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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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19, 11). Im Psalm 60 wird Eton erwähnt: sofort bezog man den Psalm
auf einen großen Sieg Davids über die Edomitcr (2. Sam. 8, 13). In Psalm
63.2 ist bildlich von einer wasserlosen Einöde die Rede, in der sich der Dichter
befinde: daraus zog man den Sckluß, David habe dies Gedicht in der judäischen
Wüste gemacht. Alle diese Schlüsse aus dem Inhalt sind in den Ueberschriften
als unzweifelhafte Wahrheit angegeben; man sieht, wie wenig geschichtlichen
Werth diese Ueberschriften überhaupt haben.

Also das steht fest, die Ueberlieferung, daß David alle oder doch sehr viele
Psalmen gemacht habe, ist haltlos. Aber sollten nicht doch manche davidische
Lieder im Psalter enthalten sein? Nennt sich doch David selbst "den lieblichen
Säuger Israels" (2. Sam. 23, 1 -- vgl. auch die Worte des alten Propheten
Amos 6, 6): wir können daher nicht blos ganz wenige Lieder von ihm haben.
Aber ein solcher Schluß ist nicht statthaft. Salomo soll 1005 Lieder gedichtet
haben (1. Kg. 5, 12), von denen wir nichts mehr besitzen (vgl. den frühern
Aufsatz über die salomonischen Schriften); warum sollen nicht auch die meisten
davidischen Lieder verloren gegangen sein? Und ist denn gesagt, daß David
vorzugsweise oder doch in besonders großer Anzahl religiöse Lieder gedichtet
habe, an deren Aufbewahrung eine Sammlung wie der Psalter doch allein
ein Interesse haben konnte? Daß der Chronist (2. Chron. 29. 30) und Sirach
(47, 8--10) David als Psalmendichter und Urheber der Tempelmusil kennen,
bezeichnet doch nur die Meinung einer sehr späten Zeit und ist nicht maßgebend
für etwas, das 800 Jahre früher stattfand. Und die uns im Alten Testament
erhaltenen unzweifelhaft echten Lieder sind der Ansicht, daß David vmzüglich
ein religiöser Dichter war, nicht eben günstig.

Als ganz entschieden echt betrachte ich eben mir die im zweiten Buch
Samuel unter Davids Namen angeführten Lieder. Die Ueberlieferung eines
größtenteils auf sehr guten Quellen beruhenden geschichtlichen Buches, welches
noch dazu bei dein einen Liede selbst eine alte Quellenschrift citirt. hat ein
Kanz anderes Gewicht, als die Ueberschriften im Psalmbuche; und wenn nun
die hier vorkommenden Lieder durchaus nichts Verdächtiges, ja vielmehr ganz
Positive Zeichen der Echtheit an sich tragen, so dürfen wir sie wohl unbedenklich
als davidisch ansehen. Bor allem ist hier nun das herrliche Klagelied auf
Saul und Jonathan (2. Sam. Z, 19 ff.) hervorzuheben, das den Stempel der
Echtheit wie wenige Gedichte an sich trägt. Diese Klage, welche wieder, wie
das Deboralied. eine überaus wichtige geschichtliche Urkunde ist und uns eine
willkommene Bestätigung und Ergänzung des sonst über den Dichter und die
beiden Betrauerten Ueberlieferten giebt, ist der rührende, rein menschliche, tief
poetische Ausdruck eines edlen Gefühls. Bon religiösen Gedanken, die .aus¬
zusprechen bei einer solchen Gelegenheit doch Veranlassung genug gewesen wäre,
^l)en wir in dem schönen und im Ganzen leicht verständlichen Liede gar nichts!


19, 11). Im Psalm 60 wird Eton erwähnt: sofort bezog man den Psalm
auf einen großen Sieg Davids über die Edomitcr (2. Sam. 8, 13). In Psalm
63.2 ist bildlich von einer wasserlosen Einöde die Rede, in der sich der Dichter
befinde: daraus zog man den Sckluß, David habe dies Gedicht in der judäischen
Wüste gemacht. Alle diese Schlüsse aus dem Inhalt sind in den Ueberschriften
als unzweifelhafte Wahrheit angegeben; man sieht, wie wenig geschichtlichen
Werth diese Ueberschriften überhaupt haben.

Also das steht fest, die Ueberlieferung, daß David alle oder doch sehr viele
Psalmen gemacht habe, ist haltlos. Aber sollten nicht doch manche davidische
Lieder im Psalter enthalten sein? Nennt sich doch David selbst „den lieblichen
Säuger Israels" (2. Sam. 23, 1 — vgl. auch die Worte des alten Propheten
Amos 6, 6): wir können daher nicht blos ganz wenige Lieder von ihm haben.
Aber ein solcher Schluß ist nicht statthaft. Salomo soll 1005 Lieder gedichtet
haben (1. Kg. 5, 12), von denen wir nichts mehr besitzen (vgl. den frühern
Aufsatz über die salomonischen Schriften); warum sollen nicht auch die meisten
davidischen Lieder verloren gegangen sein? Und ist denn gesagt, daß David
vorzugsweise oder doch in besonders großer Anzahl religiöse Lieder gedichtet
habe, an deren Aufbewahrung eine Sammlung wie der Psalter doch allein
ein Interesse haben konnte? Daß der Chronist (2. Chron. 29. 30) und Sirach
(47, 8—10) David als Psalmendichter und Urheber der Tempelmusil kennen,
bezeichnet doch nur die Meinung einer sehr späten Zeit und ist nicht maßgebend
für etwas, das 800 Jahre früher stattfand. Und die uns im Alten Testament
erhaltenen unzweifelhaft echten Lieder sind der Ansicht, daß David vmzüglich
ein religiöser Dichter war, nicht eben günstig.

