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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Aus dem Arveiizimmer des Dichters Otto Ludwig.

Bald ist es ein Jahr, seit sich das Auge des vielduldcnden Dichters für
immer geschlossen. Daß er ein hochbegabter Mann war. daß in allem, was er
geschaffen, ein echtes Dichtergemüth und ein seltenes Talent sür großartige
Wirkungen anzieht, hat jeder empfunden, der seine Dramen: Der Erbförster
und: Die Mutter der Maccabäer, die Novellen: Zwischen Himmel und Erde und:
Heiteretei gelesen. Aber Otto Ludwig gehörte zu den deutschen Dichtern, deren
Poetische Natur in ihren Werken sehr unvollständig zur Darstellung gekommen
ist, nur wer ihn persönlich kannte, bewahrt den reinen und gewaltigen Ein¬
druck, den sein Wesen gemacht hat. Es war ein einfacher, tüchtiger, wohl¬
geordneter Geist, in seinem Empfinden immer voll, ganz und warm, bei seiner
Arbeit von einem Ernst und einer Strenge, welche sich selbst nie genug thun
konnte. Aber es waren nicht diese deutschen Vorzüge allein. welche sein Dichter-
talent imponirend machten. In seinem Schaffen, ja in seiner ganzen Persönlich-
keit lag etwas so Ungewöhnliches, daß er zuweilen aussah, wie aus der Urzeit
des deutschen Volkes in die Gegenwart versetzt. Schon sein Aeußeres gab das
Bild eines kräftigen Germanen aus alter Zeit, das große Haupt, edel geformte
Züge, der stattliche Wuchs, das schöne tiefe Auge, der starke Bart, die feste schmuck¬
lose Haltung. Aber noch auffallender wurde er, wenn man die Methode
seiner poetischen Arbeit beobachtete, in seinem Innern eine leidenschaftliche
Bewegung, der eines Jnspirirten gleich; seine Empfindungen und Anschauungen
nicht blos poetisch, sondern zu gleicher Zeit sowohl musikalisch als malerisch;
und zwar in so hohem Grade, daß seine poetische Production dadurch gehemmt
wurde. In eigenthümlichen Kämpfen rangen sich die Gebilde aus seiner Seele
los. Während sie in ihm lebten, hörte er Klänge, sah er die Gestalten in Gruppen
farbig vor sich, ja ihm begegnete in solcher Versunkenheit, daß sie ihm auch
äußerlich sichtbar wurden, er sah im Abendnebel den Luftgeist mit grauem Ge¬
wände seine Brust umziehen, und als ihm die Idee eines Trauerspiels: Andreas
Hofer im Gemüthe lag, stand die Gestalt des riesigen Tirolers als großer


Grenzboten I. 1866. . 6
Aus dem Arveiizimmer des Dichters Otto Ludwig.

