Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.schon gespaltene Haare noch einmal gespalten werden. Die Mediciner schöpfen Der Student erwarb sich damals völlig handwerksmäßig die Summe von Um Baccalaureus werden zu können, mußte man neun leeticmes (Kollegien) schon gespaltene Haare noch einmal gespalten werden. Die Mediciner schöpfen Der Student erwarb sich damals völlig handwerksmäßig die Summe von Um Baccalaureus werden zu können, mußte man neun leeticmes (Kollegien) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284960"/> <p xml:id="ID_1581" prev="#ID_1580"> schon gespaltene Haare noch einmal gespalten werden. Die Mediciner schöpfen<lb/> ihre Kathederweisheit noch immer aus Uebersetzungen oder Bearbeitungen der<lb/> Werke des Galenus, des Hippokrates und des Avicenna. Die Juristen speisen<lb/> ihre Zuhörer nach wie vor mit dem Nachlaß der römischen Väter ihrer Wissen¬<lb/> schaft und schwören, wie Hütten in seinem Remo noch von ihren Nachfolgern<lb/> im sechszehnten Jahrhundert sagt, auf Accursius, Bartholus und Baldus, die<lb/> Glossatoren des Corpus Juris. Die Physik, auf ein kleines Gebiet beschränkt,<lb/> ist mit Träumereien und abergläubischen Meinungen gemischt, die ebenfalls zum<lb/> größeren Theil aus dem Alterthum ererbt sind,'theiln?else aber auch sich aus<lb/> dem Morgenlande und aus dem altgermanischen Heidenthum unbemerkt in die<lb/> Schule eingeschlichen haben. Die Geschichte ist, wo die Universität sich über¬<lb/> haupt mit'ihr beschäftigt, bloße Chronik, die Philologie trockenste lateinische<lb/> Grammatik, von irgendeiner andern Sprache nicht die Rede. Die classischen<lb/> Werke der Römer sind mit Ausnahme des Virgil, der im ganzen Mittelalter<lb/> viel gelesen wurde, nur Wenigen und diesen nur bruchstückweise, die der Griechen<lb/> im Original in Deutschland, England und Frankreich kaum jemandem bekannt.<lb/> Wo an der Universität etwas von jenen tractüt wird, geschieht es meist nur.<lb/> um es nach den Regeln der Grammatik des Donat durchzugehen oder abgerissene<lb/> Denksprüche und Floskeln zu sammeln. Hauptbuch ist und bleibt Boßthius.<lb/> Daneben liest man die Sittensprüche des sogenannten Dionysius Cato und die<lb/> Fabeln des Aesop, auch wohl Terenz, Ovid, Seneca und Apulejus. Horaz ist<lb/> eine unbekannte Größe, Virgil trotz aller Bekanntschaft mit seinen Versen un¬<lb/> gefähr das, was er dem Dichter der Göttlichen Komödie gewesen, Homer ein<lb/> Erzähler märchenhafter Abenteuer, die Bibel in der Originalsprache ein Buch<lb/> mit sieben Siegeln und selbst in der lateinischen Uebersetzung wenig gelesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1582"> Der Student erwarb sich damals völlig handwerksmäßig die Summe von<lb/> Notizen und Fertigkeiten, die das Herkommen zur Erlangung akademischer Grade<lb/> vorschrieb: er schwor auf die Worte seines Meisters und lernte sie auswendig.<lb/> Noch war die Druckerkunst nicht erfunden, und so waren Bücher selten und<lb/> theuer, die kostbareren lagen als Schätze bisweilen an Ketten, und da so nur<lb/> Wohlhabende in den Auditorien die nothwendigen Autoren in Händen hatten,<lb/> so waren die Lehrer gezwungen, Text und Auslegung zu dictiren, wodurch das<lb/> Studium natürlich bedeutend beschränkt und verlängert wurde. Das letztere<lb/> zerfiel in zwei parallel laufende Wege: in Lectionen oder das Hören von Vor¬<lb/> trägen und in Exercitien oder Disputirübungen, wozu dann noch sogenannte<lb/> resumMoves, d. h. Repetitorien kamen, auf die Viele sich besonders verlassen<lb/> zu haben scheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1583" next="#ID_1584"> Um Baccalaureus werden zu können, mußte man neun leeticmes (Kollegien)<lb/> gehört und sechs «xeroitig. durchgemacht, d. h. sechsmal disputirt haben. In<lb/> Heidelberg waren um 1480 die neun Lectionen: traewtus?etri Hisxaw, ?ris-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0490]
