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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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dem Boden derselben Verfassung um einzelne Acte der Gesetzgebung hadern
Hier stehen nicht Whigs und Tones einander gegenüber, nicht Liberale und
Konservative, sondern solche, welche ihr gutes Recht suchen, und solche, welche
es weigern. Zwischen Opposition und Reaction ist in Preußen noch lange kein
Compromiß möglich, und wenn er möglich wäre, so Ware es ein schwächlicher
Kompromiß, der auf der Stelle von beiden Theilen wieder gebrochen werden
würde. Es ist wahr, die preußische Presse, ja sogar das Abgeordnetenhaus
geben von der furchtbaren Schärfe dieses Gegensatzes nur ein sehr unvoll¬
ständiges Bild. Dennoch wird das herrschende System auch in Preußen nur
dadurch möglich, daß die Confiscationen der Zeitungen unablässig fortgesetzt
werden, daß gegen den einen liberalen Factor der Gesetzgebung ein anderer
benutzt wird, den, man so reactionär als möglich geformt hat. Es ist ein
Irrthum, daß der Kampf nur geführt wird zwischen Tribüne und Ministertisch,
bei jeder Nichtbestätigung eines Stadtraths, bei jeder Strafversetzung eines
Richters, bei jeder Einsetzung eines Staatsanwalts, bei Berufung eines Geist¬
lichen, bei Ertheilung der Lehrerqualification, bei Entziehung des Gewerbebetriebs,
bei Verleihung von Concessionen, Belohnungen, Privilegien, überall hat er sich
eingedrängt und wird von beiden Theilen leidenschaftlich hineingezogen. Denn
es ist in Wahrheit ein Kampf um das Leben, den der Liberalismus in Preußen
zu führen hat. Ohne Zweifel werden preußische Zeitungen nicht mehr confiscire
werden, wenn sie sich enthalten, über irgendeine Regierungsmaßregel Kritik
zu üben; ohne Zweifel wird jeder Stadtrath bestätigt werden, wenn er sich
verpflichtet, jeder oppositionellen Aeußerung seiner Commune kräftig entgegen¬
zuarbeiten. Ohne Zweifel wird jede Session des Abgeordnetenhauses das
Bild höchster patriotischer Einmüthigkeit darstellen, wenn jeder Volksvertreter
sich Herz und Gewissen verhärtet gegen die Klagen und" den Zorn seiner
Wähler, ohne Zweifel würde das System aufhören, irgend jemand zu schädige",
wenn jedermann sich beeiferte auszusprechen, daß er sich, seine Börse, seine
Kinder, seine Wünsche und sein Gewissen der Negierung zur Verfügung stelle.
Ohne Zweifel sind die Preußen ein sehr loyales Volk und sie sind gewöhnt,
ihrer Regierung viel zu überlassen! aber wenn sie sich aus unbestimmte Zeit
aus Politik freiwillig zu solchem Knechtssinn verstehen könnten, so würde, wenn
die glückliche Zeit einträte, wo ihnen, wie dem Papageno, das Schloß vom
Munde genommen werden kann, wahrscheinlich nicht viel übrig sein, was noch
werthvoll machte, ein Preuße zu heißen.

Nun ist auch die beste und hochgesinnteste Partei nicht der Staat, und die
heftigste Opposition ist genöthigt, in der Regierung zugleich die 'Vertreterin
der höchsten Staatsinteressen zu respectiren. Deshalb soll die Opposition selbst¬
verständlich die Pflicht haben, wo ein offenbares und zweifelloses Landcöintcresse
in Frage kommt, ihre Mitwirkung zur Beförderung desselben nicht zu versagen.
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dem Boden derselben Verfassung um einzelne Acte der Gesetzgebung hadern
Hier stehen nicht Whigs und Tones einander gegenüber, nicht Liberale und
Konservative, sondern solche, welche ihr gutes Recht suchen, und solche, welche
es weigern. Zwischen Opposition und Reaction ist in Preußen noch lange kein
Compromiß möglich, und wenn er möglich wäre, so Ware es ein schwächlicher
Kompromiß, der auf der Stelle von beiden Theilen wieder gebrochen werden
würde. Es ist wahr, die preußische Presse, ja sogar das Abgeordnetenhaus
geben von der furchtbaren Schärfe dieses Gegensatzes nur ein sehr unvoll¬
ständiges Bild. Dennoch wird das herrschende System auch in Preußen nur
dadurch möglich, daß die Confiscationen der Zeitungen unablässig fortgesetzt
werden, daß gegen den einen liberalen Factor der Gesetzgebung ein anderer
benutzt wird, den, man so reactionär als möglich geformt hat. Es ist ein
Irrthum, daß der Kampf nur geführt wird zwischen Tribüne und Ministertisch,
bei jeder Nichtbestätigung eines Stadtraths, bei jeder Strafversetzung eines
Richters, bei jeder Einsetzung eines Staatsanwalts, bei Berufung eines Geist¬
lichen, bei Ertheilung der Lehrerqualification, bei Entziehung des Gewerbebetriebs,
bei Verleihung von Concessionen, Belohnungen, Privilegien, überall hat er sich
eingedrängt und wird von beiden Theilen leidenschaftlich hineingezogen. Denn
es ist in Wahrheit ein Kampf um das Leben, den der Liberalismus in Preußen
zu führen hat. Ohne Zweifel werden preußische Zeitungen nicht mehr confiscire
werden, wenn sie sich enthalten, über irgendeine Regierungsmaßregel Kritik
zu üben; ohne Zweifel wird jeder Stadtrath bestätigt werden, wenn er sich
verpflichtet, jeder oppositionellen Aeußerung seiner Commune kräftig entgegen¬
zuarbeiten. Ohne Zweifel wird jede Session des Abgeordnetenhauses das
Bild höchster patriotischer Einmüthigkeit darstellen, wenn jeder Volksvertreter
sich Herz und Gewissen verhärtet gegen die Klagen und" den Zorn seiner
Wähler, ohne Zweifel würde das System aufhören, irgend jemand zu schädige»,
wenn jedermann sich beeiferte auszusprechen, daß er sich, seine Börse, seine
Kinder, seine Wünsche und sein Gewissen der Negierung zur Verfügung stelle.
