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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Siegel, ein'Vierter Karikaturen. Der Verfasser legte sich eine Mappe mit
Reclamen an, aus der man ihm nun einige charakteristische oder ergötzliche
Beispiele, nach den oben angedeuteten Classen geordnet, als einen kleinen Bei¬
trag zur Culturgeschichte mitzutheilen gestatten wolle. Es sind Kinder sehr ver¬
schiedener Zonen, und man wird Einiges barunter finden, was in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts befremdlich erscheinen kann. So gleich
das Folgende.

In Amerika kennt man keine europäische Polizei, und so wachst dort auch
die magische Reclame und zwar nicht erst, seit die Spiritualisten von sich
reden machen. Schon 1831 glänzte in der newyorker "Tribune" jeden Monat
ein paar Mal "der berühmte Doctor Roi'ack aus Schweden, der siebente Sohn
des siebenten Sohnes, Professor der Astrologie, Phrenologie und Gcomantik,
im Besitz eines Certificats von König Karl Johann" u. f. w. und empfahl sich
als Wahrsager in Bezug auf Liebschaften, Speculationen in Papieren, Kauf¬
mannsgütern und liegenden Besitzungen, auf Reisen zu Wasser und zu Lande
und ähnliche Dinge. Und ungefähr in derselben Zeit verkündete die "Daily
Times" in Cincinnati, daß die Stadt sich der Anwesenheit einer "German
Doctreß, Mrs. Rosebough" erfreue, welche mit der Gabe, Blindheit, Taubheit
und Krebsschaden gründlich zu heilen, auch die fernere verbinde, "aus der Hand
wahrsagen zu können".

Sehr sonderbar! Aber wir bitten: sich nicht in die Brust werfen! Unsre
Wahrsager zeigen sich einzig und allein deshalb nicht an, weil sie nicht dürfen,
und in der Nationalzcitung vom 4. November 1863 stach uns nachstehende
Reclame in die Augen:

"Doctor Werner wurde 141 Jahre und seine Nachkommen sämmt¬
lich über 100 Jahre alt. Auch jeder andere Mensch kann durch Dr. Werners
Wegweiser für alle Kranke zu gleichem Alter gelangen, wenn er den richtigen
Gebrauch der unübertrefflichen schwedischen Lebensessenz in gesunden
Tagen und bei allen Krankheiten kennen lernt. Man bekommt dieses Buch in
allen Buchhandlungen für 6 Sgr., und seitdem ist es allen Menschen möglich,
sich in jeder Krankheit zu heilen und ebenso alt zu werden, wie der Haus¬
besitzer Metz in Litau, welcher vor Kurzem -- 132 Jahre alt -- starb."

Da haben wir ferner die philosop hirende Reclame, eine höchst
würdevolle Gattung, bevor sie den Mantel fallen läßt, sinnend, den Finger an
der Stirn über gewisse Räthsel des Daseins gebeugt, dann heiter ausstrahlend
über die glücklich gefundene Lösung. "Was ist unmöglich?" fragt mit crnst-
olickender fetter Schrift eins unsrer Exemplare sich und uns, und sofort erfahren
wirs darunter: "daß irgendeine andre Handlung gute Herrenanzüge zu so er¬
staunlich billigen Preisen verkaufen kann, als" u. f. w. "Als Bürgschaft für
die Wirksamkeit eines Getränks dienen," so l.äßt sich eine andere philosophisch


Siegel, ein'Vierter Karikaturen. Der Verfasser legte sich eine Mappe mit
Reclamen an, aus der man ihm nun einige charakteristische oder ergötzliche
Beispiele, nach den oben angedeuteten Classen geordnet, als einen kleinen Bei¬
trag zur Culturgeschichte mitzutheilen gestatten wolle. Es sind Kinder sehr ver¬
schiedener Zonen, und man wird Einiges barunter finden, was in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts befremdlich erscheinen kann. So gleich
das Folgende.

In Amerika kennt man keine europäische Polizei, und so wachst dort auch
die magische Reclame und zwar nicht erst, seit die Spiritualisten von sich
reden machen. Schon 1831 glänzte in der newyorker „Tribune" jeden Monat
ein paar Mal „der berühmte Doctor Roi'ack aus Schweden, der siebente Sohn
des siebenten Sohnes, Professor der Astrologie, Phrenologie und Gcomantik,
im Besitz eines Certificats von König Karl Johann" u. f. w. und empfahl sich
als Wahrsager in Bezug auf Liebschaften, Speculationen in Papieren, Kauf¬
mannsgütern und liegenden Besitzungen, auf Reisen zu Wasser und zu Lande
und ähnliche Dinge. Und ungefähr in derselben Zeit verkündete die „Daily
Times" in Cincinnati, daß die Stadt sich der Anwesenheit einer „German
Doctreß, Mrs. Rosebough" erfreue, welche mit der Gabe, Blindheit, Taubheit
und Krebsschaden gründlich zu heilen, auch die fernere verbinde, „aus der Hand
wahrsagen zu können".

