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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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für die Historie nicht unbedeutenden Wetth. weil sie ein lebhaftes Bild von der
Auffassung der Ereignisse durch die Zeitgenossen geben, und weil sie zuweilen Wo-
risches Detail enthalte", welches uns aus keiner andern Quelle zugänglich ist.
Deshalb war es dankenswert!), daß die historische Commission bei der königlichen
Akademie der Wissenschaften in München die Herausgabe dieser Ueberreste deutscher
Dichtung veranlaßte. Die Weise, in welcher R. v. Liliencron die schwere Auf-
gabe gelöst hat. ist höchst lobenswerth; der erste Band enthält in 124 Nummern
politische Lieder von 1243 bis 1469. außerdem einige werthvolle Nachträge.
Jedem Liede ist eine historische Einleitung vorausgeschickt; kurz, klar und in
die Situation einführend; der Text ist von den Ungeheuerlichkeiten der Or¬
thographie so viel als nöthig gesäubert, alle wichtigern Eigenthümlichkeiten
des Dialekts sind gewahrt. Der Herausgeber, einer der namhaften Ge-
lehrten deutscher Sprach, und Alterthumswissenschaft, hat durch diese gute Arbeit
aufs neue bewiesen, daß ihm in anderweitiger Berufsthätigkeit die Kraft, seine
Wissenschaft zu fördern, nicht verringert ist. Er selbst ist sich wohl bewußt,
daß die Lieder, welche er in stattlichem Bande seiner Nation zum Weihnachts¬
angebinde darreicht, auf den Blättern des Buchs getrockneten Blüthen gleichen,
und der Leser muß sich sinnend darüber neigen, um der Farbe und des
Duftes, welchen sie ehemals hatten, theilhaftig zu werden. Aber auch wie
sie uns jetzt erscheinen, als kleine, zuweilen zerstörte Ueberreste einer geschwundenen
Zeit, führen sie auf wenig betretenen Seitenpfaden in das tüchtige, starkbewegte
und leidenschaftliche politische Treiben unserer Vorfahren ein. Was einst in
der stürmischen Regung des Tages durch die deutschen Länder klang, das liegt
jetzt sorglich eingebucht vor uns, und den flüchtigen Liedern der Stunde ist
von dem Geschlecht der Enkel, welches sich müht, das eigene Leben durch das
G. F. Leben der Väter zu verstehen, eine stille Dauer gesichert.




Grenzboten l. 18L6.ü

für die Historie nicht unbedeutenden Wetth. weil sie ein lebhaftes Bild von der
Auffassung der Ereignisse durch die Zeitgenossen geben, und weil sie zuweilen Wo-
risches Detail enthalte», welches uns aus keiner andern Quelle zugänglich ist.
Deshalb war es dankenswert!), daß die historische Commission bei der königlichen
Akademie der Wissenschaften in München die Herausgabe dieser Ueberreste deutscher
Dichtung veranlaßte. Die Weise, in welcher R. v. Liliencron die schwere Auf-
gabe gelöst hat. ist höchst lobenswerth; der erste Band enthält in 124 Nummern
politische Lieder von 1243 bis 1469. außerdem einige werthvolle Nachträge.
Jedem Liede ist eine historische Einleitung vorausgeschickt; kurz, klar und in
die Situation einführend; der Text ist von den Ungeheuerlichkeiten der Or¬
thographie so viel als nöthig gesäubert, alle wichtigern Eigenthümlichkeiten
des Dialekts sind gewahrt. Der Herausgeber, einer der namhaften Ge-
lehrten deutscher Sprach, und Alterthumswissenschaft, hat durch diese gute Arbeit
aufs neue bewiesen, daß ihm in anderweitiger Berufsthätigkeit die Kraft, seine
Wissenschaft zu fördern, nicht verringert ist. Er selbst ist sich wohl bewußt,
daß die Lieder, welche er in stattlichem Bande seiner Nation zum Weihnachts¬
angebinde darreicht, auf den Blättern des Buchs getrockneten Blüthen gleichen,
und der Leser muß sich sinnend darüber neigen, um der Farbe und des
Duftes, welchen sie ehemals hatten, theilhaftig zu werden. Aber auch wie
sie uns jetzt erscheinen, als kleine, zuweilen zerstörte Ueberreste einer geschwundenen
Zeit, führen sie auf wenig betretenen Seitenpfaden in das tüchtige, starkbewegte
und leidenschaftliche politische Treiben unserer Vorfahren ein. Was einst in
der stürmischen Regung des Tages durch die deutschen Länder klang, das liegt
jetzt sorglich eingebucht vor uns, und den flüchtigen Liedern der Stunde ist
von dem Geschlecht der Enkel, welches sich müht, das eigene Leben durch das
G. F. Leben der Väter zu verstehen, eine stille Dauer gesichert.




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[0039] für die Historie nicht unbedeutenden Wetth. weil sie ein lebhaftes Bild von der Auffassung der Ereignisse durch die Zeitgenossen geben, und weil sie zuweilen Wo- risches Detail enthalte», welches uns aus keiner andern Quelle zugänglich ist. Deshalb war es dankenswert!), daß die historische Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften in München die Herausgabe dieser Ueberreste deutscher Dichtung veranlaßte. Die Weise, in welcher R. v. Liliencron die schwere Auf- gabe gelöst hat. ist höchst lobenswerth; der erste Band enthält in 124 Nummern politische Lieder von 1243 bis 1469. außerdem einige werthvolle Nachträge. Jedem Liede ist eine historische Einleitung vorausgeschickt; kurz, klar und in die Situation einführend; der Text ist von den Ungeheuerlichkeiten der Or¬ thographie so viel als nöthig gesäubert, alle wichtigern Eigenthümlichkeiten des Dialekts sind gewahrt. Der Herausgeber, einer der namhaften Ge- lehrten deutscher Sprach, und Alterthumswissenschaft, hat durch diese gute Arbeit aufs neue bewiesen, daß ihm in anderweitiger Berufsthätigkeit die Kraft, seine Wissenschaft zu fördern, nicht verringert ist. Er selbst ist sich wohl bewußt, daß die Lieder, welche er in stattlichem Bande seiner Nation zum Weihnachts¬ angebinde darreicht, auf den Blättern des Buchs getrockneten Blüthen gleichen, und der Leser muß sich sinnend darüber neigen, um der Farbe und des Duftes, welchen sie ehemals hatten, theilhaftig zu werden. Aber auch wie sie uns jetzt erscheinen, als kleine, zuweilen zerstörte Ueberreste einer geschwundenen Zeit, führen sie auf wenig betretenen Seitenpfaden in das tüchtige, starkbewegte und leidenschaftliche politische Treiben unserer Vorfahren ein. Was einst in der stürmischen Regung des Tages durch die deutschen Länder klang, das liegt jetzt sorglich eingebucht vor uns, und den flüchtigen Liedern der Stunde ist von dem Geschlecht der Enkel, welches sich müht, das eigene Leben durch das G. F. Leben der Väter zu verstehen, eine stille Dauer gesichert. Grenzboten l. 18L6.ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/39>, abgerufen am 26.06.2024.