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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Werken der gleichzeitigen berliner Schule erschien. Hier war keine Nachahmung
der Antike, sondern eine freie herrliche Schöpfung einer auf der begeisterten
Anschauung und Erkenntniß ursprünglicher schöner Menschennatur ruhenden
Künstlerphantasie, welche in ihrer heitern, gesunden Sinnlichkeit, ihrer Naivetät,
ihrer entzückenden Frische denn freilich wohl auf eine kaum in unsre Zeit hin¬
eingehörige Organisation wies , der allein sie entspringen konnte. Den bekannten
Vorwürfen, welche Begas' spätere Arbeiten getroffen haben, bot dies Werk noch
keinen Vorwand; die Mäßigung der Natur war nirgends darin zu Gunsten
einer entschiedenen Formenwirkung geopfert. Eine Hinneigung zu solchem Ueber¬
bieten jener machte sich in der folgenden Gruppe, der Faunenfamilie (Ausstellung
von 1860) bereits bemerklich. Es ist eine Schwelgerei in der Schönheit der
nackten Menschenform darin, eine pulsirende Lebendigkeit des Fleisches, ein kecker
feuriger Schwung in den drei Gestalten. -- dem Faun mit der Rohrflöte, dem
jungen üppigen Weibe und dem kleinen Kinde, das sie in hoch erhobnen Hän¬
den über ihrem Haupt schwingt, -- als ob ein Rubens statt in die Farbe hier
in den Thon gestürmt hätte. Beide Gruppen sind Gipsmodell geblieben.
Unsre kunstfreundlichen, "Genie beschützenden" Behörden und Privaten haben
entweder nicht den Wunsch oder nicht die verhältnißmäßig geringen Mittel ge¬
funden, ihnen zu der Gestaltung in dem dauernden edlen Material des Marmors
zu verhelfen, für welches sie so ganz empfunden und angelegt waren. In der
Skizze eines Denkmals für Friedrich Wilhelm den Dritten, womit er sich an
der mehrerwähnten kölner Concurrenz betheiligte, stellte er nach meiner Ueber¬
zeugung zum ersten Mal wieder das Muster eines echten Monumentalwerks hin,
durchbrach die Fesseln der berliner Schultradition und schuf ein Werk, das
ausgeführt auch das Beste auf diesem Gebiet, was die letzten anderthalb Jahr¬
hunderte geschaffen, in Schatten gestellt hätte und spätern Zeiten das geworden
wäre, was uns Heutigen der Große Kurfürst Schlüters. Er rückte das völlig
thurmartig ungeheuerlich angeschwollne Postament der berliner Schule wieder
auf eine mäßige Höhe herab, wo die Neitersigur, die es tragen sollte, doch
wieder die Hauptsache und überhaupt erst dem Auge ficht- und genießbar wurde,
gab ihm einen lebendigen Wechsel und Schwung der Linien, der Ausladungen,
schmolz das Architektonische mit dem Plastischen zur innern Einheit zusammen
und gab ihm durch die Entwicklung des untersten Sockeltheils in die Breite
einey Charakter der Mächtigkeit, der .stolzen in sich ruhenden Größe, der Pracht
und Fülle zugleich, was alles von keinem der von unserm Jahrhundert zur
Ausführung gebrachten in gleichem Grade erreicht worden ist. Wir wissen, daß
das Resultat dieser Concurrenz das allerseltsamste gewesen ist: für Begas den
ersten Preis, und nach einem nochmaligen vergeblichen Versuch, in einer zweiten
ein noch unbekanntes Genie zu entdecken, die Ausführung -- für Bläser und
Schievelbein gemeinschaftlich.


Werken der gleichzeitigen berliner Schule erschien. Hier war keine Nachahmung
der Antike, sondern eine freie herrliche Schöpfung einer auf der begeisterten
Anschauung und Erkenntniß ursprünglicher schöner Menschennatur ruhenden
Künstlerphantasie, welche in ihrer heitern, gesunden Sinnlichkeit, ihrer Naivetät,
ihrer entzückenden Frische denn freilich wohl auf eine kaum in unsre Zeit hin¬
eingehörige Organisation wies , der allein sie entspringen konnte. Den bekannten
Vorwürfen, welche Begas' spätere Arbeiten getroffen haben, bot dies Werk noch
keinen Vorwand; die Mäßigung der Natur war nirgends darin zu Gunsten
einer entschiedenen Formenwirkung geopfert. Eine Hinneigung zu solchem Ueber¬
bieten jener machte sich in der folgenden Gruppe, der Faunenfamilie (Ausstellung
von 1860) bereits bemerklich. Es ist eine Schwelgerei in der Schönheit der
nackten Menschenform darin, eine pulsirende Lebendigkeit des Fleisches, ein kecker
feuriger Schwung in den drei Gestalten. — dem Faun mit der Rohrflöte, dem
jungen üppigen Weibe und dem kleinen Kinde, das sie in hoch erhobnen Hän¬
den über ihrem Haupt schwingt, — als ob ein Rubens statt in die Farbe hier
in den Thon gestürmt hätte. Beide Gruppen sind Gipsmodell geblieben.