Sehr sonderbar! Aber wir bitten: sich nicht in die Brust werfen! Unsre
Wahrsager zeigen sich einzig und allein deshalb nicht an, weil sie nicht dürfen,
und in der Nationalzcitung vom 4. November 1863 stach uns nachstehende
Reclame in die Augen:

„Doctor Werner wurde 141 Jahre und seine Nachkommen sämmt¬
lich über 100 Jahre alt. Auch jeder andere Mensch kann durch Dr. Werners
Wegweiser für alle Kranke zu gleichem Alter gelangen, wenn er den richtigen
Gebrauch der unübertrefflichen schwedischen Lebensessenz in gesunden
Tagen und bei allen Krankheiten kennen lernt. Man bekommt dieses Buch in
allen Buchhandlungen für 6 Sgr., und seitdem ist es allen Menschen möglich,
sich in jeder Krankheit zu heilen und ebenso alt zu werden, wie der Haus¬
besitzer Metz in Litau, welcher vor Kurzem — 132 Jahre alt — starb."

Da haben wir ferner die philosop hirende Reclame, eine höchst
würdevolle Gattung, bevor sie den Mantel fallen läßt, sinnend, den Finger an
der Stirn über gewisse Räthsel des Daseins gebeugt, dann heiter ausstrahlend
über die glücklich gefundene Lösung. „Was ist unmöglich?" fragt mit crnst-
olickender fetter Schrift eins unsrer Exemplare sich und uns, und sofort erfahren
wirs darunter: „daß irgendeine andre Handlung gute Herrenanzüge zu so er¬
staunlich billigen Preisen verkaufen kann, als" u. f. w. „Als Bürgschaft für
die Wirksamkeit eines Getränks dienen," so l.äßt sich eine andere philosophisch


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[0123] Siegel, ein'Vierter Karikaturen. Der Verfasser legte sich eine Mappe mit Reclamen an, aus der man ihm nun einige charakteristische oder ergötzliche Beispiele, nach den oben angedeuteten Classen geordnet, als einen kleinen Bei¬ trag zur Culturgeschichte mitzutheilen gestatten wolle. Es sind Kinder sehr ver¬ schiedener Zonen, und man wird Einiges barunter finden, was in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts befremdlich erscheinen kann. So gleich das Folgende. In Amerika kennt man keine europäische Polizei, und so wachst dort auch die magische Reclame und zwar nicht erst, seit die Spiritualisten von sich reden machen. Schon 1831 glänzte in der newyorker „Tribune" jeden Monat ein paar Mal „der berühmte Doctor Roi'ack aus Schweden, der siebente Sohn des siebenten Sohnes, Professor der Astrologie, Phrenologie und Gcomantik, im Besitz eines Certificats von König Karl Johann" u. f. w. und empfahl sich als Wahrsager in Bezug auf Liebschaften, Speculationen in Papieren, Kauf¬ mannsgütern und liegenden Besitzungen, auf Reisen zu Wasser und zu Lande und ähnliche Dinge. Und ungefähr in derselben Zeit verkündete die „Daily Times" in Cincinnati, daß die Stadt sich der Anwesenheit einer „German Doctreß, Mrs. Rosebough" erfreue, welche mit der Gabe, Blindheit, Taubheit und Krebsschaden gründlich zu heilen, auch die fernere verbinde, „aus der Hand wahrsagen zu können". Sehr sonderbar! Aber wir bitten: sich nicht in die Brust werfen! Unsre Wahrsager zeigen sich einzig und allein deshalb nicht an, weil sie nicht dürfen, und in der Nationalzcitung vom 4. November 1863 stach uns nachstehende Reclame in die Augen: „Doctor Werner wurde 141 Jahre und seine Nachkommen sämmt¬ lich über 100 Jahre alt. Auch jeder andere Mensch kann durch Dr. Werners Wegweiser für alle Kranke zu gleichem Alter gelangen, wenn er den richtigen Gebrauch der unübertrefflichen schwedischen Lebensessenz in gesunden Tagen und bei allen Krankheiten kennen lernt. Man bekommt dieses Buch in allen Buchhandlungen für 6 Sgr., und seitdem ist es allen Menschen möglich, sich in jeder Krankheit zu heilen und ebenso alt zu werden, wie der Haus¬ besitzer Metz in Litau, welcher vor Kurzem — 132 Jahre alt — starb." Da haben wir ferner die philosop hirende Reclame, eine höchst würdevolle Gattung, bevor sie den Mantel fallen läßt, sinnend, den Finger an der Stirn über gewisse Räthsel des Daseins gebeugt, dann heiter ausstrahlend über die glücklich gefundene Lösung. „Was ist unmöglich?" fragt mit crnst- olickender fetter Schrift eins unsrer Exemplare sich und uns, und sofort erfahren wirs darunter: „daß irgendeine andre Handlung gute Herrenanzüge zu so er¬ staunlich billigen Preisen verkaufen kann, als" u. f. w. „Als Bürgschaft für die Wirksamkeit eines Getränks dienen," so l.äßt sich eine andere philosophisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/123>, abgerufen am 28.07.2024.