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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Awisu". ein in keltischer Sprache geschriebenes Blatt, welches, von den Herren
Allunan, Beesbardis, Woldemar und Dünsberg gegründet und - nicht ohne
Geschick redigirt, eine Zeit lang das Evangelium für den Bauer der Ostsee¬
provinzen und dessen Beilage "Peclikkurus" -- eine Art keltischer Kladderadatsch
mit Karikaturen auf Adel und .Geistlichkeit -- seine Allsonntagsschadensreude
bildete.

Die Ritterschaft.und Geistlichkeit glaubte sich anfänglich nicht anders helfen
zu können als durch Denunciation des unbequemen Blattes. Sie bewirkten
beim Minister des Innern zunächst eine sechsmonatliche Suspension desselben
und Maßreglung der Redacteure. Beesbardis wurde ausgewiesen, Dünsberg,
seines Zeichens Schulmeister, internirt, seiner Korrespondenz mit den übrigen
Führern der Partei beraubt und von dem kurländischen Polizeiminister v. Kotze-
vue genöthigt, auf fernere Mitarbeiterschaft zu verzichten. Woldemar, der
kaiserliche Ministerialbeamte, der "Officiöse", blieb zunächst unbehelligt. Er hallte
sich indeß in andrer Weise einen üblen Namen gemacht und das Vertrauen der
Bauern verscherzt, indem er dieselben zur Auswanderung von Kurland nach der
Gegend von Nowgorod aufgefordert, ihnen Sümpfe als fruchtbares Land an¬
gepriesen, durch Agenten von den zur Emigration Geneigter bedeutende An¬
zahlungen erhoben, dann, als die Leute bereits unterwegs, plötzlich vor der Aus¬
wanderung gewarnt und das eingezahlte Geld nicht zurückgegeben hatte. Als
das "Awisu" wieder erscheinen durfte, erschien es, statt wie bisher unter Peters¬
burger, unter rigaer Censur, da der Gouverneur der Ostseeprovinzen erklärt
hatte, daß sich mit solcher Preßopposition nichr regieren lasse. Damit war die
Lebensfähigkeit des Blattes untergraben, und die Redaction sah sich gezwungen,
es eingehen zu lassen. Mit ihm und noch mehr durch jene Entlarvung der
menschenfreundlichen Absicht Woldemars, seine Stammgenossen und deren trau¬
rige sociale Lage zum eignen Bortheil auszubeuten, starb die Partei. Der
lettische Bauer, obwohl in hohem Grade mißtrauisch gegen den adeligen Grund¬
herrn und voll Haß gegen denselben und den "Wazcsch" (Deutschen) überhaupt,
ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß ihm von deutscher Seite eine solche Falle
wie die woldemarsche niemals gestellt worden wäre; seine tausend durch jenes
Manöver zur Auswanderung nach Rußland verlockten und an den Bettelstab
gebrachten Landsleute haben ihm die Augen geöffnet und der deutschen Sache
unter den Letten außerordentlich geholfen.

Doch würde hierauf wie auf die Hilfe der Regierung gegen die rührige
Gegnerschaft in Rußland nicht zu bauen sein, wenn sich unter den Deutschen
der Ostseeprovinzen nicht in der letzten Zeit eine lebhaftere Geneigtheit, wenig¬
stens aus dem Gröbsten zu reformiren und berechtigten Klagen in dieser wie
andren Beziehungen ein Ende zu machen, kundgäbe. Sehr viel hat hierzu
ohne Zweifel die Befürchtung beigetragen, daß, wenn man nicht selbst Hand


Awisu". ein in keltischer Sprache geschriebenes Blatt, welches, von den Herren
Allunan, Beesbardis, Woldemar und Dünsberg gegründet und - nicht ohne
Geschick redigirt, eine Zeit lang das Evangelium für den Bauer der Ostsee¬
provinzen und dessen Beilage „Peclikkurus" — eine Art keltischer Kladderadatsch
mit Karikaturen auf Adel und .Geistlichkeit — seine Allsonntagsschadensreude
bildete.

Die Ritterschaft.und Geistlichkeit glaubte sich anfänglich nicht anders helfen
zu können als durch Denunciation des unbequemen Blattes. Sie bewirkten
beim Minister des Innern zunächst eine sechsmonatliche Suspension desselben
und Maßreglung der Redacteure. Beesbardis wurde ausgewiesen, Dünsberg,
seines Zeichens Schulmeister, internirt, seiner Korrespondenz mit den übrigen
Führern der Partei beraubt und von dem kurländischen Polizeiminister v. Kotze-
vue genöthigt, auf fernere Mitarbeiterschaft zu verzichten. Woldemar, der
kaiserliche Ministerialbeamte, der „Officiöse", blieb zunächst unbehelligt. Er hallte
sich indeß in andrer Weise einen üblen Namen gemacht und das Vertrauen der
Bauern verscherzt, indem er dieselben zur Auswanderung von Kurland nach der
Gegend von Nowgorod aufgefordert, ihnen Sümpfe als fruchtbares Land an¬
gepriesen, durch Agenten von den zur Emigration Geneigter bedeutende An¬
zahlungen erhoben, dann, als die Leute bereits unterwegs, plötzlich vor der Aus¬
wanderung gewarnt und das eingezahlte Geld nicht zurückgegeben hatte. Als
das „Awisu" wieder erscheinen durfte, erschien es, statt wie bisher unter Peters¬
burger, unter rigaer Censur, da der Gouverneur der Ostseeprovinzen erklärt
hatte, daß sich mit solcher Preßopposition nichr regieren lasse. Damit war die
Lebensfähigkeit des Blattes untergraben, und die Redaction sah sich gezwungen,
es eingehen zu lassen. Mit ihm und noch mehr durch jene Entlarvung der
menschenfreundlichen Absicht Woldemars, seine Stammgenossen und deren trau¬
rige sociale Lage zum eignen Bortheil auszubeuten, starb die Partei. Der
lettische Bauer, obwohl in hohem Grade mißtrauisch gegen den adeligen Grund¬
herrn und voll Haß gegen denselben und den „Wazcsch" (Deutschen) überhaupt,
ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß ihm von deutscher Seite eine solche Falle
wie die woldemarsche niemals gestellt worden wäre; seine tausend durch jenes
Manöver zur Auswanderung nach Rußland verlockten und an den Bettelstab
gebrachten Landsleute haben ihm die Augen geöffnet und der deutschen Sache
unter den Letten außerordentlich geholfen.

