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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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gewandte Bureaukraten, wie z. B. der Ministerialrath Bucholtz aus Oldenburg
oder auch der hannoversche Justizminister'Windthorst, bemächtigten. Diese leitende
Rolle halb fremder Elemente konnte den Engländern weder gefallen noch im-
Poniren. So traten sie denn auch alsbald aus ihrer Stellung als Ehrengäste
heraus, und machten einen verwegenen Versuch, Deutsche und Holländer aus
bloßen Feinden des Branntweins zu Tea-Totallers, Nichts-als-Thee-Trinkern
oder Feinden aller überhaupt berauschenden Getränke zu machen. Beim ersten
Festmahl rümpften sie die Nase, als ihre Tischnachbarn ganz unbefangen Wein
zu sich nahmen; beim zweiten hatten sie schon die Genugthuung, daß weit
weniger Wein getrunken wurde, und der Minister v. Hammerstein sie ausdrück¬
lich als Tea-Totallers leben ließ. Ein Antrag des Einen von ihnen, den fest¬
ländischen Mäßigkeitsfreunden die Ausschließung aller überhaupt berauschenden
Getränke zur Erwägung anheimzugeben, ging trotz Minister Windthorsts Wider¬
spruch durch, und Pastor Böttcher gelobte ihnen im Privatgesprcich. sich die
Sache noch einmal zu überlegen und günstigen Falls zu ihren Grundsätzen
überzugehen. Um die Naivetät vollzumachen, hat er nachgehends die Berichte,
in denen sich die Engländer aller dieser Triumphe über deutsche Unklarheit und
Halbheit rühmen, wörtlich und ohne jede Bemerkung in seinen "Mäßigkeits¬
boten" aufgenommen.

So hat denn der Congreß von 1863 nur bestätigt, was Kenner der be¬
treffenden Persönlichkeiten längst behauptet haben: daß die Leitung der Sache
in Deutschland nicht in den rechten Händen ist. Dies muß gelten unbeschadet
der nicht geringen Verdienste des Pastor Böttcher. Es sind eben Verdienste
des einfachen Streiters, vielleicht des Wachpostens, des Trommelschlägers --,
nicht Verdienste des Feldherrn. Für die Führung der Agitation an oberster
Stelle, im Mittelpunkt, reichen weder seine geistigen Fähigkeiten und Errungen¬
schaften aus, noch seine sittliche Willenskraft. Man wird dessen oft bis zum
Erschrecken inne, wenn man das Organ der Bewegung, den "Mäßigkeitsboten"
liest, oder Schriften, welche unter Pastor Böttchers unmittelbarer Aegide er¬
schienen sind, wie die Uebersetzung der "Geschichte des Mainegesetzes" von dem
Engländer Lech, ein höchst schülerhaftes Stück Arbeit. Dazu kommt, daß die
Kräfte des nicht mehr jungen Mannes nachgrade abnehmen. Er fühlte das
selber recht gut, als man auf jenem Kongreß von 1863 in ihn drang, bald
einen zweiten zu berufen; er lehnte die ehrenvolle Zumuthung wiederholt als
sein Vermögen übersteigend ab, und da in der That bis heute keine neue Ein¬
ladung ausgegangen ist. während man sie doch schon für 186S erwartete, so
wüssen seine gerechten Bedenken bei ihm auch wohl schließlich über die verzeih¬
lichen Einflüsterungen des Selbstgefühls den Sieg davongetragen haben. Der
Raum wäre also frei für das Eintreten neuer, besser ausgerüsteter Kämpfer in
die Schranken.


gewandte Bureaukraten, wie z. B. der Ministerialrath Bucholtz aus Oldenburg
oder auch der hannoversche Justizminister'Windthorst, bemächtigten. Diese leitende
Rolle halb fremder Elemente konnte den Engländern weder gefallen noch im-
Poniren. So traten sie denn auch alsbald aus ihrer Stellung als Ehrengäste
heraus, und machten einen verwegenen Versuch, Deutsche und Holländer aus
bloßen Feinden des Branntweins zu Tea-Totallers, Nichts-als-Thee-Trinkern
oder Feinden aller überhaupt berauschenden Getränke zu machen. Beim ersten
Festmahl rümpften sie die Nase, als ihre Tischnachbarn ganz unbefangen Wein
zu sich nahmen; beim zweiten hatten sie schon die Genugthuung, daß weit
weniger Wein getrunken wurde, und der Minister v. Hammerstein sie ausdrück¬
lich als Tea-Totallers leben ließ. Ein Antrag des Einen von ihnen, den fest¬
ländischen Mäßigkeitsfreunden die Ausschließung aller überhaupt berauschenden
Getränke zur Erwägung anheimzugeben, ging trotz Minister Windthorsts Wider¬
spruch durch, und Pastor Böttcher gelobte ihnen im Privatgesprcich. sich die
Sache noch einmal zu überlegen und günstigen Falls zu ihren Grundsätzen
überzugehen. Um die Naivetät vollzumachen, hat er nachgehends die Berichte,
in denen sich die Engländer aller dieser Triumphe über deutsche Unklarheit und
Halbheit rühmen, wörtlich und ohne jede Bemerkung in seinen „Mäßigkeits¬
boten" aufgenommen.

So hat denn der Congreß von 1863 nur bestätigt, was Kenner der be¬
treffenden Persönlichkeiten längst behauptet haben: daß die Leitung der Sache
in Deutschland nicht in den rechten Händen ist. Dies muß gelten unbeschadet
der nicht geringen Verdienste des Pastor Böttcher. Es sind eben Verdienste
des einfachen Streiters, vielleicht des Wachpostens, des Trommelschlägers —,
nicht Verdienste des Feldherrn. Für die Führung der Agitation an oberster
Stelle, im Mittelpunkt, reichen weder seine geistigen Fähigkeiten und Errungen¬
schaften aus, noch seine sittliche Willenskraft. Man wird dessen oft bis zum
Erschrecken inne, wenn man das Organ der Bewegung, den „Mäßigkeitsboten"
liest, oder Schriften, welche unter Pastor Böttchers unmittelbarer Aegide er¬
schienen sind, wie die Uebersetzung der „Geschichte des Mainegesetzes" von dem
Engländer Lech, ein höchst schülerhaftes Stück Arbeit. Dazu kommt, daß die
Kräfte des nicht mehr jungen Mannes nachgrade abnehmen. Er fühlte das
selber recht gut, als man auf jenem Kongreß von 1863 in ihn drang, bald
einen zweiten zu berufen; er lehnte die ehrenvolle Zumuthung wiederholt als
sein Vermögen übersteigend ab, und da in der That bis heute keine neue Ein¬
ladung ausgegangen ist. während man sie doch schon für 186S erwartete, so
wüssen seine gerechten Bedenken bei ihm auch wohl schließlich über die verzeih¬
lichen Einflüsterungen des Selbstgefühls den Sieg davongetragen haben. Der
Raum wäre also frei für das Eintreten neuer, besser ausgerüsteter Kämpfer in
die Schranken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/313>, abgerufen am 26.06.2024.