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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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irren können, in welchem Dr. Weltmann dagegen alle möglichen zarten Reize
und charakteristischen Schönheiten entdeckt haben will.

Das Altarbild vom Tode des heiligen Sebastian, mit seinen vier Flügel-
bildern. das heut die Galerie der Pinakothek zu München bewahrt, wird neben
der Madonna mit dem Bürgermeister von Basel unter den gemalten Tafel-
bildern Holbeins als die großartigste Hauptschöpfung gelten müssen. Mehr
noch als das frische dramatisch bewegte natürliche Leben in der Composition
der Tafel selbst imponiren mir immer die herrlichen Gemälde auf den Flügeln:
die Verkündigung Maria auf deren Außenseite, die heilige Barbara und Elisa¬
beth auf deren innerer. Die deutsche Kunst jener großen Zeit hat keine Frauen-
gestalt geschaffen, die sich bei aller individuellen Bestimmtheit der Erscheinung
an idealer Hoheit und Großartigkeit und zugleich hinreißender süßer Anmuth
mit dieser heiligen Barbara des jungen Meisters messen könnte.

Es war das letzte Bild, welches er der Vaterstadt hinterließ. 1516 finden
wir ihn bereits in Basel thätig. Daß. wie man wohl angenommen hat. sein
Vater mit der ganzen Familie dorthin übersiedelt sei. kann der Verfasser an.S
dem augsburgischen Malerbuch widerlegen. Wanderlust und seines Oheims
Siegmund Beispiel, welcher sich in Bern Haus und Wohlstand gegründet hatte,
mögen ihn in die Schweiz geführt haben. Durch die von Basels unter-
nehmenden Buchdruckern gebotne Möglichkeit leichten lohnenden Kunsterwerbs
durch Holzzeichnungen für Bücherillustration glaubt Woltmann ihn dort fest-
gehalten. Bis Luzern ist er noch gewandert, aber 1519 finden wir ihn wieder
in Basel in die Malerzunft aufgenommen und -- den nur zu häufigen, ver-
hängnißvollen Unbedacht manches Künstlers in alter und neuer Zeit theilend --
im vierundzwanzigsten Jahre verheiratet mit Elisabeth Meyer aus Bern, deren,
nach ihrem Bildniß zu schließen, gründliche Häßlichkeit und wahrscheinlich sehr
bescheidnes Maß von Liebenswürdigkeit ihm wohl bald genug das ehrwürdige
Institut der Ehe in einem Lichte erscheinen ließen, welches ihm seine spätere
Trennung von der dahier Heimath nicht grade erschwerte.

Diese selbst bot ihm. wenn auch nicht die kunstreiche Pracht des augsburger
Lebens, so doch das stattliche stolze Wesen einer bedeutenden städtischen Ge-
meinde voll bürgerlichen Selbstgefühls und rüstiger Tüchtigkeit, und damit auch
einen gesunden Boden für sein Kunstschaffen. Das Museum zu Basel bewahrt
heut noch die wichtigsten und zahlreichsten Denkmale desselben zum Theil in
den. wenn auch oft nur noch fragmentarisch erhaltnen. abgeschlossenen Werken
selbst, zum Theil in den köstlichen Handzeichnungen und Entwürfen zu denselben.

Unter jenen figuriren Ausführungen der verschiedensten Aufgaben aus der
ersten Zeit seines dahier Aufenthalts: die Reste eines Schildes, welches der
junge Malermeister 1516 für das Haus eines Schullehrers zu malen hatte;
das demselben Jahr entstammende Bildniß des Bürgermeisters Meyer zum Hasen


irren können, in welchem Dr. Weltmann dagegen alle möglichen zarten Reize
und charakteristischen Schönheiten entdeckt haben will.

Das Altarbild vom Tode des heiligen Sebastian, mit seinen vier Flügel-
bildern. das heut die Galerie der Pinakothek zu München bewahrt, wird neben
der Madonna mit dem Bürgermeister von Basel unter den gemalten Tafel-
bildern Holbeins als die großartigste Hauptschöpfung gelten müssen. Mehr
noch als das frische dramatisch bewegte natürliche Leben in der Composition
der Tafel selbst imponiren mir immer die herrlichen Gemälde auf den Flügeln:
die Verkündigung Maria auf deren Außenseite, die heilige Barbara und Elisa¬
beth auf deren innerer. Die deutsche Kunst jener großen Zeit hat keine Frauen-
gestalt geschaffen, die sich bei aller individuellen Bestimmtheit der Erscheinung
an idealer Hoheit und Großartigkeit und zugleich hinreißender süßer Anmuth
mit dieser heiligen Barbara des jungen Meisters messen könnte.

Es war das letzte Bild, welches er der Vaterstadt hinterließ. 1516 finden
wir ihn bereits in Basel thätig. Daß. wie man wohl angenommen hat. sein
Vater mit der ganzen Familie dorthin übersiedelt sei. kann der Verfasser an.S
dem augsburgischen Malerbuch widerlegen. Wanderlust und seines Oheims
Siegmund Beispiel, welcher sich in Bern Haus und Wohlstand gegründet hatte,
mögen ihn in die Schweiz geführt haben. Durch die von Basels unter-
nehmenden Buchdruckern gebotne Möglichkeit leichten lohnenden Kunsterwerbs
durch Holzzeichnungen für Bücherillustration glaubt Woltmann ihn dort fest-
gehalten. Bis Luzern ist er noch gewandert, aber 1519 finden wir ihn wieder
in Basel in die Malerzunft aufgenommen und — den nur zu häufigen, ver-
hängnißvollen Unbedacht manches Künstlers in alter und neuer Zeit theilend —
im vierundzwanzigsten Jahre verheiratet mit Elisabeth Meyer aus Bern, deren,
nach ihrem Bildniß zu schließen, gründliche Häßlichkeit und wahrscheinlich sehr
bescheidnes Maß von Liebenswürdigkeit ihm wohl bald genug das ehrwürdige
Institut der Ehe in einem Lichte erscheinen ließen, welches ihm seine spätere
Trennung von der dahier Heimath nicht grade erschwerte.

Diese selbst bot ihm. wenn auch nicht die kunstreiche Pracht des augsburger
Lebens, so doch das stattliche stolze Wesen einer bedeutenden städtischen Ge-
meinde voll bürgerlichen Selbstgefühls und rüstiger Tüchtigkeit, und damit auch
einen gesunden Boden für sein Kunstschaffen. Das Museum zu Basel bewahrt
heut noch die wichtigsten und zahlreichsten Denkmale desselben zum Theil in
den. wenn auch oft nur noch fragmentarisch erhaltnen. abgeschlossenen Werken
selbst, zum Theil in den köstlichen Handzeichnungen und Entwürfen zu denselben.

Unter jenen figuriren Ausführungen der verschiedensten Aufgaben aus der
ersten Zeit seines dahier Aufenthalts: die Reste eines Schildes, welches der
junge Malermeister 1516 für das Haus eines Schullehrers zu malen hatte;
das demselben Jahr entstammende Bildniß des Bürgermeisters Meyer zum Hasen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/97>, abgerufen am 29.06.2024.