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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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roman geworden wäre, daß er außer den kärglichen Resten der classischen
Bildung seinen Klosterleuten auch jene Beschäftigung mit Landwirthschaft und
Gartenbau empfahl, welche in die Barbarenländer des Nordens die Rebe und
edle Getreidearten und Gemüse trug, und daß er vorzüglich auf fleißiges Ab¬
schreiben von Büchern hinwies, wodurch uns ein großer Theil der literarischen
Schätze bewahrt blieb, welche das Alterthum hinterlassen, sind Verdienste, die
nicht verschwiegen werden dürfen, hier aber nur kurz erwähnt werden können.

Nock umfangreicher ist der Einfluß des Boöthius auf die mittelalterliche
Wissenschaft und deren Schulen gewesen. Seine Uebersetzungen einiger Schriften
des Aristoteles, seine Bearbeitungen des Euklides, Archimedes und Ptolemäus.
seine Darstellungen der Rhetorik, Dialektik und Mathematik in Abrissen bildeten
geraume Zeit die einzige und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein die
hauptsächlichste Grundlage des höheren Unterrichts. Boethius ist mit diesen
Schriften gradezu der Schöpfer der Scholastik geworden, und er hat nebenher
durch seinen schönen und vielgelesenen Tractat über den Trost der Philosophie
im Unglück den Samen einer edlen Empfindung ausgestreut, durch dessen Früchte
später Barbarei und Fanatismus vielfach gemildert wurden.

Die dunkelste und am wenigsten regsame Periode der hier zu betrachtenden
Zeit ist die der Karolinger nach dem Hingang Karls des Großen, unter dem.
von Irland her verpflanzt, altes Wissen in den Landen westlich vom Rhein
Wurzel gefaßt und gute Pflege gefunden hätte. Unter den Ottonen kam in die
gelehrte Welt des Abendlandes wieder ein lebhafteres Streben, aber Neues
erfand sie in dieser Zeit ebensowenig als früher. Es gab jetzt bald eine ziem¬
lich große Formgewandtheit im Lateinischen, und es gab einzelne Kleriker, die
sogar Griechisch verstanden, aber einen tiefen und bleibenden Einfluß gewann
dies nicht. Jetzt wie bisher begnügte sich die Schule mit einem kleinen Theil
deS Nachlasses des Alterthums sammt seiner Umbildung durch die Kirchenväter.

Die Scholastik, in deren Glanzperiode die Gründung der ersten Universi¬
täten fällt, fand, wie angedeutet, ihre Aufgabe vorzüglich darin, mit dem von
Boethius ererbten dialektischen Handwerkszeug die vorhandenen Dogmen der
Kirche der Vernunft zugänglich, sie durch Zerlegung licht und durchsichtig zu
machen, sie gleichsam auszumeißeln und daraus Systeme zu bauen, die den
feingegliederten, durchbrochnen Domen der Zeit glichen. Die Kirchenlehrer der
früheren Jahrhunderte waren patres, die Scholastiker nur waZistri eeolsLiae.
Hatten jene sich vor allem an Plato und die Neuplatoniker gehalten, so stellten
diese besonders solche Schriftsteller hoch, aus denen in Bezug auf die Form
zu lernen war. Verfasser von logischen und encyklopädischen Werken, eine
Neigung, die es erklärt, daß man später, als durch Juden und Araber aus
Andalusien Aristoteles, der Vater der Logik und der größte Encyklopädiker.
genauer bekannt wurde, vorzüglich diesen zum Lehrer und Vorbild nahm.


roman geworden wäre, daß er außer den kärglichen Resten der classischen
Bildung seinen Klosterleuten auch jene Beschäftigung mit Landwirthschaft und
Gartenbau empfahl, welche in die Barbarenländer des Nordens die Rebe und
edle Getreidearten und Gemüse trug, und daß er vorzüglich auf fleißiges Ab¬
schreiben von Büchern hinwies, wodurch uns ein großer Theil der literarischen
Schätze bewahrt blieb, welche das Alterthum hinterlassen, sind Verdienste, die
nicht verschwiegen werden dürfen, hier aber nur kurz erwähnt werden können.

Nock umfangreicher ist der Einfluß des Boöthius auf die mittelalterliche
Wissenschaft und deren Schulen gewesen. Seine Uebersetzungen einiger Schriften
des Aristoteles, seine Bearbeitungen des Euklides, Archimedes und Ptolemäus.
seine Darstellungen der Rhetorik, Dialektik und Mathematik in Abrissen bildeten
geraume Zeit die einzige und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein die
hauptsächlichste Grundlage des höheren Unterrichts. Boethius ist mit diesen
Schriften gradezu der Schöpfer der Scholastik geworden, und er hat nebenher
durch seinen schönen und vielgelesenen Tractat über den Trost der Philosophie
im Unglück den Samen einer edlen Empfindung ausgestreut, durch dessen Früchte
später Barbarei und Fanatismus vielfach gemildert wurden.

