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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Ebenso wenig in dem kurzen, vielleicht fragmentarischen, Liede auf den Tod
des Abner (3, 33 f.). Dagegen sind die letzten Worte Davids (23, 1--8) aller¬
dings von religiösem Geiste durchdrungen; das im Einzelnen schwierige, mehr
reflectirende Lied enthält eine Betrachtung über das Verhältniß des gerechten
Königs zu Gott gegenüber dem Treiben der Frevler; ein starkes Selbstgefühl
spricht sich darin aus. Die Echtheit des Liedchens, das sich selbst als davidisch
bezeichnet, zu bezweifeln, sehe ich keine Veranlassung. Ebenso halte ich auch
das große Lied 2. Sam. 23, welches mit allerlei kleinen Varianten, aber ohne
Zweifel aus derselben historischen Quellenschrift, auch in die Psalmensamm¬
lung als Psalm 18 aufgenommen ist, für echt. Dies ist ein durchaus religiöses
Dank- und Preislied gegen Gott für die Errettung aus vielfachen Gefahren.
Allerdings scheint Manches gegen die davidische Abfassung zu sprechen: das Lied
ist sehr gedehnt und verliert an einigen Stellen durch den wiederholten Ausdruck
desselben Gedankens fast alle Kraft; es nähert sich ferner weit mehr dem Tone
späterer Psalmen, als die eben besprochenen Lieder. Aber wegen jener Ge-
dehnthcit können wir das Lied doch nicht dem Dichter absprechen. Kennen wir
seinen Stil so genau? Muß ein vielleicht in höherem Alter gedichteter feierlicher
Gesang durchaus den knappen, einfachen Stil des in die Jugendzeit fallenden
Klageliedes von Jonathan und Saul an sich tragen? Und dabei hat das Lied
doch Abschnitte, die zu dem Schönsten gehören, was uns das Alte Testament
ausweist. Namentlich die prachtvolle Schilderung der Theophanie hebt sich her¬
vor, obgleich auch in ihr wie in der Einleitung des Liedes die gewaltige
Wucht der Gedanken durch die Wiederholung ähnlicher Bilder zum Ausdruck
gebracht wird. Das Gedicht giebt sich als das Werk eines Königes, dem selbst
weitentlegene fremde Völker unterworfen sind, nachdem er früher in der größten
Noth gewesen war. Wenn wir auch ti/Schlußworte, welche David und sein Ge¬
schlecht namentlich erwähnen, als verdächtig nicht in Betracht ziehn, so können
wir doch nicht leugnen, daß jene Verhältnisse auf keinen Dichter passen, als
auf David. Da wir nun die Annahme einiger Neueren, daß ein so großes Ge¬
dicht von einem spätern Dichter blos dem David in den Mund gelegt sei, durchaus
nicht mit der hier durchaus erscheinenden Subjektivität in Einklang bringen können,
müssen wir dabei bleiben, das Lied als echt anzusehen. Die Ähnlichkeit mit
so späten Psalmen beruht größtentheils darin, daß es darin stark benutzt ist.
Manches, was uns jetzt in ihm weniger kraftvoll erscheint, tritt in ein anderes
Licht, wenn wir die Annahme wagen, daß es später vielfach verwendete und
abgegriffene Bilder zum ersten Mal gebraucht und also durch und durch originell
ist. Jedenfalls ist anzuerkennen, daß dieses große Lied der Anknüpfungspunkt
für die spätere Entwicklung der religiösen Lyrik ist. -

Ob sonst noch davidische Lieder erhalten sind, ist mir sehr fraglich. Zwar
haben auch einige der vorurtheilsfreistcn Kritiker noch ein paar andere Psalmen


Ebenso wenig in dem kurzen, vielleicht fragmentarischen, Liede auf den Tod
des Abner (3, 33 f.). Dagegen sind die letzten Worte Davids (23, 1—8) aller¬
dings von religiösem Geiste durchdrungen; das im Einzelnen schwierige, mehr
reflectirende Lied enthält eine Betrachtung über das Verhältniß des gerechten
Königs zu Gott gegenüber dem Treiben der Frevler; ein starkes Selbstgefühl
spricht sich darin aus. Die Echtheit des Liedchens, das sich selbst als davidisch
bezeichnet, zu bezweifeln, sehe ich keine Veranlassung. Ebenso halte ich auch
das große Lied 2. Sam. 23, welches mit allerlei kleinen Varianten, aber ohne
Zweifel aus derselben historischen Quellenschrift, auch in die Psalmensamm¬
lung als Psalm 18 aufgenommen ist, für echt. Dies ist ein durchaus religiöses
Dank- und Preislied gegen Gott für die Errettung aus vielfachen Gefahren.
Allerdings scheint Manches gegen die davidische Abfassung zu sprechen: das Lied
ist sehr gedehnt und verliert an einigen Stellen durch den wiederholten Ausdruck
desselben Gedankens fast alle Kraft; es nähert sich ferner weit mehr dem Tone
späterer Psalmen, als die eben besprochenen Lieder. Aber wegen jener Ge-
dehnthcit können wir das Lied doch nicht dem Dichter absprechen. Kennen wir
seinen Stil so genau? Muß ein vielleicht in höherem Alter gedichteter feierlicher
Gesang durchaus den knappen, einfachen Stil des in die Jugendzeit fallenden
Klageliedes von Jonathan und Saul an sich tragen? Und dabei hat das Lied
doch Abschnitte, die zu dem Schönsten gehören, was uns das Alte Testament
ausweist. Namentlich die prachtvolle Schilderung der Theophanie hebt sich her¬
vor, obgleich auch in ihr wie in der Einleitung des Liedes die gewaltige
Wucht der Gedanken durch die Wiederholung ähnlicher Bilder zum Ausdruck
gebracht wird. Das Gedicht giebt sich als das Werk eines Königes, dem selbst
weitentlegene fremde Völker unterworfen sind, nachdem er früher in der größten
Noth gewesen war. Wenn wir auch ti/Schlußworte, welche David und sein Ge¬
schlecht namentlich erwähnen, als verdächtig nicht in Betracht ziehn, so können
wir doch nicht leugnen, daß jene Verhältnisse auf keinen Dichter passen, als
auf David. Da wir nun die Annahme einiger Neueren, daß ein so großes Ge¬
dicht von einem spätern Dichter blos dem David in den Mund gelegt sei, durchaus
nicht mit der hier durchaus erscheinenden Subjektivität in Einklang bringen können,
müssen wir dabei bleiben, das Lied als echt anzusehen. Die Ähnlichkeit mit
so späten Psalmen beruht größtentheils darin, daß es darin stark benutzt ist.
Manches, was uns jetzt in ihm weniger kraftvoll erscheint, tritt in ein anderes
Licht, wenn wir die Annahme wagen, daß es später vielfach verwendete und
abgegriffene Bilder zum ersten Mal gebraucht und also durch und durch originell
ist. Jedenfalls ist anzuerkennen, daß dieses große Lied der Anknüpfungspunkt
für die spätere Entwicklung der religiösen Lyrik ist. -

