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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Ktzc. daß die Kirche ihre Angelegenheiten frei und selbständig ordnen und ver¬
walten solle, die katholische Kirche ihre Geistlichen selbst an und hält sie unter
ihrer Disciplin; dagegen sind ihr überall, wo sie in das Gebiet des Staates
eingreift. Schranken gezogen, Regierungs- oder Gemeindcbeamte zur Seite gesetzt,
oder ihre Wirksamkeit ganz ausgeschlossen. Für die Verwaltung der katholischen
Stiftungen ist ein Obcrstiftungsrath eingesetzt, der, bestehend zur Hälfte aus
großherzoglichen Regierungsbeamten, zur Hälfte aus vom Erzbischof von Frei-
burg Ernannten, die oberste Controle über die Stiftungsräthe übt. Die Schulen
stehen sämmtlich unter der Oberaufsicht eines Obcrschulraths, der nach dem
Schulgesetz vom 29. Juli 1864 ganz aus Regierungsbeamten besteht und nur
der Billigkeit halber in seiner Mehrheit katholische Mitglieder zählt, für die
Volksschulen insbesondere sind von den Gemeinden gewählte Gemeinde- oder
Ortsschulräthe, in welchen der Pfarrer nur Mitglied ist. eingesetzt, und die
Mittelaufsicht besorgen von der Regierung angestellte Kreisschulräthe für den
weltlichen Unterricht, während die Geistlichen nur den religiösen
Unterricht selbst zu geben oder zu leiten haben. Die ganze Ordnung, wie
gesagt, die denkbar rationellste, wenn auch vielleicht nicht in dem Grade durch¬
führbare, ist mit großer Rücksichtnahme für die katholische Kirche in Wirksamkeit
gesetzt, ihr überall der Einfluß gesichert, wohin, er einigermaßen reichen darf.

Gleichwohl ist es nach dem Wesen und Ziel der Ultramontanen erklärlich,
daß sich ihr ganzer Zorn gegen diese Ordnung in Baden richtete. Wenn so
ihre Alleinherrschaft in einem Lande unmöglich gemacht werden sollte, in dem
Mei Drittheile der Bevölkerung katholisch sind, was sollte da erst aus ihrer
Herrschaft in den Staaten werden, deren Bevölkerung der Mehrheit nach pro¬
testantisch ist! Also wandte sich ihr Hauptsturm gegen Baden. Aber doch nicht
allein hier, auf der ganzen Linie ward ein Vormarsch versucht, und weil Baden
für unsere Darstellung das meiste Interesse hat, heben wir es uns für zuletzt auf.
vorerst berichtend, was auf den andern Punkten der Angriffslinie sich begeben hat.

In der Wichtigkeit steht für den Ultramontanismus zunächst Baden Bayern.
Letzteres ist durch seine räumliche Ausdehnung zwar an und für sich, auch durch
seine größere Anzahl katholischer Bewohner Baden überlegen, aber eben darum,
wegen der größeren Sicherheit, die darin liegt, an innerem Werthe nachstehend;
es ist in Bayern nicht so viel zu verlieren wie in Baden. Dort steht dem katho¬
lischen Klerus ein Grundeigenthum zu Gebote, das man 1851 auf 92 Millionen
Gulden schätzte, und das jetzt bei dem rasch gestiegenen Werthe des Grund¬
besitzes auf 100 Millionen Werth angewachsen sein mag. Dazu kommt ein
Zuschuß des Staates jährlich von circa 1.S62.000 Gulden; der Erzbischof
von München bezieht davon 20,000 Gulden, der von Bamberg 1S.000 Gulden.
Bischöfe beziehen jeder 8--10.000 Gulden. Wie viele ergebene Pächter
wogen nun aus den Gütern der Kirche sitzen, wie viele ergebene Beamte von


Ktzc. daß die Kirche ihre Angelegenheiten frei und selbständig ordnen und ver¬
walten solle, die katholische Kirche ihre Geistlichen selbst an und hält sie unter
ihrer Disciplin; dagegen sind ihr überall, wo sie in das Gebiet des Staates
eingreift. Schranken gezogen, Regierungs- oder Gemeindcbeamte zur Seite gesetzt,
oder ihre Wirksamkeit ganz ausgeschlossen. Für die Verwaltung der katholischen
Stiftungen ist ein Obcrstiftungsrath eingesetzt, der, bestehend zur Hälfte aus
großherzoglichen Regierungsbeamten, zur Hälfte aus vom Erzbischof von Frei-
burg Ernannten, die oberste Controle über die Stiftungsräthe übt. Die Schulen
stehen sämmtlich unter der Oberaufsicht eines Obcrschulraths, der nach dem
Schulgesetz vom 29. Juli 1864 ganz aus Regierungsbeamten besteht und nur
der Billigkeit halber in seiner Mehrheit katholische Mitglieder zählt, für die
Volksschulen insbesondere sind von den Gemeinden gewählte Gemeinde- oder
Ortsschulräthe, in welchen der Pfarrer nur Mitglied ist. eingesetzt, und die
Mittelaufsicht besorgen von der Regierung angestellte Kreisschulräthe für den
weltlichen Unterricht, während die Geistlichen nur den religiösen
Unterricht selbst zu geben oder zu leiten haben. Die ganze Ordnung, wie
gesagt, die denkbar rationellste, wenn auch vielleicht nicht in dem Grade durch¬
führbare, ist mit großer Rücksichtnahme für die katholische Kirche in Wirksamkeit
gesetzt, ihr überall der Einfluß gesichert, wohin, er einigermaßen reichen darf.