Als ganz entschieden echt betrachte ich eben mir die im zweiten Buch
Samuel unter Davids Namen angeführten Lieder. Die Ueberlieferung eines
größtenteils auf sehr guten Quellen beruhenden geschichtlichen Buches, welches
noch dazu bei dein einen Liede selbst eine alte Quellenschrift citirt. hat ein
Kanz anderes Gewicht, als die Ueberschriften im Psalmbuche; und wenn nun
die hier vorkommenden Lieder durchaus nichts Verdächtiges, ja vielmehr ganz
Positive Zeichen der Echtheit an sich tragen, so dürfen wir sie wohl unbedenklich
als davidisch ansehen. Bor allem ist hier nun das herrliche Klagelied auf
Saul und Jonathan (2. Sam. Z, 19 ff.) hervorzuheben, das den Stempel der
Echtheit wie wenige Gedichte an sich trägt. Diese Klage, welche wieder, wie
das Deboralied. eine überaus wichtige geschichtliche Urkunde ist und uns eine
willkommene Bestätigung und Ergänzung des sonst über den Dichter und die
beiden Betrauerten Ueberlieferten giebt, ist der rührende, rein menschliche, tief
poetische Ausdruck eines edlen Gefühls. Bon religiösen Gedanken, die .aus¬
zusprechen bei einer solchen Gelegenheit doch Veranlassung genug gewesen wäre,
^l)en wir in dem schönen und im Ganzen leicht verständlichen Liede gar nichts!


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[0143] 19, 11). Im Psalm 60 wird Eton erwähnt: sofort bezog man den Psalm auf einen großen Sieg Davids über die Edomitcr (2. Sam. 8, 13). In Psalm 63.2 ist bildlich von einer wasserlosen Einöde die Rede, in der sich der Dichter befinde: daraus zog man den Sckluß, David habe dies Gedicht in der judäischen Wüste gemacht. Alle diese Schlüsse aus dem Inhalt sind in den Ueberschriften als unzweifelhafte Wahrheit angegeben; man sieht, wie wenig geschichtlichen Werth diese Ueberschriften überhaupt haben. Also das steht fest, die Ueberlieferung, daß David alle oder doch sehr viele Psalmen gemacht habe, ist haltlos. Aber sollten nicht doch manche davidische Lieder im Psalter enthalten sein? Nennt sich doch David selbst „den lieblichen Säuger Israels" (2. Sam. 23, 1 — vgl. auch die Worte des alten Propheten Amos 6, 6): wir können daher nicht blos ganz wenige Lieder von ihm haben. Aber ein solcher Schluß ist nicht statthaft. Salomo soll 1005 Lieder gedichtet haben (1. Kg. 5, 12), von denen wir nichts mehr besitzen (vgl. den frühern Aufsatz über die salomonischen Schriften); warum sollen nicht auch die meisten davidischen Lieder verloren gegangen sein? Und ist denn gesagt, daß David vorzugsweise oder doch in besonders großer Anzahl religiöse Lieder gedichtet habe, an deren Aufbewahrung eine Sammlung wie der Psalter doch allein ein Interesse haben konnte? Daß der Chronist (2. Chron. 29. 30) und Sirach (47, 8—10) David als Psalmendichter und Urheber der Tempelmusil kennen, bezeichnet doch nur die Meinung einer sehr späten Zeit und ist nicht maßgebend für etwas, das 800 Jahre früher stattfand. Und die uns im Alten Testament erhaltenen unzweifelhaft echten Lieder sind der Ansicht, daß David vmzüglich ein religiöser Dichter war, nicht eben günstig. Als ganz entschieden echt betrachte ich eben mir die im zweiten Buch Samuel unter Davids Namen angeführten Lieder. Die Ueberlieferung eines größtenteils auf sehr guten Quellen beruhenden geschichtlichen Buches, welches noch dazu bei dein einen Liede selbst eine alte Quellenschrift citirt. hat ein Kanz anderes Gewicht, als die Ueberschriften im Psalmbuche; und wenn nun die hier vorkommenden Lieder durchaus nichts Verdächtiges, ja vielmehr ganz Positive Zeichen der Echtheit an sich tragen, so dürfen wir sie wohl unbedenklich als davidisch ansehen. Bor allem ist hier nun das herrliche Klagelied auf Saul und Jonathan (2. Sam. Z, 19 ff.) hervorzuheben, das den Stempel der Echtheit wie wenige Gedichte an sich trägt. Diese Klage, welche wieder, wie das Deboralied. eine überaus wichtige geschichtliche Urkunde ist und uns eine willkommene Bestätigung und Ergänzung des sonst über den Dichter und die beiden Betrauerten Ueberlieferten giebt, ist der rührende, rein menschliche, tief poetische Ausdruck eines edlen Gefühls. Bon religiösen Gedanken, die .aus¬ zusprechen bei einer solchen Gelegenheit doch Veranlassung genug gewesen wäre, ^l)en wir in dem schönen und im Ganzen leicht verständlichen Liede gar nichts!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/143>, abgerufen am 27.07.2024.