Doch würde hierauf wie auf die Hilfe der Regierung gegen die rührige
Gegnerschaft in Rußland nicht zu bauen sein, wenn sich unter den Deutschen
der Ostseeprovinzen nicht in der letzten Zeit eine lebhaftere Geneigtheit, wenig¬
stens aus dem Gröbsten zu reformiren und berechtigten Klagen in dieser wie
andren Beziehungen ein Ende zu machen, kundgäbe. Sehr viel hat hierzu
ohne Zweifel die Befürchtung beigetragen, daß, wenn man nicht selbst Hand


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[0406] Awisu". ein in keltischer Sprache geschriebenes Blatt, welches, von den Herren Allunan, Beesbardis, Woldemar und Dünsberg gegründet und - nicht ohne Geschick redigirt, eine Zeit lang das Evangelium für den Bauer der Ostsee¬ provinzen und dessen Beilage „Peclikkurus" — eine Art keltischer Kladderadatsch mit Karikaturen auf Adel und .Geistlichkeit — seine Allsonntagsschadensreude bildete. Die Ritterschaft.und Geistlichkeit glaubte sich anfänglich nicht anders helfen zu können als durch Denunciation des unbequemen Blattes. Sie bewirkten beim Minister des Innern zunächst eine sechsmonatliche Suspension desselben und Maßreglung der Redacteure. Beesbardis wurde ausgewiesen, Dünsberg, seines Zeichens Schulmeister, internirt, seiner Korrespondenz mit den übrigen Führern der Partei beraubt und von dem kurländischen Polizeiminister v. Kotze- vue genöthigt, auf fernere Mitarbeiterschaft zu verzichten. Woldemar, der kaiserliche Ministerialbeamte, der „Officiöse", blieb zunächst unbehelligt. Er hallte sich indeß in andrer Weise einen üblen Namen gemacht und das Vertrauen der Bauern verscherzt, indem er dieselben zur Auswanderung von Kurland nach der Gegend von Nowgorod aufgefordert, ihnen Sümpfe als fruchtbares Land an¬ gepriesen, durch Agenten von den zur Emigration Geneigter bedeutende An¬ zahlungen erhoben, dann, als die Leute bereits unterwegs, plötzlich vor der Aus¬ wanderung gewarnt und das eingezahlte Geld nicht zurückgegeben hatte. Als das „Awisu" wieder erscheinen durfte, erschien es, statt wie bisher unter Peters¬ burger, unter rigaer Censur, da der Gouverneur der Ostseeprovinzen erklärt hatte, daß sich mit solcher Preßopposition nichr regieren lasse. Damit war die Lebensfähigkeit des Blattes untergraben, und die Redaction sah sich gezwungen, es eingehen zu lassen. Mit ihm und noch mehr durch jene Entlarvung der menschenfreundlichen Absicht Woldemars, seine Stammgenossen und deren trau¬ rige sociale Lage zum eignen Bortheil auszubeuten, starb die Partei. Der lettische Bauer, obwohl in hohem Grade mißtrauisch gegen den adeligen Grund¬ herrn und voll Haß gegen denselben und den „Wazcsch" (Deutschen) überhaupt, ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß ihm von deutscher Seite eine solche Falle wie die woldemarsche niemals gestellt worden wäre; seine tausend durch jenes Manöver zur Auswanderung nach Rußland verlockten und an den Bettelstab gebrachten Landsleute haben ihm die Augen geöffnet und der deutschen Sache unter den Letten außerordentlich geholfen. Doch würde hierauf wie auf die Hilfe der Regierung gegen die rührige Gegnerschaft in Rußland nicht zu bauen sein, wenn sich unter den Deutschen der Ostseeprovinzen nicht in der letzten Zeit eine lebhaftere Geneigtheit, wenig¬ stens aus dem Gröbsten zu reformiren und berechtigten Klagen in dieser wie andren Beziehungen ein Ende zu machen, kundgäbe. Sehr viel hat hierzu ohne Zweifel die Befürchtung beigetragen, daß, wenn man nicht selbst Hand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/406>, abgerufen am 29.06.2024.