Die dunkelste und am wenigsten regsame Periode der hier zu betrachtenden
Zeit ist die der Karolinger nach dem Hingang Karls des Großen, unter dem.
von Irland her verpflanzt, altes Wissen in den Landen westlich vom Rhein
Wurzel gefaßt und gute Pflege gefunden hätte. Unter den Ottonen kam in die
gelehrte Welt des Abendlandes wieder ein lebhafteres Streben, aber Neues
erfand sie in dieser Zeit ebensowenig als früher. Es gab jetzt bald eine ziem¬
lich große Formgewandtheit im Lateinischen, und es gab einzelne Kleriker, die
sogar Griechisch verstanden, aber einen tiefen und bleibenden Einfluß gewann
dies nicht. Jetzt wie bisher begnügte sich die Schule mit einem kleinen Theil
deS Nachlasses des Alterthums sammt seiner Umbildung durch die Kirchenväter.

Die Scholastik, in deren Glanzperiode die Gründung der ersten Universi¬
täten fällt, fand, wie angedeutet, ihre Aufgabe vorzüglich darin, mit dem von
Boethius ererbten dialektischen Handwerkszeug die vorhandenen Dogmen der
Kirche der Vernunft zugänglich, sie durch Zerlegung licht und durchsichtig zu
machen, sie gleichsam auszumeißeln und daraus Systeme zu bauen, die den
feingegliederten, durchbrochnen Domen der Zeit glichen. Die Kirchenlehrer der
früheren Jahrhunderte waren patres, die Scholastiker nur waZistri eeolsLiae.
Hatten jene sich vor allem an Plato und die Neuplatoniker gehalten, so stellten
diese besonders solche Schriftsteller hoch, aus denen in Bezug auf die Form
zu lernen war. Verfasser von logischen und encyklopädischen Werken, eine
Neigung, die es erklärt, daß man später, als durch Juden und Araber aus
Andalusien Aristoteles, der Vater der Logik und der größte Encyklopädiker.
genauer bekannt wurde, vorzüglich diesen zum Lehrer und Vorbild nahm.


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[0486] roman geworden wäre, daß er außer den kärglichen Resten der classischen Bildung seinen Klosterleuten auch jene Beschäftigung mit Landwirthschaft und Gartenbau empfahl, welche in die Barbarenländer des Nordens die Rebe und edle Getreidearten und Gemüse trug, und daß er vorzüglich auf fleißiges Ab¬ schreiben von Büchern hinwies, wodurch uns ein großer Theil der literarischen Schätze bewahrt blieb, welche das Alterthum hinterlassen, sind Verdienste, die nicht verschwiegen werden dürfen, hier aber nur kurz erwähnt werden können. Nock umfangreicher ist der Einfluß des Boöthius auf die mittelalterliche Wissenschaft und deren Schulen gewesen. Seine Uebersetzungen einiger Schriften des Aristoteles, seine Bearbeitungen des Euklides, Archimedes und Ptolemäus. seine Darstellungen der Rhetorik, Dialektik und Mathematik in Abrissen bildeten geraume Zeit die einzige und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein die hauptsächlichste Grundlage des höheren Unterrichts. Boethius ist mit diesen Schriften gradezu der Schöpfer der Scholastik geworden, und er hat nebenher durch seinen schönen und vielgelesenen Tractat über den Trost der Philosophie im Unglück den Samen einer edlen Empfindung ausgestreut, durch dessen Früchte später Barbarei und Fanatismus vielfach gemildert wurden. Die dunkelste und am wenigsten regsame Periode der hier zu betrachtenden Zeit ist die der Karolinger nach dem Hingang Karls des Großen, unter dem. von Irland her verpflanzt, altes Wissen in den Landen westlich vom Rhein Wurzel gefaßt und gute Pflege gefunden hätte. Unter den Ottonen kam in die gelehrte Welt des Abendlandes wieder ein lebhafteres Streben, aber Neues erfand sie in dieser Zeit ebensowenig als früher. Es gab jetzt bald eine ziem¬ lich große Formgewandtheit im Lateinischen, und es gab einzelne Kleriker, die sogar Griechisch verstanden, aber einen tiefen und bleibenden Einfluß gewann dies nicht. Jetzt wie bisher begnügte sich die Schule mit einem kleinen Theil deS Nachlasses des Alterthums sammt seiner Umbildung durch die Kirchenväter. Die Scholastik, in deren Glanzperiode die Gründung der ersten Universi¬ täten fällt, fand, wie angedeutet, ihre Aufgabe vorzüglich darin, mit dem von Boethius ererbten dialektischen Handwerkszeug die vorhandenen Dogmen der Kirche der Vernunft zugänglich, sie durch Zerlegung licht und durchsichtig zu machen, sie gleichsam auszumeißeln und daraus Systeme zu bauen, die den feingegliederten, durchbrochnen Domen der Zeit glichen. Die Kirchenlehrer der früheren Jahrhunderte waren patres, die Scholastiker nur waZistri eeolsLiae. Hatten jene sich vor allem an Plato und die Neuplatoniker gehalten, so stellten diese besonders solche Schriftsteller hoch, aus denen in Bezug auf die Form zu lernen war. Verfasser von logischen und encyklopädischen Werken, eine Neigung, die es erklärt, daß man später, als durch Juden und Araber aus Andalusien Aristoteles, der Vater der Logik und der größte Encyklopädiker. genauer bekannt wurde, vorzüglich diesen zum Lehrer und Vorbild nahm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/486>, abgerufen am 01.07.2024.