen Sprache erschweren hier die Erkennt¬
niß der wirklichen Situation nicht unbedeutend. Nuf die unmittelbaren Hörer
und Leser, welche die Lage des Dichters kannten, mußten freilich diese raschen
Uebergänge. eine Folge der lebhaften Phantasie, welche sich leicht in verschiedene
Lagen versetzt, eine besondere Wirkung ausüben.

Sehr viele dieser Lieder sind individuelle Klagen. Man hat dies freilich
oft geleugnet und sie alle als Klagen der ganzen Nation oder des frommen
Theils derselben aufgefaßt; der im Singular redende Dichter soll immer im
Namen des Volkes sprechen; seine Klagen über Krankheit, Gefangenschaft u. f. w.
sollen stets nur bildlich von der Bedrängniß des ganzen Volks verstanden wer¬
den. Dadurch nimmt man den meisten dieser Gedichte alles wahre Leben.
Die unbefangene Auffassung wird immer wieder zu der persönlichen Beziehung
Zurückkehren. Lagen, wie die. in der sich Jeremia wiederholt befand, und wie
welche uns der Dichter des Hiob vor Augen stellt, erklären uns hinlänglich
d^se schmerzlich wehmüthigen Lieder. Freilich sind diese Psalme gewiß schon


führen, welche in ihnen mit völliger Entschiedenheit auf die erste Makkabäerzeit
hinweisen und jede andre Erklärung unmöglich machen. Um uns jedoch nicht
zu sehr ins Einzelne zu verlieren, müssen wir uns dies wie eine Besprechung
der Gegengründe hier versagen. Nur daran zweifle ich nicht, daß die Zahl
der makkabäischen Psalme, zu denen etwa noch Psalm 79 und 60 zu rechnen sein
mögen, sicher nicht groß ist, und daß man gewiß nicht über die Zeit des ersten
großen makkabäischen Führers Judas heruntergehen kann. Sehr wahrscheinlich
ist es mir. daß diese Lieder erst nachträglich in die schon fertigen oder wenig¬
stens in die kleineren Sammlungen, aus denen dieser Psalter zusammengestellt
'se, eingeschoben sind. Wie das allseitig dieser Zeit zugewiesene Buch Daniel
das letzte der zur Kanonicität gelangten Bücher, des Alten Testaments ist. so
sind sicher auch die makkabäischen Psalme die letzten in das kanonische Buch
aufgenommenen. Die früher von uns besprochenen, derselben Zeit angehörigen,
s. g. „Psalme Salomos" haben nie kirchliche Autorität erlangt, und mit den
spätern lyrischen Producten jüdischer Dichter verlassen wir ganz das alttesta-
mentliche Gebiet.

So enthält also der Psalter Lieder von Davids bis zur makkabäischen
Zeit. Es versteht sich von selbst, daß diese sich nach dem Inhalt stark von
einander unterscheiden. Eine strenge Einteilung nach dem Inhalt ist nicht
möglich. Sehr häufig ist ein Lied zugleich Bitt-, Lob- und Danklied. Die
Uebergänge von tiefer Trauer zu heißem Dank oder freudigem Lob und um¬
gekehrt sind oft ganz rastb und unvermittelt. Nicht immer ist sicher zu er¬
kennen, ob der Dichter aus augenblicklicher Noth zu Gott fleht und ihm für
frühere Hilfe dankt, oder ob er nur seine vergangenen Klagen schildert und grade
jetzt gerettet ist. Der unbestimmte Gebrauch der hebräischen Tempora, sowie
einige andere Eigenheiten der hebräischen Sprache erschweren hier die Erkennt¬
niß der wirklichen Situation nicht unbedeutend. Nuf die unmittelbaren Hörer
und Leser, welche die Lage des Dichters kannten, mußten freilich diese raschen
Uebergänge. eine Folge der lebhaften Phantasie, welche sich leicht in verschiedene
Lagen versetzt, eine besondere Wirkung ausüben.

