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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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gestaltenreiches Monument für einen dortigen Bischof, Büsten und Statuetten,
welche sie am hannoverschen Hofe, später in England und auf Madera aus¬
führte, zuletzt die herrliche Büste Garibaldis, zu dkren Modellirung die kühne
und geniale Dame längere Zeit auf Caprera in des Helden Hause lebte --
diese Arbeiten haben jeden Schatten des Verdachtes eines weiblichen Dilettan¬
tismus von ihr genommen und sie den besten jüngern Meistern unsrer Plastik
beigesellt.

Louis Sußmann, in den letzten zwanziger Jahren geboren, ich glaube
einziger Schüler Wredows, hat sich der Weise dieses originellen Künstlers zu¬
nächst enge angeschlossen, wie ich sie im ersten Artikel zu schildern versuchte.
Nicht in die Erfindung, sondern in weitest getriebne Durcharbeitung und Aus¬
führung einzelner Gestalten von einfachen Motiven legte er den Schwerpunkt
seiner Kunst. In dieser Hinsicht hat er seinen berühmt gewordnen nackten
jungen Faun, der stehend in leichtem Rausch den Oberleib über die rechte Hüfte
neigt, (1868 brachte er die zartvollendete Marmorstatue von Rom nach Berlin)
kaum selbst noch übertroffen. Die junge Albanerin, der Genius als Leuchter¬
träger, die Psyche und die Statue des jugendlichen Friedrich des Zweiten für
Breslau sind dieser Arbeit auf unsern Ausstellungen gefolgt. Ueber letztere
beiden Marmorarbeiten habe ich seiner Zeit, als sie auf der berliner Ausstellung
von 1864 erschienen, auch in diesen Blättern eingehender berichtet. Diese Psyche
mit ihren vom anwesenden Zephyr in tausend trillernde Wichen zerflatternden
feinen Gewändern bleibt trotz des überraschenden Gelingens des Beabsichtigten
doch immer mehr ein Kunststück des Mächens, als ein wahrhaftes, um seiner
selbst willen gebildetes plastisches Kunstwerk. In der Friedrichstatue führt das
Streben zum Pikanten, zum persönlichen Charakterisiren, zum Kleinlichen und
Steifen. Von jenen allgemeinen Manieren der berliner Schule aber, von denen
ich oben sprach, bleibt Sußmann in all seinem Schaffen völlig frei.

Siemering, zu Anfang der dreißiger Jahre in Königsberg geboren,
Schüler Bläsers, modellirte um 1860 einige recht tüchtige große Medaillon¬
reliefs, Porträts von königsberger Gelehrten, für das dortige neue Universitäts¬
gebäude. Sein Name wurde plötzlich ein viel genannter gelegentlich der deutschen
Concurrenzen um verschiedne Schillerdenkmale. Sein Entwurf gewann in
Hamburg den zweiten Preis. In Berlin fand er Beifall genug, um ihn zur
engern Bewerbung mit Reinhold Begas berechtigt erscheinen zu lassen. Die
Auffassung des Mannes selbst hatte viel Gewinnendes. Wie er den Liebling
der Nation hinstellte: sicher, männlich, frei und kühn hervortretend, im bekannten
Costüm der Zeit, ohne Attribute und ideale Verschönerungen, so entsprach
er in hohem Grade der durch neuere literargeschichtliche und biographische
Charakteristik geläufig gemachten Anschauung von Schillers eigensten Wesen.
Dieser unläugbare Vorzug reichte indeß nicht hin, um dem Ganzen die monu-
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gestaltenreiches Monument für einen dortigen Bischof, Büsten und Statuetten,
welche sie am hannoverschen Hofe, später in England und auf Madera aus¬
führte, zuletzt die herrliche Büste Garibaldis, zu dkren Modellirung die kühne
und geniale Dame längere Zeit auf Caprera in des Helden Hause lebte —
diese Arbeiten haben jeden Schatten des Verdachtes eines weiblichen Dilettan¬
tismus von ihr genommen und sie den besten jüngern Meistern unsrer Plastik
beigesellt.

Louis Sußmann, in den letzten zwanziger Jahren geboren, ich glaube
einziger Schüler Wredows, hat sich der Weise dieses originellen Künstlers zu¬
nächst enge angeschlossen, wie ich sie im ersten Artikel zu schildern versuchte.
Nicht in die Erfindung, sondern in weitest getriebne Durcharbeitung und Aus¬
führung einzelner Gestalten von einfachen Motiven legte er den Schwerpunkt
seiner Kunst. In dieser Hinsicht hat er seinen berühmt gewordnen nackten
jungen Faun, der stehend in leichtem Rausch den Oberleib über die rechte Hüfte
neigt, (1868 brachte er die zartvollendete Marmorstatue von Rom nach Berlin)
kaum selbst noch übertroffen. Die junge Albanerin, der Genius als Leuchter¬
träger, die Psyche und die Statue des jugendlichen Friedrich des Zweiten für
Breslau sind dieser Arbeit auf unsern Ausstellungen gefolgt. Ueber letztere
beiden Marmorarbeiten habe ich seiner Zeit, als sie auf der berliner Ausstellung
von 1864 erschienen, auch in diesen Blättern eingehender berichtet. Diese Psyche
mit ihren vom anwesenden Zephyr in tausend trillernde Wichen zerflatternden
feinen Gewändern bleibt trotz des überraschenden Gelingens des Beabsichtigten
doch immer mehr ein Kunststück des Mächens, als ein wahrhaftes, um seiner
selbst willen gebildetes plastisches Kunstwerk. In der Friedrichstatue führt das
Streben zum Pikanten, zum persönlichen Charakterisiren, zum Kleinlichen und
Steifen. Von jenen allgemeinen Manieren der berliner Schule aber, von denen
ich oben sprach, bleibt Sußmann in all seinem Schaffen völlig frei.

