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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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die Jagd an den Ufern der Themse. Sein Falke stieg empor; er sah einen
Reiher in der Luft, stieß ihn und brachte ihn seinem Herrn. Unwillig nahm
Robert die gemeine Beute. Aber er überlegte bald, daß sie ihm für seine
Pläne dienen könne. Er ließ den Vogel rupfen und rösten und auf eine sil¬
berne Schüssel legen. So zog er mit großem Gefolge von Rittern, Sängern
und Sängerinnen nach dem Palaste des Königs. Eintretend in den Saal
rief er:

"Oeffnet die Reihen, Ritter mit geringem Muthe; hier ist ein Gastmahl,
das euch gebührt; ihr sollt über diesen Reiher die eures Muthes würdigen Ge¬
lübde ablegen. Er ist, wie ihr wißt, das furchtsamste Thier, dieser Reiher;
denn er fürchtet seinen eignen Schatten. Darum will ich ihn zuerst dem Furcht¬
samsten der Menschen bringen."

So wendete er sich zum König und reichte ihm den Vogel als Preis und
Sinnbild seiner Gleichgiltigkeit für eine Krone, die er so furchtsam in den
Händen seines Gegners lasse. Der König erhob sich entrüstet über den frechen
Vorwurf; aber er erröthete zugleich und rief zornig:

"Weil das Sinnbild der Feigheit hier vor mir aufgestellt wird, so ist
nöthig, daß ich mich besser zeige, als dieses Sinnbild. Ich gelobe daher, daß
ich, bevor ein Jahr verläuft, den König von Saint-Denis Herausfordre, und
über das Meer ziehe mit meinen Baronen, um meinen ewigen Feind, diesen
Philipp von Valois, der das Zeichen der Lilien trägt, zu treffen, selbst wenn
er mir ein zehnmal stärkeres Heer entgegensetzen sollte. Er denkt mich meiner
Krone zu berauben; aber er irrt sich; denn, wenn ich ihm einst auch gehuldiget
habe, so war ich doch nur erst ein Knabe, und solche Handlung hat keinen
Werth. Ich schwöre also als König bei Saint-George und Saint-Denis, daß
ich, Feuer und Schwert in der Hand, die Schmach rächen will, die mir ge¬
schieht: daß nie ein Krieger solche Beute gewonnen hat, als ich sie vor dem
Jahre 1346 gewinnen will. Ich widerrufe also die Treue, die ich Philipp
gelobt habe und verheiße feierlich, ihn ohne Erbarmen zu bekämpfen."

Robert brach bei diesen Worten in wilde Freude, aus und rief:

"Bei Gott! wohl darf ich mich dieser Stunde freuen; denn ich bin aus
dem schönen Frankreich verbannt, fern von meinen Freunden und meinem Erbe.
Meine Kinder und mein Weib seufzen im Kerker. Das hat mir Philipp an¬
gethan, dem ich so treu und tapfer gedient habe. Aber nun werde ich, der
Enkel des heiligen Ludwig, Frankreich wiedersehn und jenen Philipp wieder
treffen, um an ihm Rache zu nehmen."

Nach diesen Worten ergriff er wieder die Schüssel mit dem Reiher, und
ging weiter im Saal, gefolgt von seinen Minstrels. Diese stimmten einen Ge¬
sang an, der so begann:


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die Jagd an den Ufern der Themse. Sein Falke stieg empor; er sah einen
Reiher in der Luft, stieß ihn und brachte ihn seinem Herrn. Unwillig nahm
Robert die gemeine Beute. Aber er überlegte bald, daß sie ihm für seine
Pläne dienen könne. Er ließ den Vogel rupfen und rösten und auf eine sil¬
berne Schüssel legen. So zog er mit großem Gefolge von Rittern, Sängern
und Sängerinnen nach dem Palaste des Königs. Eintretend in den Saal
rief er:

„Oeffnet die Reihen, Ritter mit geringem Muthe; hier ist ein Gastmahl,
das euch gebührt; ihr sollt über diesen Reiher die eures Muthes würdigen Ge¬
lübde ablegen. Er ist, wie ihr wißt, das furchtsamste Thier, dieser Reiher;
denn er fürchtet seinen eignen Schatten. Darum will ich ihn zuerst dem Furcht¬
samsten der Menschen bringen."

So wendete er sich zum König und reichte ihm den Vogel als Preis und
Sinnbild seiner Gleichgiltigkeit für eine Krone, die er so furchtsam in den
Händen seines Gegners lasse. Der König erhob sich entrüstet über den frechen
Vorwurf; aber er erröthete zugleich und rief zornig:

„Weil das Sinnbild der Feigheit hier vor mir aufgestellt wird, so ist
nöthig, daß ich mich besser zeige, als dieses Sinnbild. Ich gelobe daher, daß
ich, bevor ein Jahr verläuft, den König von Saint-Denis Herausfordre, und
über das Meer ziehe mit meinen Baronen, um meinen ewigen Feind, diesen
Philipp von Valois, der das Zeichen der Lilien trägt, zu treffen, selbst wenn
er mir ein zehnmal stärkeres Heer entgegensetzen sollte. Er denkt mich meiner
Krone zu berauben; aber er irrt sich; denn, wenn ich ihm einst auch gehuldiget
habe, so war ich doch nur erst ein Knabe, und solche Handlung hat keinen
Werth. Ich schwöre also als König bei Saint-George und Saint-Denis, daß
ich, Feuer und Schwert in der Hand, die Schmach rächen will, die mir ge¬
schieht: daß nie ein Krieger solche Beute gewonnen hat, als ich sie vor dem
Jahre 1346 gewinnen will. Ich widerrufe also die Treue, die ich Philipp
gelobt habe und verheiße feierlich, ihn ohne Erbarmen zu bekämpfen."

Robert brach bei diesen Worten in wilde Freude, aus und rief:

„Bei Gott! wohl darf ich mich dieser Stunde freuen; denn ich bin aus
dem schönen Frankreich verbannt, fern von meinen Freunden und meinem Erbe.
Meine Kinder und mein Weib seufzen im Kerker. Das hat mir Philipp an¬
gethan, dem ich so treu und tapfer gedient habe. Aber nun werde ich, der
Enkel des heiligen Ludwig, Frankreich wiedersehn und jenen Philipp wieder
treffen, um an ihm Rache zu nehmen."

Nach diesen Worten ergriff er wieder die Schüssel mit dem Reiher, und
ging weiter im Saal, gefolgt von seinen Minstrels. Diese stimmten einen Ge¬
sang an, der so begann:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/70>, abgerufen am 29.06.2024.