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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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welches ebenfalls einen Präpositus und bei der damit verbundenen Burse einen
Conventor zum Dirigenten hat. Wer hier Frauenzimmer zweifelhaften Rufes
in das Institut einschleppe oder solche in der Stadt besucht, geht nach einer
Bestimmung von 1445, wenn es zum vierten Male vorkommt, seiner Stelle
im Kollegium verlustig und bat binnen Monatsfrist das Haus zu räumen.
1538 heißt es in Bezug auf diese jedenfalls auch unter den Magistern häufige
Unsitte, daß der Collega, welcher eine Dirne bei sich hat, mit sechs, der Tisch¬
genosse oder Jnquiline (Student), der sich dessen schuldig macht, mit drei Gulden
zu strafen ist. "Wer außerhalb des Hauses mit einem verdächtigen Frauens-
bilde Verkehr unterhält, ist zuerst von dem nächsten, der es erfährt, zu ernähren,
daß er davon ablasse. Kann er nicht, so ist es dem Präpositus zu melden,
auf daß er ihn mit freundlichen Worten zu heilen suche. Hilft das nichts, so
soll ihn das ganze Collegium in der Versammlung ernähren. Schlägt auch
das nicht an, so soll er ausgeschlossen und, wenn er nicht binnen einem Monat
geht, für eidbrüchig erachtet werden." Andere charakteristische Artikel der Sta¬
tuten des Frauencollegs sind noch folgende. Für die Wohlthäter der Anstalt
sind zu gewisser Zeit Seelenmessen zu lesen, desgleichen für versterbende Col-
legiaten. An bestimmten Festtagen soll bei Tische "bis zum zweiten Gericht"
eine kurze Predigt gehalten werden. Kommt es beim Essen zu Streitigkeiten,
so hat der Präpositus an die Betreffenden eine dreimalige sanfte Abmahnung
ergehen zu lassen. Fruchtet das nicht, so befühlt er Silentium, oder der älteste
Magister sagt "mit weniger ernsten Worten, etwa: nolurrms toe Katers", das"
selbe. Wer dann nicht gehorcht, verliert seine Portion, bis er sich fügt.

Die Sprache der mittelalterlichen Universität war die der Kirche. Nicht
nur in den Hörsälen, in den Dictaten, Disputationen und Dekreten, sondern
auch in den Collegienräumen, an der gemeinsamen Mittagstafel der Professoren,
in den Bursen, wo der Student wohnte und speiste, und in den Trinkstuben,
welche von den Universitätsverwandten frequentirt wurden, herrschte das Latein
und sollte dieses strenger Vorschrift nach allein gebraucht werden. Dieses Idiom
hatte mit der Sprache, deren sich Rom in der classischen Zeit redend und
schreibend bediente, nicht eben viel gemein; ja nicht nur Terenz, Cicero und
Cäsar, sondern auch viel spätere Quiriten würden, in ihm begrüßt, kaum ge¬
glaubt haben, ihre Muttersprache zu hören. Aber es ist darum keineswegs ge¬
ringschätzig anzusehen und als bloße Verballhornisirung zu bezeichnen. Mangelte
ihm Eleganz im Sinne des goldnen und silbernen Zeitalters, verstieß es nicht
selten selbst gegen die Grammatik, so hatte es dagegen auch gewisse Vorzüge
vor dem echten Latein; namentlich besaß es einen größeren Vorrath von Aus¬
drücken für gewisse Classen von Vorstellungen als die vornehmere Mutter und
infolge dessen die sehr schätzenswerthe Eigenschaft größerer Kürze und Prägnanz.
Wer die leipziger Actenstücke des fünfzehnten Jahrhunderts mit denen aus der


welches ebenfalls einen Präpositus und bei der damit verbundenen Burse einen
Conventor zum Dirigenten hat. Wer hier Frauenzimmer zweifelhaften Rufes
in das Institut einschleppe oder solche in der Stadt besucht, geht nach einer
Bestimmung von 1445, wenn es zum vierten Male vorkommt, seiner Stelle
im Kollegium verlustig und bat binnen Monatsfrist das Haus zu räumen.
1538 heißt es in Bezug auf diese jedenfalls auch unter den Magistern häufige
Unsitte, daß der Collega, welcher eine Dirne bei sich hat, mit sechs, der Tisch¬
genosse oder Jnquiline (Student), der sich dessen schuldig macht, mit drei Gulden
zu strafen ist. „Wer außerhalb des Hauses mit einem verdächtigen Frauens-
bilde Verkehr unterhält, ist zuerst von dem nächsten, der es erfährt, zu ernähren,
daß er davon ablasse. Kann er nicht, so ist es dem Präpositus zu melden,
auf daß er ihn mit freundlichen Worten zu heilen suche. Hilft das nichts, so
soll ihn das ganze Collegium in der Versammlung ernähren. Schlägt auch
das nicht an, so soll er ausgeschlossen und, wenn er nicht binnen einem Monat
geht, für eidbrüchig erachtet werden." Andere charakteristische Artikel der Sta¬
tuten des Frauencollegs sind noch folgende. Für die Wohlthäter der Anstalt
sind zu gewisser Zeit Seelenmessen zu lesen, desgleichen für versterbende Col-
legiaten. An bestimmten Festtagen soll bei Tische „bis zum zweiten Gericht"
eine kurze Predigt gehalten werden. Kommt es beim Essen zu Streitigkeiten,
so hat der Präpositus an die Betreffenden eine dreimalige sanfte Abmahnung
ergehen zu lassen. Fruchtet das nicht, so befühlt er Silentium, oder der älteste
Magister sagt „mit weniger ernsten Worten, etwa: nolurrms toe Katers", das«
selbe. Wer dann nicht gehorcht, verliert seine Portion, bis er sich fügt.

Die Sprache der mittelalterlichen Universität war die der Kirche. Nicht
nur in den Hörsälen, in den Dictaten, Disputationen und Dekreten, sondern
auch in den Collegienräumen, an der gemeinsamen Mittagstafel der Professoren,
in den Bursen, wo der Student wohnte und speiste, und in den Trinkstuben,
welche von den Universitätsverwandten frequentirt wurden, herrschte das Latein
und sollte dieses strenger Vorschrift nach allein gebraucht werden. Dieses Idiom
hatte mit der Sprache, deren sich Rom in der classischen Zeit redend und
schreibend bediente, nicht eben viel gemein; ja nicht nur Terenz, Cicero und
Cäsar, sondern auch viel spätere Quiriten würden, in ihm begrüßt, kaum ge¬
glaubt haben, ihre Muttersprache zu hören. Aber es ist darum keineswegs ge¬
ringschätzig anzusehen und als bloße Verballhornisirung zu bezeichnen. Mangelte
ihm Eleganz im Sinne des goldnen und silbernen Zeitalters, verstieß es nicht
selten selbst gegen die Grammatik, so hatte es dagegen auch gewisse Vorzüge
vor dem echten Latein; namentlich besaß es einen größeren Vorrath von Aus¬
drücken für gewisse Classen von Vorstellungen als die vornehmere Mutter und
infolge dessen die sehr schätzenswerthe Eigenschaft größerer Kürze und Prägnanz.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/482>, abgerufen am 22.12.2024.