Siemering, zu Anfang der dreißiger Jahre in Königsberg geboren,
Schüler Bläsers, modellirte um 1860 einige recht tüchtige große Medaillon¬
reliefs, Porträts von königsberger Gelehrten, für das dortige neue Universitäts¬
gebäude. Sein Name wurde plötzlich ein viel genannter gelegentlich der deutschen
Concurrenzen um verschiedne Schillerdenkmale. Sein Entwurf gewann in
Hamburg den zweiten Preis. In Berlin fand er Beifall genug, um ihn zur
engern Bewerbung mit Reinhold Begas berechtigt erscheinen zu lassen. Die
Auffassung des Mannes selbst hatte viel Gewinnendes. Wie er den Liebling
der Nation hinstellte: sicher, männlich, frei und kühn hervortretend, im bekannten
Costüm der Zeit, ohne Attribute und ideale Verschönerungen, so entsprach
er in hohem Grade der durch neuere literargeschichtliche und biographische
Charakteristik geläufig gemachten Anschauung von Schillers eigensten Wesen.
Dieser unläugbare Vorzug reichte indeß nicht hin, um dem Ganzen die monu-
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[0545] gestaltenreiches Monument für einen dortigen Bischof, Büsten und Statuetten, welche sie am hannoverschen Hofe, später in England und auf Madera aus¬ führte, zuletzt die herrliche Büste Garibaldis, zu dkren Modellirung die kühne und geniale Dame längere Zeit auf Caprera in des Helden Hause lebte — diese Arbeiten haben jeden Schatten des Verdachtes eines weiblichen Dilettan¬ tismus von ihr genommen und sie den besten jüngern Meistern unsrer Plastik beigesellt. Louis Sußmann, in den letzten zwanziger Jahren geboren, ich glaube einziger Schüler Wredows, hat sich der Weise dieses originellen Künstlers zu¬ nächst enge angeschlossen, wie ich sie im ersten Artikel zu schildern versuchte. Nicht in die Erfindung, sondern in weitest getriebne Durcharbeitung und Aus¬ führung einzelner Gestalten von einfachen Motiven legte er den Schwerpunkt seiner Kunst. In dieser Hinsicht hat er seinen berühmt gewordnen nackten jungen Faun, der stehend in leichtem Rausch den Oberleib über die rechte Hüfte neigt, (1868 brachte er die zartvollendete Marmorstatue von Rom nach Berlin) kaum selbst noch übertroffen. Die junge Albanerin, der Genius als Leuchter¬ träger, die Psyche und die Statue des jugendlichen Friedrich des Zweiten für Breslau sind dieser Arbeit auf unsern Ausstellungen gefolgt. Ueber letztere beiden Marmorarbeiten habe ich seiner Zeit, als sie auf der berliner Ausstellung von 1864 erschienen, auch in diesen Blättern eingehender berichtet. Diese Psyche mit ihren vom anwesenden Zephyr in tausend trillernde Wichen zerflatternden feinen Gewändern bleibt trotz des überraschenden Gelingens des Beabsichtigten doch immer mehr ein Kunststück des Mächens, als ein wahrhaftes, um seiner selbst willen gebildetes plastisches Kunstwerk. In der Friedrichstatue führt das Streben zum Pikanten, zum persönlichen Charakterisiren, zum Kleinlichen und Steifen. Von jenen allgemeinen Manieren der berliner Schule aber, von denen ich oben sprach, bleibt Sußmann in all seinem Schaffen völlig frei. Siemering, zu Anfang der dreißiger Jahre in Königsberg geboren, Schüler Bläsers, modellirte um 1860 einige recht tüchtige große Medaillon¬ reliefs, Porträts von königsberger Gelehrten, für das dortige neue Universitäts¬ gebäude. Sein Name wurde plötzlich ein viel genannter gelegentlich der deutschen Concurrenzen um verschiedne Schillerdenkmale. Sein Entwurf gewann in Hamburg den zweiten Preis. In Berlin fand er Beifall genug, um ihn zur engern Bewerbung mit Reinhold Begas berechtigt erscheinen zu lassen. Die Auffassung des Mannes selbst hatte viel Gewinnendes. Wie er den Liebling der Nation hinstellte: sicher, männlich, frei und kühn hervortretend, im bekannten Costüm der Zeit, ohne Attribute und ideale Verschönerungen, so entsprach er in hohem Grade der durch neuere literargeschichtliche und biographische Charakteristik geläufig gemachten Anschauung von Schillers eigensten Wesen. Dieser unläugbare Vorzug reichte indeß nicht hin, um dem Ganzen die monu- * 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/545>, abgerufen am 01.07.2024.