Sehr viele dieser Lieder sind individuelle Klagen. Man hat dies freilich
oft geleugnet und sie alle als Klagen der ganzen Nation oder des frommen
Theils derselben aufgefaßt; der im Singular redende Dichter soll immer im
Namen des Volkes sprechen; seine Klagen über Krankheit, Gefangenschaft u. f. w.
sollen stets nur bildlich von der Bedrängniß des ganzen Volks verstanden wer¬
den. Dadurch nimmt man den meisten dieser Gedichte alles wahre Leben.
Die unbefangene Auffassung wird immer wieder zu der persönlichen Beziehung
Zurückkehren. Lagen, wie die. in der sich Jeremia wiederholt befand, und wie
welche uns der Dichter des Hiob vor Augen stellt, erklären uns hinlänglich
d^se schmerzlich wehmüthigen Lieder. Freilich sind diese Psalme gewiß schon


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[0149] führen, welche in ihnen mit völliger Entschiedenheit auf die erste Makkabäerzeit hinweisen und jede andre Erklärung unmöglich machen. Um uns jedoch nicht zu sehr ins Einzelne zu verlieren, müssen wir uns dies wie eine Besprechung der Gegengründe hier versagen. Nur daran zweifle ich nicht, daß die Zahl der makkabäischen Psalme, zu denen etwa noch Psalm 79 und 60 zu rechnen sein mögen, sicher nicht groß ist, und daß man gewiß nicht über die Zeit des ersten großen makkabäischen Führers Judas heruntergehen kann. Sehr wahrscheinlich ist es mir. daß diese Lieder erst nachträglich in die schon fertigen oder wenig¬ stens in die kleineren Sammlungen, aus denen dieser Psalter zusammengestellt 'se, eingeschoben sind. Wie das allseitig dieser Zeit zugewiesene Buch Daniel das letzte der zur Kanonicität gelangten Bücher, des Alten Testaments ist. so sind sicher auch die makkabäischen Psalme die letzten in das kanonische Buch aufgenommenen. Die früher von uns besprochenen, derselben Zeit angehörigen, s. g. „Psalme Salomos" haben nie kirchliche Autorität erlangt, und mit den spätern lyrischen Producten jüdischer Dichter verlassen wir ganz das alttesta- mentliche Gebiet. So enthält also der Psalter Lieder von Davids bis zur makkabäischen Zeit. Es versteht sich von selbst, daß diese sich nach dem Inhalt stark von einander unterscheiden. Eine strenge Einteilung nach dem Inhalt ist nicht möglich. Sehr häufig ist ein Lied zugleich Bitt-, Lob- und Danklied. Die Uebergänge von tiefer Trauer zu heißem Dank oder freudigem Lob und um¬ gekehrt sind oft ganz rastb und unvermittelt. Nicht immer ist sicher zu er¬ kennen, ob der Dichter aus augenblicklicher Noth zu Gott fleht und ihm für frühere Hilfe dankt, oder ob er nur seine vergangenen Klagen schildert und grade jetzt gerettet ist. Der unbestimmte Gebrauch der hebräischen Tempora, sowie einige andere Eigenheiten der hebräischen Sprache erschweren hier die Erkennt¬ niß der wirklichen Situation nicht unbedeutend. Nuf die unmittelbaren Hörer und Leser, welche die Lage des Dichters kannten, mußten freilich diese raschen Uebergänge. eine Folge der lebhaften Phantasie, welche sich leicht in verschiedene Lagen versetzt, eine besondere Wirkung ausüben. Sehr viele dieser Lieder sind individuelle Klagen. Man hat dies freilich oft geleugnet und sie alle als Klagen der ganzen Nation oder des frommen Theils derselben aufgefaßt; der im Singular redende Dichter soll immer im Namen des Volkes sprechen; seine Klagen über Krankheit, Gefangenschaft u. f. w. sollen stets nur bildlich von der Bedrängniß des ganzen Volks verstanden wer¬ den. Dadurch nimmt man den meisten dieser Gedichte alles wahre Leben. Die unbefangene Auffassung wird immer wieder zu der persönlichen Beziehung Zurückkehren. Lagen, wie die. in der sich Jeremia wiederholt befand, und wie welche uns der Dichter des Hiob vor Augen stellt, erklären uns hinlänglich d^se schmerzlich wehmüthigen Lieder. Freilich sind diese Psalme gewiß schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/149>, abgerufen am 28.07.2024.