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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Nach jahrelangem Widerstreben und Makeln an des Künstlers erstem
Entwurf ist die noch bekanntere Schillerdenkmalsconcurrenz wenigstens dahin
entschieden (seit wenig Monaten), daß Begas den endlich gebilligten nun wirk¬
lich auszuführen hat. Ein Gutes hat dies immer Anderswollen wenigstens
gehabt, daß er in der Hauptsache aus die unübertreffliche ursprüngliche Anlage zurück¬
gegangen ist, das Monument wieder als Brunnen gestaltet und die prachtvollen
Gestalten der Schillerschen Musen, der Lyrik, des Dramas, der Geschichte und der
Philosophie, wieder in ihrer grandiosen Schönheit um die und zwischen den halbrund
vortretenden Schalen dieses Brunnens oberhalb der untern breiten Stufen hinlagert.
Die Dichterstatue selbst ist eine wesentlich andre geworden. Hier wäre indeß in der
großen Ausführung manche Aenderung noch dringend erwünscht. Wie sie im kleinen
Modell dasteht, wirkt die Gestalt durch die breiten reichen Massen des Mantels
in der einen Ansicht höchst bedeutend; von andern Seiten aber macht sich noch
eine gewisse Lahmheit und Gehemmtheit in der Haltung bemerklich. Die eigent¬
liche charakteristische Schilderung bestimmter historischer Geistesgestalten dürfte
Begas wohl überhaupt weniger gegeben sein. Auf die reizende oder machtvolle
sinnliche Erscheinung lichtet sich immer die ganze Kraft seines Könnens, wie
auch seines Wollens. Hier aber droht ihm die Gefahr, durch die wahrhafte
Ueberkraft im Gestalten über die ewigen, weil natürlichen, Grenzen plastischer
Kunst hinausgeführt zu werden, wie man es bereits nicht ganz mit Unrecht
seiner an zugleich naiver und üppiger Schönheit so reichen Venusgruppe, und
früher schon der etwas gewaltsamen, in Maßen und Bewegungen überschwäng-
lichen Giebelgruppe auf der neuen berliner Börse zum Vorwurf gemacht hat.
Jedenfalls wollen wir uns freuen, daß hier ein neues Element mit so viel
positiver genialer Kraft in der berliner Schule auftritt und ein frisches Leben
hineinbringt, wo das Erstarren in auswendig gelernter Kunstweise bereits be¬
drohlich wurde. In welcher Art dies neue Element sich fruchtbar und folgen¬
reich erweisen wird, vorausbestimmen zu wollen, unternehmen wir nicht.
Es könnte scheinen, als ob der Realismus das Losungswort für eine junge
Schule der Plastik werden würde; aber wir sehen vorläufig noch nicht die¬
jenigen, welche, Begas folgend und über ihn hinausgehend, die künstlerischen
Principien, die jenes Wort bezeichnet, mit einer wirklich schöpferischen Genialität
ins Werk zu setzen berufen und gesonnen wären. Große Talente aber können
andrerseits auch wiederum plötzlich unerwartet, erstehen, von deren Dasein
wir heut noch keine Ahnung haben. In der Kunstgeschichte, so gut wie in
der Weltgeschichte, ist es ein thörichtes Unternehmen, der Zukunft gut Philo-
sophisch die Wege vorzeichnen zu wollen, welche sie nehmen wird; während es,
wenn man es nur recht anzufangen und die Thatsachen zu arrangiren weiß,
eine leichte und hübsche Sache ist, die Bahnen, welche die Vergangenheit ging,
aus der "vernünftigen historischen Nothwendigkeit" nachträglich zu construiren.


Nach jahrelangem Widerstreben und Makeln an des Künstlers erstem
Entwurf ist die noch bekanntere Schillerdenkmalsconcurrenz wenigstens dahin
entschieden (seit wenig Monaten), daß Begas den endlich gebilligten nun wirk¬
lich auszuführen hat. Ein Gutes hat dies immer Anderswollen wenigstens
gehabt, daß er in der Hauptsache aus die unübertreffliche ursprüngliche Anlage zurück¬
gegangen ist, das Monument wieder als Brunnen gestaltet und die prachtvollen
Gestalten der Schillerschen Musen, der Lyrik, des Dramas, der Geschichte und der
Philosophie, wieder in ihrer grandiosen Schönheit um die und zwischen den halbrund
vortretenden Schalen dieses Brunnens oberhalb der untern breiten Stufen hinlagert.
Die Dichterstatue selbst ist eine wesentlich andre geworden. Hier wäre indeß in der
großen Ausführung manche Aenderung noch dringend erwünscht. Wie sie im kleinen
Modell dasteht, wirkt die Gestalt durch die breiten reichen Massen des Mantels
in der einen Ansicht höchst bedeutend; von andern Seiten aber macht sich noch
eine gewisse Lahmheit und Gehemmtheit in der Haltung bemerklich. Die eigent¬
liche charakteristische Schilderung bestimmter historischer Geistesgestalten dürfte
Begas wohl überhaupt weniger gegeben sein. Auf die reizende oder machtvolle
sinnliche Erscheinung lichtet sich immer die ganze Kraft seines Könnens, wie
auch seines Wollens. Hier aber droht ihm die Gefahr, durch die wahrhafte
Ueberkraft im Gestalten über die ewigen, weil natürlichen, Grenzen plastischer
Kunst hinausgeführt zu werden, wie man es bereits nicht ganz mit Unrecht
seiner an zugleich naiver und üppiger Schönheit so reichen Venusgruppe, und
früher schon der etwas gewaltsamen, in Maßen und Bewegungen überschwäng-
lichen Giebelgruppe auf der neuen berliner Börse zum Vorwurf gemacht hat.
