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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Dagegen sind wir vollkommen einverstanden mit der Hervorhebung des
scharfen Gegensatzes zwischen europäischer Bildung und asiatischer Verkommen¬
heit durch wiederholte Hinweisung auf die Künste. Wissenschaften. Erfindungen
und den Handel der gebildeten Völker. Da hören die armen, gedrückten Syrer
vom "Feuerwagen" und dem wunderbaren Drath, der in einem Minimum von
Zeit Nachrichten von Arenia nach Tebriz und Tehran bringen würde und er¬
fahren da, welche Erfolge die Bildung habe, deren erste Elemente sie noch vielfach
zögern sich anzueignen. Mit gerechtem Patriotismus weisen die Missionäre auf
den Reichthum, die Betriebsamkeit und die Erfindungsgabe ihrer Landsleute
hin. Nur beiläufig wird der Unterschied der politischen Verhältnisse angedeutet;
diesen Orientalen ist der Begriff der staatlichen Ordnung mit dem der Freiheit
unverträglich, sie kennen nur die wilde Ungebundenheit des Kurden und den
Zwang der großen Sklavenstaaten; ein aufgeklärter und gerechter Despotismus
ist ihr höchstes politisches Ideal, und die Missionäre haben guten Grund, über
diese Dinge vorsichtig wegzugehen. Daß aber in der gebildeten Welt nicht
der willkürliche Druck auf den Unterthanen laste, den sie zu ertragen haben,
wird allerdings ausgesprochen.

Von großem praktischen Werth ist die nachdrückliche Empfehlung der Rein¬
lichkeit; der physische Schmutz wird mit dem geistigen zusammengestellt und der
große Unterschied der Culturländer und der Heimath auch in dieser Hinsicht
hervorgehoben. Wenn eS den Bemühungen der Missionäre auch nur in diesem
einzigen Punkt gelingt, durch Erziehung der Jugend eine Besserung anzubahnen,
so haben sie wahrlich nicht vergeblich gearbeitet.

Der praktische Sinn der Amerikaner zeigt sich überhaupt in vielen Stücken,
wo ihn nicht dogmatische Einflüsse trüben. In dieser Beziehung find sie den
meisten deutschen Missionären gar sehr überlegen. Das Streben, die orienta¬
lischen Christen nicht blos zum Himmel vorzubereiten, sondern sie auch zum
Nachdenken über die Dinge dieser Erde und zur praktischen Tüchtigkeit zu er¬
ziehen, ist aller Ehren werth. Daß sich dieser praktische Sinn zuweilen etwas
kaufmännisch zeigt, kann nicht auffallen. Ich glaube nicht, daß Dr. Stoddard
ein Unrecht thut, wenn er in einer von der Zeitschrift mitgetheilten Schulrede
den Nestorianern vorrechnet, wie viel ihre Bemühungen schon gekostet haben.
ES kann den Leuten schwerlich schaden, wenn sie einmal darüber nachdenken,
wie viel schwere Goldstücke von wildfremden Leuten ausgegeben sind, damit sie
lesen lernen und aus gut gedruckten und umsonst oder gegen Spottpreis ver¬
theilten Büchern weitere Kenntnisse erwerben können. Sie können über die
Motive, welche zu diesen Gaben führten, über den Reichthum der Geber und
die Ursachen dieses Reichthums nachdenken, und wenn sie das thun, kann eS
ihnen nur förderlich sein. Die Thatsache, daß Bildung reich macht, wird ihnen
Vielleicht nach und nach aufdämmern; die Amerikaner helfen ihnen dazu, dies


Dagegen sind wir vollkommen einverstanden mit der Hervorhebung des
scharfen Gegensatzes zwischen europäischer Bildung und asiatischer Verkommen¬
heit durch wiederholte Hinweisung auf die Künste. Wissenschaften. Erfindungen
und den Handel der gebildeten Völker. Da hören die armen, gedrückten Syrer
vom „Feuerwagen" und dem wunderbaren Drath, der in einem Minimum von
Zeit Nachrichten von Arenia nach Tebriz und Tehran bringen würde und er¬
fahren da, welche Erfolge die Bildung habe, deren erste Elemente sie noch vielfach
zögern sich anzueignen. Mit gerechtem Patriotismus weisen die Missionäre auf
den Reichthum, die Betriebsamkeit und die Erfindungsgabe ihrer Landsleute
hin. Nur beiläufig wird der Unterschied der politischen Verhältnisse angedeutet;
diesen Orientalen ist der Begriff der staatlichen Ordnung mit dem der Freiheit
unverträglich, sie kennen nur die wilde Ungebundenheit des Kurden und den
Zwang der großen Sklavenstaaten; ein aufgeklärter und gerechter Despotismus
ist ihr höchstes politisches Ideal, und die Missionäre haben guten Grund, über
diese Dinge vorsichtig wegzugehen. Daß aber in der gebildeten Welt nicht
der willkürliche Druck auf den Unterthanen laste, den sie zu ertragen haben,
wird allerdings ausgesprochen.

Von großem praktischen Werth ist die nachdrückliche Empfehlung der Rein¬
lichkeit; der physische Schmutz wird mit dem geistigen zusammengestellt und der
große Unterschied der Culturländer und der Heimath auch in dieser Hinsicht
hervorgehoben. Wenn eS den Bemühungen der Missionäre auch nur in diesem
einzigen Punkt gelingt, durch Erziehung der Jugend eine Besserung anzubahnen,
so haben sie wahrlich nicht vergeblich gearbeitet.