Ob sonst noch davidische Lieder erhalten sind, ist mir sehr fraglich. Zwar
haben auch einige der vorurtheilsfreistcn Kritiker noch ein paar andere Psalmen


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[0144] Ebenso wenig in dem kurzen, vielleicht fragmentarischen, Liede auf den Tod des Abner (3, 33 f.). Dagegen sind die letzten Worte Davids (23, 1—8) aller¬ dings von religiösem Geiste durchdrungen; das im Einzelnen schwierige, mehr reflectirende Lied enthält eine Betrachtung über das Verhältniß des gerechten Königs zu Gott gegenüber dem Treiben der Frevler; ein starkes Selbstgefühl spricht sich darin aus. Die Echtheit des Liedchens, das sich selbst als davidisch bezeichnet, zu bezweifeln, sehe ich keine Veranlassung. Ebenso halte ich auch das große Lied 2. Sam. 23, welches mit allerlei kleinen Varianten, aber ohne Zweifel aus derselben historischen Quellenschrift, auch in die Psalmensamm¬ lung als Psalm 18 aufgenommen ist, für echt. Dies ist ein durchaus religiöses Dank- und Preislied gegen Gott für die Errettung aus vielfachen Gefahren. Allerdings scheint Manches gegen die davidische Abfassung zu sprechen: das Lied ist sehr gedehnt und verliert an einigen Stellen durch den wiederholten Ausdruck desselben Gedankens fast alle Kraft; es nähert sich ferner weit mehr dem Tone späterer Psalmen, als die eben besprochenen Lieder. Aber wegen jener Ge- dehnthcit können wir das Lied doch nicht dem Dichter absprechen. Kennen wir seinen Stil so genau? Muß ein vielleicht in höherem Alter gedichteter feierlicher Gesang durchaus den knappen, einfachen Stil des in die Jugendzeit fallenden Klageliedes von Jonathan und Saul an sich tragen? Und dabei hat das Lied doch Abschnitte, die zu dem Schönsten gehören, was uns das Alte Testament ausweist. Namentlich die prachtvolle Schilderung der Theophanie hebt sich her¬ vor, obgleich auch in ihr wie in der Einleitung des Liedes die gewaltige Wucht der Gedanken durch die Wiederholung ähnlicher Bilder zum Ausdruck gebracht wird. Das Gedicht giebt sich als das Werk eines Königes, dem selbst weitentlegene fremde Völker unterworfen sind, nachdem er früher in der größten Noth gewesen war. Wenn wir auch ti/Schlußworte, welche David und sein Ge¬ schlecht namentlich erwähnen, als verdächtig nicht in Betracht ziehn, so können wir doch nicht leugnen, daß jene Verhältnisse auf keinen Dichter passen, als auf David. Da wir nun die Annahme einiger Neueren, daß ein so großes Ge¬ dicht von einem spätern Dichter blos dem David in den Mund gelegt sei, durchaus nicht mit der hier durchaus erscheinenden Subjektivität in Einklang bringen können, müssen wir dabei bleiben, das Lied als echt anzusehen. Die Ähnlichkeit mit so späten Psalmen beruht größtentheils darin, daß es darin stark benutzt ist. Manches, was uns jetzt in ihm weniger kraftvoll erscheint, tritt in ein anderes Licht, wenn wir die Annahme wagen, daß es später vielfach verwendete und abgegriffene Bilder zum ersten Mal gebraucht und also durch und durch originell ist. Jedenfalls ist anzuerkennen, daß dieses große Lied der Anknüpfungspunkt für die spätere Entwicklung der religiösen Lyrik ist. - Ob sonst noch davidische Lieder erhalten sind, ist mir sehr fraglich. Zwar haben auch einige der vorurtheilsfreistcn Kritiker noch ein paar andere Psalmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/144>, abgerufen am 28.07.2024.