Gleichwohl ist es nach dem Wesen und Ziel der Ultramontanen erklärlich,
daß sich ihr ganzer Zorn gegen diese Ordnung in Baden richtete. Wenn so
ihre Alleinherrschaft in einem Lande unmöglich gemacht werden sollte, in dem
Mei Drittheile der Bevölkerung katholisch sind, was sollte da erst aus ihrer
Herrschaft in den Staaten werden, deren Bevölkerung der Mehrheit nach pro¬
testantisch ist! Also wandte sich ihr Hauptsturm gegen Baden. Aber doch nicht
allein hier, auf der ganzen Linie ward ein Vormarsch versucht, und weil Baden
für unsere Darstellung das meiste Interesse hat, heben wir es uns für zuletzt auf.
vorerst berichtend, was auf den andern Punkten der Angriffslinie sich begeben hat.

In der Wichtigkeit steht für den Ultramontanismus zunächst Baden Bayern.
Letzteres ist durch seine räumliche Ausdehnung zwar an und für sich, auch durch
seine größere Anzahl katholischer Bewohner Baden überlegen, aber eben darum,
wegen der größeren Sicherheit, die darin liegt, an innerem Werthe nachstehend;
es ist in Bayern nicht so viel zu verlieren wie in Baden. Dort steht dem katho¬
lischen Klerus ein Grundeigenthum zu Gebote, das man 1851 auf 92 Millionen
Gulden schätzte, und das jetzt bei dem rasch gestiegenen Werthe des Grund¬
besitzes auf 100 Millionen Werth angewachsen sein mag. Dazu kommt ein
Zuschuß des Staates jährlich von circa 1.S62.000 Gulden; der Erzbischof
von München bezieht davon 20,000 Gulden, der von Bamberg 1S.000 Gulden.
Bischöfe beziehen jeder 8—10.000 Gulden. Wie viele ergebene Pächter
wogen nun aus den Gütern der Kirche sitzen, wie viele ergebene Beamte von


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[0107] Ktzc. daß die Kirche ihre Angelegenheiten frei und selbständig ordnen und ver¬ walten solle, die katholische Kirche ihre Geistlichen selbst an und hält sie unter ihrer Disciplin; dagegen sind ihr überall, wo sie in das Gebiet des Staates eingreift. Schranken gezogen, Regierungs- oder Gemeindcbeamte zur Seite gesetzt, oder ihre Wirksamkeit ganz ausgeschlossen. Für die Verwaltung der katholischen Stiftungen ist ein Obcrstiftungsrath eingesetzt, der, bestehend zur Hälfte aus großherzoglichen Regierungsbeamten, zur Hälfte aus vom Erzbischof von Frei- burg Ernannten, die oberste Controle über die Stiftungsräthe übt. Die Schulen stehen sämmtlich unter der Oberaufsicht eines Obcrschulraths, der nach dem Schulgesetz vom 29. Juli 1864 ganz aus Regierungsbeamten besteht und nur der Billigkeit halber in seiner Mehrheit katholische Mitglieder zählt, für die Volksschulen insbesondere sind von den Gemeinden gewählte Gemeinde- oder Ortsschulräthe, in welchen der Pfarrer nur Mitglied ist. eingesetzt, und die Mittelaufsicht besorgen von der Regierung angestellte Kreisschulräthe für den weltlichen Unterricht, während die Geistlichen nur den religiösen Unterricht selbst zu geben oder zu leiten haben. Die ganze Ordnung, wie gesagt, die denkbar rationellste, wenn auch vielleicht nicht in dem Grade durch¬ führbare, ist mit großer Rücksichtnahme für die katholische Kirche in Wirksamkeit gesetzt, ihr überall der Einfluß gesichert, wohin, er einigermaßen reichen darf. Gleichwohl ist es nach dem Wesen und Ziel der Ultramontanen erklärlich, daß sich ihr ganzer Zorn gegen diese Ordnung in Baden richtete. Wenn so ihre Alleinherrschaft in einem Lande unmöglich gemacht werden sollte, in dem Mei Drittheile der Bevölkerung katholisch sind, was sollte da erst aus ihrer Herrschaft in den Staaten werden, deren Bevölkerung der Mehrheit nach pro¬ testantisch ist! Also wandte sich ihr Hauptsturm gegen Baden. Aber doch nicht allein hier, auf der ganzen Linie ward ein Vormarsch versucht, und weil Baden für unsere Darstellung das meiste Interesse hat, heben wir es uns für zuletzt auf. vorerst berichtend, was auf den andern Punkten der Angriffslinie sich begeben hat. In der Wichtigkeit steht für den Ultramontanismus zunächst Baden Bayern. Letzteres ist durch seine räumliche Ausdehnung zwar an und für sich, auch durch seine größere Anzahl katholischer Bewohner Baden überlegen, aber eben darum, wegen der größeren Sicherheit, die darin liegt, an innerem Werthe nachstehend; es ist in Bayern nicht so viel zu verlieren wie in Baden. Dort steht dem katho¬ lischen Klerus ein Grundeigenthum zu Gebote, das man 1851 auf 92 Millionen Gulden schätzte, und das jetzt bei dem rasch gestiegenen Werthe des Grund¬ besitzes auf 100 Millionen Werth angewachsen sein mag. Dazu kommt ein Zuschuß des Staates jährlich von circa 1.S62.000 Gulden; der Erzbischof von München bezieht davon 20,000 Gulden, der von Bamberg 1S.000 Gulden. Bischöfe beziehen jeder 8—10.000 Gulden. Wie viele ergebene Pächter wogen nun aus den Gütern der Kirche sitzen, wie viele ergebene Beamte von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/107>, abgerufen am 01.09.2024.