Der praktische Sinn der Amerikaner zeigt sich überhaupt in vielen Stücken,
wo ihn nicht dogmatische Einflüsse trüben. In dieser Beziehung find sie den
meisten deutschen Missionären gar sehr überlegen. Das Streben, die orienta¬
lischen Christen nicht blos zum Himmel vorzubereiten, sondern sie auch zum
Nachdenken über die Dinge dieser Erde und zur praktischen Tüchtigkeit zu er¬
ziehen, ist aller Ehren werth. Daß sich dieser praktische Sinn zuweilen etwas
kaufmännisch zeigt, kann nicht auffallen. Ich glaube nicht, daß Dr. Stoddard
ein Unrecht thut, wenn er in einer von der Zeitschrift mitgetheilten Schulrede
den Nestorianern vorrechnet, wie viel ihre Bemühungen schon gekostet haben.
ES kann den Leuten schwerlich schaden, wenn sie einmal darüber nachdenken,
wie viel schwere Goldstücke von wildfremden Leuten ausgegeben sind, damit sie
lesen lernen und aus gut gedruckten und umsonst oder gegen Spottpreis ver¬
theilten Büchern weitere Kenntnisse erwerben können. Sie können über die
Motive, welche zu diesen Gaben führten, über den Reichthum der Geber und
die Ursachen dieses Reichthums nachdenken, und wenn sie das thun, kann eS
ihnen nur förderlich sein. Die Thatsache, daß Bildung reich macht, wird ihnen
Vielleicht nach und nach aufdämmern; die Amerikaner helfen ihnen dazu, dies


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[0500] Dagegen sind wir vollkommen einverstanden mit der Hervorhebung des scharfen Gegensatzes zwischen europäischer Bildung und asiatischer Verkommen¬ heit durch wiederholte Hinweisung auf die Künste. Wissenschaften. Erfindungen und den Handel der gebildeten Völker. Da hören die armen, gedrückten Syrer vom „Feuerwagen" und dem wunderbaren Drath, der in einem Minimum von Zeit Nachrichten von Arenia nach Tebriz und Tehran bringen würde und er¬ fahren da, welche Erfolge die Bildung habe, deren erste Elemente sie noch vielfach zögern sich anzueignen. Mit gerechtem Patriotismus weisen die Missionäre auf den Reichthum, die Betriebsamkeit und die Erfindungsgabe ihrer Landsleute hin. Nur beiläufig wird der Unterschied der politischen Verhältnisse angedeutet; diesen Orientalen ist der Begriff der staatlichen Ordnung mit dem der Freiheit unverträglich, sie kennen nur die wilde Ungebundenheit des Kurden und den Zwang der großen Sklavenstaaten; ein aufgeklärter und gerechter Despotismus ist ihr höchstes politisches Ideal, und die Missionäre haben guten Grund, über diese Dinge vorsichtig wegzugehen. Daß aber in der gebildeten Welt nicht der willkürliche Druck auf den Unterthanen laste, den sie zu ertragen haben, wird allerdings ausgesprochen. Von großem praktischen Werth ist die nachdrückliche Empfehlung der Rein¬ lichkeit; der physische Schmutz wird mit dem geistigen zusammengestellt und der große Unterschied der Culturländer und der Heimath auch in dieser Hinsicht hervorgehoben. Wenn eS den Bemühungen der Missionäre auch nur in diesem einzigen Punkt gelingt, durch Erziehung der Jugend eine Besserung anzubahnen, so haben sie wahrlich nicht vergeblich gearbeitet. Der praktische Sinn der Amerikaner zeigt sich überhaupt in vielen Stücken, wo ihn nicht dogmatische Einflüsse trüben. In dieser Beziehung find sie den meisten deutschen Missionären gar sehr überlegen. Das Streben, die orienta¬ lischen Christen nicht blos zum Himmel vorzubereiten, sondern sie auch zum Nachdenken über die Dinge dieser Erde und zur praktischen Tüchtigkeit zu er¬ ziehen, ist aller Ehren werth. Daß sich dieser praktische Sinn zuweilen etwas kaufmännisch zeigt, kann nicht auffallen. Ich glaube nicht, daß Dr. Stoddard ein Unrecht thut, wenn er in einer von der Zeitschrift mitgetheilten Schulrede den Nestorianern vorrechnet, wie viel ihre Bemühungen schon gekostet haben. ES kann den Leuten schwerlich schaden, wenn sie einmal darüber nachdenken, wie viel schwere Goldstücke von wildfremden Leuten ausgegeben sind, damit sie lesen lernen und aus gut gedruckten und umsonst oder gegen Spottpreis ver¬ theilten Büchern weitere Kenntnisse erwerben können. Sie können über die Motive, welche zu diesen Gaben führten, über den Reichthum der Geber und die Ursachen dieses Reichthums nachdenken, und wenn sie das thun, kann eS ihnen nur förderlich sein. Die Thatsache, daß Bildung reich macht, wird ihnen Vielleicht nach und nach aufdämmern; die Amerikaner helfen ihnen dazu, dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/500>, abgerufen am 01.07.2024.