Bald ist es ein Jahr, seit sich das Auge des vielduldcnden Dichters für
immer geschlossen. Daß er ein hochbegabter Mann war. daß in allem, was er
geschaffen, ein echtes Dichtergemüth und ein seltenes Talent sür großartige
Wirkungen anzieht, hat jeder empfunden, der seine Dramen: Der Erbförster
und: Die Mutter der Maccabäer, die Novellen: Zwischen Himmel und Erde und:
Heiteretei gelesen. Aber Otto Ludwig gehörte zu den deutschen Dichtern, deren
Poetische Natur in ihren Werken sehr unvollständig zur Darstellung gekommen
ist, nur wer ihn persönlich kannte, bewahrt den reinen und gewaltigen Ein¬
druck, den sein Wesen gemacht hat. Es war ein einfacher, tüchtiger, wohl¬
geordneter Geist, in seinem Empfinden immer voll, ganz und warm, bei seiner
Arbeit von einem Ernst und einer Strenge, welche sich selbst nie genug thun
konnte. Aber es waren nicht diese deutschen Vorzüge allein. welche sein Dichter-
talent imponirend machten. In seinem Schaffen, ja in seiner ganzen Persönlich-
keit lag etwas so Ungewöhnliches, daß er zuweilen aussah, wie aus der Urzeit
des deutschen Volkes in die Gegenwart versetzt. Schon sein Aeußeres gab das
Bild eines kräftigen Germanen aus alter Zeit, das große Haupt, edel geformte
Züge, der stattliche Wuchs, das schöne tiefe Auge, der starke Bart, die feste schmuck¬
lose Haltung. Aber noch auffallender wurde er, wenn man die Methode
seiner poetischen Arbeit beobachtete, in seinem Innern eine leidenschaftliche
Bewegung, der eines Jnspirirten gleich; seine Empfindungen und Anschauungen
nicht blos poetisch, sondern zu gleicher Zeit sowohl musikalisch als malerisch;
und zwar in so hohem Grade, daß seine poetische Production dadurch gehemmt
wurde. In eigenthümlichen Kämpfen rangen sich die Gebilde aus seiner Seele
los. Während sie in ihm lebten, hörte er Klänge, sah er die Gestalten in Gruppen
farbig vor sich, ja ihm begegnete in solcher Versunkenheit, daß sie ihm auch
äußerlich sichtbar wurden, er sah im Abendnebel den Luftgeist mit grauem Ge¬
wände seine Brust umziehen, und als ihm die Idee eines Trauerspiels: Andreas
Hofer im Gemüthe lag, stand die Gestalt des riesigen Tirolers als großer


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[0049] Aus dem Arveiizimmer des Dichters Otto Ludwig. Bald ist es ein Jahr, seit sich das Auge des vielduldcnden Dichters für immer geschlossen. Daß er ein hochbegabter Mann war. daß in allem, was er geschaffen, ein echtes Dichtergemüth und ein seltenes Talent sür großartige Wirkungen anzieht, hat jeder empfunden, der seine Dramen: Der Erbförster und: Die Mutter der Maccabäer, die Novellen: Zwischen Himmel und Erde und: Heiteretei gelesen. Aber Otto Ludwig gehörte zu den deutschen Dichtern, deren Poetische Natur in ihren Werken sehr unvollständig zur Darstellung gekommen ist, nur wer ihn persönlich kannte, bewahrt den reinen und gewaltigen Ein¬ druck, den sein Wesen gemacht hat. Es war ein einfacher, tüchtiger, wohl¬ geordneter Geist, in seinem Empfinden immer voll, ganz und warm, bei seiner Arbeit von einem Ernst und einer Strenge, welche sich selbst nie genug thun konnte. Aber es waren nicht diese deutschen Vorzüge allein. welche sein Dichter- talent imponirend machten. In seinem Schaffen, ja in seiner ganzen Persönlich- keit lag etwas so Ungewöhnliches, daß er zuweilen aussah, wie aus der Urzeit des deutschen Volkes in die Gegenwart versetzt. Schon sein Aeußeres gab das Bild eines kräftigen Germanen aus alter Zeit, das große Haupt, edel geformte Züge, der stattliche Wuchs, das schöne tiefe Auge, der starke Bart, die feste schmuck¬ lose Haltung. Aber noch auffallender wurde er, wenn man die Methode seiner poetischen Arbeit beobachtete, in seinem Innern eine leidenschaftliche Bewegung, der eines Jnspirirten gleich; seine Empfindungen und Anschauungen nicht blos poetisch, sondern zu gleicher Zeit sowohl musikalisch als malerisch; und zwar in so hohem Grade, daß seine poetische Production dadurch gehemmt wurde. In eigenthümlichen Kämpfen rangen sich die Gebilde aus seiner Seele los. Während sie in ihm lebten, hörte er Klänge, sah er die Gestalten in Gruppen farbig vor sich, ja ihm begegnete in solcher Versunkenheit, daß sie ihm auch äußerlich sichtbar wurden, er sah im Abendnebel den Luftgeist mit grauem Ge¬ wände seine Brust umziehen, und als ihm die Idee eines Trauerspiels: Andreas Hofer im Gemüthe lag, stand die Gestalt des riesigen Tirolers als großer Grenzboten I. 1866. . 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/49>, abgerufen am 26.06.2024.