schon gespaltene Haare noch einmal gespalten werden. Die Mediciner schöpfen
ihre Kathederweisheit noch immer aus Uebersetzungen oder Bearbeitungen der
Werke des Galenus, des Hippokrates und des Avicenna. Die Juristen speisen
ihre Zuhörer nach wie vor mit dem Nachlaß der römischen Väter ihrer Wissen¬
schaft und schwören, wie Hütten in seinem Remo noch von ihren Nachfolgern
im sechszehnten Jahrhundert sagt, auf Accursius, Bartholus und Baldus, die
Glossatoren des Corpus Juris. Die Physik, auf ein kleines Gebiet beschränkt,
ist mit Träumereien und abergläubischen Meinungen gemischt, die ebenfalls zum
größeren Theil aus dem Alterthum ererbt sind,'theiln?else aber auch sich aus
dem Morgenlande und aus dem altgermanischen Heidenthum unbemerkt in die
Schule eingeschlichen haben. Die Geschichte ist, wo die Universität sich über¬
haupt mit'ihr beschäftigt, bloße Chronik, die Philologie trockenste lateinische
Grammatik, von irgendeiner andern Sprache nicht die Rede. Die classischen
Werke der Römer sind mit Ausnahme des Virgil, der im ganzen Mittelalter
viel gelesen wurde, nur Wenigen und diesen nur bruchstückweise, die der Griechen
im Original in Deutschland, England und Frankreich kaum jemandem bekannt.
Wo an der Universität etwas von jenen tractüt wird, geschieht es meist nur.
um es nach den Regeln der Grammatik des Donat durchzugehen oder abgerissene
Denksprüche und Floskeln zu sammeln. Hauptbuch ist und bleibt Boßthius.
Daneben liest man die Sittensprüche des sogenannten Dionysius Cato und die
Fabeln des Aesop, auch wohl Terenz, Ovid, Seneca und Apulejus. Horaz ist
eine unbekannte Größe, Virgil trotz aller Bekanntschaft mit seinen Versen un¬
gefähr das, was er dem Dichter der Göttlichen Komödie gewesen, Homer ein
Erzähler märchenhafter Abenteuer, die Bibel in der Originalsprache ein Buch
mit sieben Siegeln und selbst in der lateinischen Uebersetzung wenig gelesen.
Der Student erwarb sich damals völlig handwerksmäßig die Summe von
Notizen und Fertigkeiten, die das Herkommen zur Erlangung akademischer Grade
vorschrieb: er schwor auf die Worte seines Meisters und lernte sie auswendig.
Noch war die Druckerkunst nicht erfunden, und so waren Bücher selten und
theuer, die kostbareren lagen als Schätze bisweilen an Ketten, und da so nur
Wohlhabende in den Auditorien die nothwendigen Autoren in Händen hatten,
so waren die Lehrer gezwungen, Text und Auslegung zu dictiren, wodurch das
Studium natürlich bedeutend beschränkt und verlängert wurde. Das letztere
zerfiel in zwei parallel laufende Wege: in Lectionen oder das Hören von Vor¬
trägen und in Exercitien oder Disputirübungen, wozu dann noch sogenannte
resumMoves, d. h. Repetitorien kamen, auf die Viele sich besonders verlassen
zu haben scheinen.
Um Baccalaureus werden zu können, mußte man neun leeticmes (Kollegien)
gehört und sechs «xeroitig. durchgemacht, d. h. sechsmal disputirt haben. In
Heidelberg waren um 1480 die neun Lectionen: traewtus?etri Hisxaw, ?ris-
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