Unsre kunstfreundlichen, „Genie beschützenden" Behörden und Privaten haben
entweder nicht den Wunsch oder nicht die verhältnißmäßig geringen Mittel ge¬
funden, ihnen zu der Gestaltung in dem dauernden edlen Material des Marmors
zu verhelfen, für welches sie so ganz empfunden und angelegt waren. In der
Skizze eines Denkmals für Friedrich Wilhelm den Dritten, womit er sich an
der mehrerwähnten kölner Concurrenz betheiligte, stellte er nach meiner Ueber¬
zeugung zum ersten Mal wieder das Muster eines echten Monumentalwerks hin,
durchbrach die Fesseln der berliner Schultradition und schuf ein Werk, das
ausgeführt auch das Beste auf diesem Gebiet, was die letzten anderthalb Jahr¬
hunderte geschaffen, in Schatten gestellt hätte und spätern Zeiten das geworden
wäre, was uns Heutigen der Große Kurfürst Schlüters. Er rückte das völlig
thurmartig ungeheuerlich angeschwollne Postament der berliner Schule wieder
auf eine mäßige Höhe herab, wo die Neitersigur, die es tragen sollte, doch
wieder die Hauptsache und überhaupt erst dem Auge ficht- und genießbar wurde,
gab ihm einen lebendigen Wechsel und Schwung der Linien, der Ausladungen,
schmolz das Architektonische mit dem Plastischen zur innern Einheit zusammen
und gab ihm durch die Entwicklung des untersten Sockeltheils in die Breite
einey Charakter der Mächtigkeit, der .stolzen in sich ruhenden Größe, der Pracht
und Fülle zugleich, was alles von keinem der von unserm Jahrhundert zur
Ausführung gebrachten in gleichem Grade erreicht worden ist. Wir wissen, daß
das Resultat dieser Concurrenz das allerseltsamste gewesen ist: für Begas den
ersten Preis, und nach einem nochmaligen vergeblichen Versuch, in einer zweiten
ein noch unbekanntes Genie zu entdecken, die Ausführung — für Bläser und
Schievelbein gemeinschaftlich.


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[0547] Werken der gleichzeitigen berliner Schule erschien. Hier war keine Nachahmung der Antike, sondern eine freie herrliche Schöpfung einer auf der begeisterten Anschauung und Erkenntniß ursprünglicher schöner Menschennatur ruhenden Künstlerphantasie, welche in ihrer heitern, gesunden Sinnlichkeit, ihrer Naivetät, ihrer entzückenden Frische denn freilich wohl auf eine kaum in unsre Zeit hin¬ eingehörige Organisation wies , der allein sie entspringen konnte. Den bekannten Vorwürfen, welche Begas' spätere Arbeiten getroffen haben, bot dies Werk noch keinen Vorwand; die Mäßigung der Natur war nirgends darin zu Gunsten einer entschiedenen Formenwirkung geopfert. Eine Hinneigung zu solchem Ueber¬ bieten jener machte sich in der folgenden Gruppe, der Faunenfamilie (Ausstellung von 1860) bereits bemerklich. Es ist eine Schwelgerei in der Schönheit der nackten Menschenform darin, eine pulsirende Lebendigkeit des Fleisches, ein kecker feuriger Schwung in den drei Gestalten. — dem Faun mit der Rohrflöte, dem jungen üppigen Weibe und dem kleinen Kinde, das sie in hoch erhobnen Hän¬ den über ihrem Haupt schwingt, — als ob ein Rubens statt in die Farbe hier in den Thon gestürmt hätte. Beide Gruppen sind Gipsmodell geblieben. Unsre kunstfreundlichen, „Genie beschützenden" Behörden und Privaten haben entweder nicht den Wunsch oder nicht die verhältnißmäßig geringen Mittel ge¬ funden, ihnen zu der Gestaltung in dem dauernden edlen Material des Marmors zu verhelfen, für welches sie so ganz empfunden und angelegt waren. In der Skizze eines Denkmals für Friedrich Wilhelm den Dritten, womit er sich an der mehrerwähnten kölner Concurrenz betheiligte, stellte er nach meiner Ueber¬ zeugung zum ersten Mal wieder das Muster eines echten Monumentalwerks hin, durchbrach die Fesseln der berliner Schultradition und schuf ein Werk, das ausgeführt auch das Beste auf diesem Gebiet, was die letzten anderthalb Jahr¬ hunderte geschaffen, in Schatten gestellt hätte und spätern Zeiten das geworden wäre, was uns Heutigen der Große Kurfürst Schlüters. Er rückte das völlig thurmartig ungeheuerlich angeschwollne Postament der berliner Schule wieder auf eine mäßige Höhe herab, wo die Neitersigur, die es tragen sollte, doch wieder die Hauptsache und überhaupt erst dem Auge ficht- und genießbar wurde, gab ihm einen lebendigen Wechsel und Schwung der Linien, der Ausladungen, schmolz das Architektonische mit dem Plastischen zur innern Einheit zusammen und gab ihm durch die Entwicklung des untersten Sockeltheils in die Breite einey Charakter der Mächtigkeit, der .stolzen in sich ruhenden Größe, der Pracht und Fülle zugleich, was alles von keinem der von unserm Jahrhundert zur Ausführung gebrachten in gleichem Grade erreicht worden ist. Wir wissen, daß das Resultat dieser Concurrenz das allerseltsamste gewesen ist: für Begas den ersten Preis, und nach einem nochmaligen vergeblichen Versuch, in einer zweiten ein noch unbekanntes Genie zu entdecken, die Ausführung — für Bläser und Schievelbein gemeinschaftlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/547>, abgerufen am 01.07.2024.