Jedenfalls wollen wir uns freuen, daß hier ein neues Element mit so viel
positiver genialer Kraft in der berliner Schule auftritt und ein frisches Leben
hineinbringt, wo das Erstarren in auswendig gelernter Kunstweise bereits be¬
drohlich wurde. In welcher Art dies neue Element sich fruchtbar und folgen¬
reich erweisen wird, vorausbestimmen zu wollen, unternehmen wir nicht.
Es könnte scheinen, als ob der Realismus das Losungswort für eine junge
Schule der Plastik werden würde; aber wir sehen vorläufig noch nicht die¬
jenigen, welche, Begas folgend und über ihn hinausgehend, die künstlerischen
Principien, die jenes Wort bezeichnet, mit einer wirklich schöpferischen Genialität
ins Werk zu setzen berufen und gesonnen wären. Große Talente aber können
andrerseits auch wiederum plötzlich unerwartet, erstehen, von deren Dasein
wir heut noch keine Ahnung haben. In der Kunstgeschichte, so gut wie in
der Weltgeschichte, ist es ein thörichtes Unternehmen, der Zukunft gut Philo-
sophisch die Wege vorzeichnen zu wollen, welche sie nehmen wird; während es,
wenn man es nur recht anzufangen und die Thatsachen zu arrangiren weiß,
eine leichte und hübsche Sache ist, die Bahnen, welche die Vergangenheit ging,
aus der „vernünftigen historischen Nothwendigkeit" nachträglich zu construiren.


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[0548] Nach jahrelangem Widerstreben und Makeln an des Künstlers erstem Entwurf ist die noch bekanntere Schillerdenkmalsconcurrenz wenigstens dahin entschieden (seit wenig Monaten), daß Begas den endlich gebilligten nun wirk¬ lich auszuführen hat. Ein Gutes hat dies immer Anderswollen wenigstens gehabt, daß er in der Hauptsache aus die unübertreffliche ursprüngliche Anlage zurück¬ gegangen ist, das Monument wieder als Brunnen gestaltet und die prachtvollen Gestalten der Schillerschen Musen, der Lyrik, des Dramas, der Geschichte und der Philosophie, wieder in ihrer grandiosen Schönheit um die und zwischen den halbrund vortretenden Schalen dieses Brunnens oberhalb der untern breiten Stufen hinlagert. Die Dichterstatue selbst ist eine wesentlich andre geworden. Hier wäre indeß in der großen Ausführung manche Aenderung noch dringend erwünscht. Wie sie im kleinen Modell dasteht, wirkt die Gestalt durch die breiten reichen Massen des Mantels in der einen Ansicht höchst bedeutend; von andern Seiten aber macht sich noch eine gewisse Lahmheit und Gehemmtheit in der Haltung bemerklich. Die eigent¬ liche charakteristische Schilderung bestimmter historischer Geistesgestalten dürfte Begas wohl überhaupt weniger gegeben sein. Auf die reizende oder machtvolle sinnliche Erscheinung lichtet sich immer die ganze Kraft seines Könnens, wie auch seines Wollens. Hier aber droht ihm die Gefahr, durch die wahrhafte Ueberkraft im Gestalten über die ewigen, weil natürlichen, Grenzen plastischer Kunst hinausgeführt zu werden, wie man es bereits nicht ganz mit Unrecht seiner an zugleich naiver und üppiger Schönheit so reichen Venusgruppe, und früher schon der etwas gewaltsamen, in Maßen und Bewegungen überschwäng- lichen Giebelgruppe auf der neuen berliner Börse zum Vorwurf gemacht hat. Jedenfalls wollen wir uns freuen, daß hier ein neues Element mit so viel positiver genialer Kraft in der berliner Schule auftritt und ein frisches Leben hineinbringt, wo das Erstarren in auswendig gelernter Kunstweise bereits be¬ drohlich wurde. In welcher Art dies neue Element sich fruchtbar und folgen¬ reich erweisen wird, vorausbestimmen zu wollen, unternehmen wir nicht. Es könnte scheinen, als ob der Realismus das Losungswort für eine junge Schule der Plastik werden würde; aber wir sehen vorläufig noch nicht die¬ jenigen, welche, Begas folgend und über ihn hinausgehend, die künstlerischen Principien, die jenes Wort bezeichnet, mit einer wirklich schöpferischen Genialität ins Werk zu setzen berufen und gesonnen wären. Große Talente aber können andrerseits auch wiederum plötzlich unerwartet, erstehen, von deren Dasein wir heut noch keine Ahnung haben. In der Kunstgeschichte, so gut wie in der Weltgeschichte, ist es ein thörichtes Unternehmen, der Zukunft gut Philo- sophisch die Wege vorzeichnen zu wollen, welche sie nehmen wird; während es, wenn man es nur recht anzufangen und die Thatsachen zu arrangiren weiß, eine leichte und hübsche Sache ist, die Bahnen, welche die Vergangenheit ging, aus der „vernünftigen historischen Nothwendigkeit" nachträglich zu construiren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/548>, abgerufen am 01.07.2024.