Ohne Zweifel sind die Preußen ein sehr loyales Volk und sie sind gewöhnt,
ihrer Regierung viel zu überlassen! aber wenn sie sich aus unbestimmte Zeit
aus Politik freiwillig zu solchem Knechtssinn verstehen könnten, so würde, wenn
die glückliche Zeit einträte, wo ihnen, wie dem Papageno, das Schloß vom
Munde genommen werden kann, wahrscheinlich nicht viel übrig sein, was noch
werthvoll machte, ein Preuße zu heißen.

Nun ist auch die beste und hochgesinnteste Partei nicht der Staat, und die
heftigste Opposition ist genöthigt, in der Regierung zugleich die 'Vertreterin
der höchsten Staatsinteressen zu respectiren. Deshalb soll die Opposition selbst¬
verständlich die Pflicht haben, wo ein offenbares und zweifelloses Landcöintcresse
in Frage kommt, ihre Mitwirkung zur Beförderung desselben nicht zu versagen.
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[0437] dem Boden derselben Verfassung um einzelne Acte der Gesetzgebung hadern Hier stehen nicht Whigs und Tones einander gegenüber, nicht Liberale und Konservative, sondern solche, welche ihr gutes Recht suchen, und solche, welche es weigern. Zwischen Opposition und Reaction ist in Preußen noch lange kein Compromiß möglich, und wenn er möglich wäre, so Ware es ein schwächlicher Kompromiß, der auf der Stelle von beiden Theilen wieder gebrochen werden würde. Es ist wahr, die preußische Presse, ja sogar das Abgeordnetenhaus geben von der furchtbaren Schärfe dieses Gegensatzes nur ein sehr unvoll¬ ständiges Bild. Dennoch wird das herrschende System auch in Preußen nur dadurch möglich, daß die Confiscationen der Zeitungen unablässig fortgesetzt werden, daß gegen den einen liberalen Factor der Gesetzgebung ein anderer benutzt wird, den, man so reactionär als möglich geformt hat. Es ist ein Irrthum, daß der Kampf nur geführt wird zwischen Tribüne und Ministertisch, bei jeder Nichtbestätigung eines Stadtraths, bei jeder Strafversetzung eines Richters, bei jeder Einsetzung eines Staatsanwalts, bei Berufung eines Geist¬ lichen, bei Ertheilung der Lehrerqualification, bei Entziehung des Gewerbebetriebs, bei Verleihung von Concessionen, Belohnungen, Privilegien, überall hat er sich eingedrängt und wird von beiden Theilen leidenschaftlich hineingezogen. Denn es ist in Wahrheit ein Kampf um das Leben, den der Liberalismus in Preußen zu führen hat. Ohne Zweifel werden preußische Zeitungen nicht mehr confiscire werden, wenn sie sich enthalten, über irgendeine Regierungsmaßregel Kritik zu üben; ohne Zweifel wird jeder Stadtrath bestätigt werden, wenn er sich verpflichtet, jeder oppositionellen Aeußerung seiner Commune kräftig entgegen¬ zuarbeiten. Ohne Zweifel wird jede Session des Abgeordnetenhauses das Bild höchster patriotischer Einmüthigkeit darstellen, wenn jeder Volksvertreter sich Herz und Gewissen verhärtet gegen die Klagen und" den Zorn seiner Wähler, ohne Zweifel würde das System aufhören, irgend jemand zu schädige», wenn jedermann sich beeiferte auszusprechen, daß er sich, seine Börse, seine Kinder, seine Wünsche und sein Gewissen der Negierung zur Verfügung stelle. Ohne Zweifel sind die Preußen ein sehr loyales Volk und sie sind gewöhnt, ihrer Regierung viel zu überlassen! aber wenn sie sich aus unbestimmte Zeit aus Politik freiwillig zu solchem Knechtssinn verstehen könnten, so würde, wenn die glückliche Zeit einträte, wo ihnen, wie dem Papageno, das Schloß vom Munde genommen werden kann, wahrscheinlich nicht viel übrig sein, was noch werthvoll machte, ein Preuße zu heißen. Nun ist auch die beste und hochgesinnteste Partei nicht der Staat, und die heftigste Opposition ist genöthigt, in der Regierung zugleich die 'Vertreterin der höchsten Staatsinteressen zu respectiren. Deshalb soll die Opposition selbst¬ verständlich die Pflicht haben, wo ein offenbares und zweifelloses Landcöintcresse in Frage kommt, ihre Mitwirkung zur Beförderung desselben nicht zu versagen. " 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/437>, abgerufen am 29.06.2024.