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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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welchen es nicht schwer wurde ein Compromiß mit jener Sorte von Particularis-
mus einzugehen, der sich unter dem Namen Föderalismus zu spreizen pflegt.
Jetzt, da das Parlament so entschieden sich zur Regierung gestellt hat, könnte
sich diese, ohne sich etwas zu vergeben, am ehesten zu einem versöhnlichen
Schritte entschließen. Es ist allerdings fraglich, ob Mazzini von einer Amnestie
Gebrauch machen würde. Wäre es der Fall, so dürfte man ohne Bedenken
seiner Rückkehr entgegensehen; der Name Mazzinis würde viel von seinem Zauber
verlieren, wenn der Nimbus des Exilirten und Märtyrers verschwände und er
ein Sterblicher unter Sterblichen erschiene, am ungefährlichsten wäre er sicher
im Parlament. Würde er aber die Amnestie zurückweisen, so wären doch
wenigstens für die Zukunft solche Demonstrationen um ihren Reiz betrogen,
wie die in Messina aufgeführte, und wie die Mazzinisten vielleicht auch künftig
sie aufzuführen sich das Vergnügen nicht versagen werden.

Von den Theorien Mazzinis hat das einige und freie Italien nichts zu
befürchten. Nicht blos im Parlament haben die entschiedensten Befürworter
seiner Zulassung, Sorge getragen, ihre Ansichten ausdrücklich von denen des
Agitators zu trennen; noch viel sprechender ist die Haltung des Volks auf jenen
radicalen Massenversammlungen, wie sie z. V. neulich am Josefstag (19. März)
da und dort gehalten worden sind. Nichts lärmender und nichts harmloser als
diese "Meetings", die sich mit merkwürdiger Naschheit in Italien eingebürgert
haben und fast zu einem unentbehrlichen Bestandtheil der öffentlichen Sitten
geworden sind. Da ist keine Schlechtigkeit zu haarsträubend, die nicht mit
freigebiger Hand aus Negierung und Parlament geworfen würde, da ist kein
Ausdruck zu überschwänglich und überirdisch, um ihn nicht mit enthusiastischem
Wortschall auf die Häupter Mazzinis und Garibaldis zu drücken, da ist keine
Theorie zu unsinnig, die nicht in irgendeinem Studenten oder Bäckermeister
ihren feurigen Cicero fände; tritt vollends ein gewesener Mönch in seiner Kapuze
aus und donnert über die Sünden des Papstthums los, so kennt der aus¬
schweifende Jubel keine Grenzen mehr. Und wenn dann die Redner erschöpft
geendigt, und die welterschütternden Resolutionen unter betäubendem Beifall
angenommen, löst sich die Versammlung friedlich auf und der Bürger geht,
stolz, sich an seinen Idealen erwärmt zu haben, ruhig wieder seinem Tagewerk
nach. Es scheint, solche Emotionen sind dem italienischen Temperament Bedürf¬
niß, der Südländer braucht von Zeit zu Zeit seine heroische Expectoration, so
gut wie sein Aetna und Vesuv, und die Regierung thut wohl daran, eine Rede¬
freiheit zu gestatten, die nur in Amerika ihres Gleichen hat. Die erziehende
Macht der Freiheit hat sich nie glänzender und rascher bewährt als im neuen
Italien.

Die Abstimmungen vom 26. Februar und 22. März haben die Autorität
der Negierung wesentlich befestigt. Sie verbürgen für die nächste Zeit einen


welchen es nicht schwer wurde ein Compromiß mit jener Sorte von Particularis-
mus einzugehen, der sich unter dem Namen Föderalismus zu spreizen pflegt.
Jetzt, da das Parlament so entschieden sich zur Regierung gestellt hat, könnte
sich diese, ohne sich etwas zu vergeben, am ehesten zu einem versöhnlichen
Schritte entschließen. Es ist allerdings fraglich, ob Mazzini von einer Amnestie
Gebrauch machen würde. Wäre es der Fall, so dürfte man ohne Bedenken
seiner Rückkehr entgegensehen; der Name Mazzinis würde viel von seinem Zauber
verlieren, wenn der Nimbus des Exilirten und Märtyrers verschwände und er
ein Sterblicher unter Sterblichen erschiene, am ungefährlichsten wäre er sicher
im Parlament. Würde er aber die Amnestie zurückweisen, so wären doch
wenigstens für die Zukunft solche Demonstrationen um ihren Reiz betrogen,
wie die in Messina aufgeführte, und wie die Mazzinisten vielleicht auch künftig
sie aufzuführen sich das Vergnügen nicht versagen werden.

Von den Theorien Mazzinis hat das einige und freie Italien nichts zu
befürchten. Nicht blos im Parlament haben die entschiedensten Befürworter
seiner Zulassung, Sorge getragen, ihre Ansichten ausdrücklich von denen des
Agitators zu trennen; noch viel sprechender ist die Haltung des Volks auf jenen
radicalen Massenversammlungen, wie sie z. V. neulich am Josefstag (19. März)
da und dort gehalten worden sind. Nichts lärmender und nichts harmloser als
diese „Meetings", die sich mit merkwürdiger Naschheit in Italien eingebürgert
haben und fast zu einem unentbehrlichen Bestandtheil der öffentlichen Sitten
geworden sind. Da ist keine Schlechtigkeit zu haarsträubend, die nicht mit
freigebiger Hand aus Negierung und Parlament geworfen würde, da ist kein
Ausdruck zu überschwänglich und überirdisch, um ihn nicht mit enthusiastischem
Wortschall auf die Häupter Mazzinis und Garibaldis zu drücken, da ist keine
Theorie zu unsinnig, die nicht in irgendeinem Studenten oder Bäckermeister
ihren feurigen Cicero fände; tritt vollends ein gewesener Mönch in seiner Kapuze
aus und donnert über die Sünden des Papstthums los, so kennt der aus¬
schweifende Jubel keine Grenzen mehr. Und wenn dann die Redner erschöpft
geendigt, und die welterschütternden Resolutionen unter betäubendem Beifall
angenommen, löst sich die Versammlung friedlich auf und der Bürger geht,
stolz, sich an seinen Idealen erwärmt zu haben, ruhig wieder seinem Tagewerk
nach. Es scheint, solche Emotionen sind dem italienischen Temperament Bedürf¬
niß, der Südländer braucht von Zeit zu Zeit seine heroische Expectoration, so
gut wie sein Aetna und Vesuv, und die Regierung thut wohl daran, eine Rede¬
freiheit zu gestatten, die nur in Amerika ihres Gleichen hat. Die erziehende
Macht der Freiheit hat sich nie glänzender und rascher bewährt als im neuen
Italien.

Die Abstimmungen vom 26. Februar und 22. März haben die Autorität
der Negierung wesentlich befestigt. Sie verbürgen für die nächste Zeit einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/102>, abgerufen am 28.07.2024.