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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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sprachen dann," berichtet unser Heidenbekehrer, "von der Bestimmung des
Menschen, von dem Sündenfall und von der Erlösung durch Christum, von
der Ungewißheit des Lebens, von Tod und Gericht, vom ewigen Leben und von
der ewigen Verdammniß und baten die Leute, dem Götzendienst zu entsagen
und ihre Seligkeit durch den Glauben an Jesum Christum zu suchen." "Manch¬
mal ging ich davon aus, daß alle Menschen Sünder seien und als solche unter
dem Zorne Gottes stünden und der Verdammniß entgegengingen, worauf ich
ihnen die Nichtigkeit ihrer guten Werke zeigte und ihnen die srohe Botschaft
open Weltheiland verkündete, der unsrer Sünden Schuld und Strafe getragen
und uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erworben habe, also daß alle,
die an ihn glauben, selig werden können."

Also wieder nichts als Dogmatik, nie und nirgends eine Andeutung, daß
auch von der christlichen Liebe gesprochen worden wäre. Kein Wunder, wenn der
Verfasser erzählt, daß das Volk, das ihm zuerst überall freundlich entgegenkam,
wenn er mehrmals gepredigt, verdrießlich wurde und die Herren Apostel übel
behandelte.

Bisweilen begab sich unser Berichterstatter zu einem der Honoratioren des
Ortes: dem Zainindar (Gutsbesitzer), dem Guru (Religionslehrer) oder dem
Partie, nahm auf dem Wege jeden, der da wollte, mit und predigte und
disputirte dann, vom Hausherrn auf ein Tscharpai (Bettgestell) genöthigt, vor
den Versammelten. Mitunter machte unser eifriger Bekehrer sich auch an die
Hindu-Heiligen, die in abgelegnen Wäldchen oder an stillen Orten unter dem
Schatten eines alten Baumes nicht weit vom Dorfe wohnten. "Diese Leute
waren manchmal," wie er sagt, "so von ihrer Heiligkeit eingenommen, daß sie
sich mit mir gar in kein Gespräch einlassen wollten und herzlich froh waren,
wenn ich sie wieder verließ. Manchen fragte ich: "Ist Dein Herz rein von
Sünden?" -- "Nein." -- "So bist Du kein Heiliger, sondern ein verdammungs¬
würdiger Sünder." Das war gut gemeint, aber nicht grade höflich. Doch
nahm es der Heilige nicht übel. "Alle pflegten sich dann zu entschuldigen und
zu sagen: "Kein Mensch ist rein von Sünden: denn wir stecken alle in der
Macht der Maya (Scheinwelt), und diese ist von Gott."

Außer Kisten mit Neuen Testamenten, Bibeln und Tractätchen Pflegen die
Missionäre in löblicher Weise auf ihren Reisen von Ort zu Ort auch Arzneien
mitzunehmen. "Wenn ich," erzählt der unsrige, "im Dorfe umherging und
predigte, sagte ich den Leuten, daß ich Medicin bei mir hätte und dieselbe den
Kranken unentgeltlich gäbe. Dann kamen viele zu mir ins Zelt, und dabei
versäumte ich nicht, sie auch aus die Krankheit der Seele aufmerksam zu machen
und zu Jesu Christo, dem rechten Arzt, hinzuweisen. So sehr die kranken
Hindus sich freuten, von mir Heilmittel umsonst zu erhalten, so trugen doch
manche Bedenken, die Arznei in Flüssigkeit zu nehmen. Nicht selten geschah


sprachen dann," berichtet unser Heidenbekehrer, „von der Bestimmung des
Menschen, von dem Sündenfall und von der Erlösung durch Christum, von
der Ungewißheit des Lebens, von Tod und Gericht, vom ewigen Leben und von
der ewigen Verdammniß und baten die Leute, dem Götzendienst zu entsagen
und ihre Seligkeit durch den Glauben an Jesum Christum zu suchen." „Manch¬
mal ging ich davon aus, daß alle Menschen Sünder seien und als solche unter
dem Zorne Gottes stünden und der Verdammniß entgegengingen, worauf ich
ihnen die Nichtigkeit ihrer guten Werke zeigte und ihnen die srohe Botschaft
open Weltheiland verkündete, der unsrer Sünden Schuld und Strafe getragen
und uns die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, erworben habe, also daß alle,
die an ihn glauben, selig werden können."

Also wieder nichts als Dogmatik, nie und nirgends eine Andeutung, daß
auch von der christlichen Liebe gesprochen worden wäre. Kein Wunder, wenn der
Verfasser erzählt, daß das Volk, das ihm zuerst überall freundlich entgegenkam,
wenn er mehrmals gepredigt, verdrießlich wurde und die Herren Apostel übel
behandelte.

Bisweilen begab sich unser Berichterstatter zu einem der Honoratioren des
Ortes: dem Zainindar (Gutsbesitzer), dem Guru (Religionslehrer) oder dem
Partie, nahm auf dem Wege jeden, der da wollte, mit und predigte und
disputirte dann, vom Hausherrn auf ein Tscharpai (Bettgestell) genöthigt, vor
den Versammelten. Mitunter machte unser eifriger Bekehrer sich auch an die
Hindu-Heiligen, die in abgelegnen Wäldchen oder an stillen Orten unter dem
Schatten eines alten Baumes nicht weit vom Dorfe wohnten. „Diese Leute
waren manchmal," wie er sagt, „so von ihrer Heiligkeit eingenommen, daß sie
sich mit mir gar in kein Gespräch einlassen wollten und herzlich froh waren,
wenn ich sie wieder verließ. Manchen fragte ich: „Ist Dein Herz rein von
Sünden?" — „Nein." — „So bist Du kein Heiliger, sondern ein verdammungs¬
würdiger Sünder." Das war gut gemeint, aber nicht grade höflich. Doch
nahm es der Heilige nicht übel. „Alle pflegten sich dann zu entschuldigen und
zu sagen: „Kein Mensch ist rein von Sünden: denn wir stecken alle in der
Macht der Maya (Scheinwelt), und diese ist von Gott."

Außer Kisten mit Neuen Testamenten, Bibeln und Tractätchen Pflegen die
Missionäre in löblicher Weise auf ihren Reisen von Ort zu Ort auch Arzneien
mitzunehmen. „Wenn ich," erzählt der unsrige, „im Dorfe umherging und
predigte, sagte ich den Leuten, daß ich Medicin bei mir hätte und dieselbe den
Kranken unentgeltlich gäbe. Dann kamen viele zu mir ins Zelt, und dabei
versäumte ich nicht, sie auch aus die Krankheit der Seele aufmerksam zu machen
und zu Jesu Christo, dem rechten Arzt, hinzuweisen. So sehr die kranken
Hindus sich freuten, von mir Heilmittel umsonst zu erhalten, so trugen doch
manche Bedenken, die Arznei in Flüssigkeit zu nehmen. Nicht selten geschah


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/328>, abgerufen am 29.09.2024.