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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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mit 294 gegen 37 Stimmen abgelehnt -- aber das wird bekanntlich in Eng¬
land, wo die Aufhebung der Kornzölle Jahre hindurch auch sein besseres Schicksal
hatte, noch lange nicht als entmuthigend angesehen. Unter den Gegnern waren
der Minister des Innern, Sir George Grey, Roebuck und Bright. Letztgenannter
offenbar getheilten Herzens. Er erklärte sich aus Freihandelsgründen gegen
die vorgeschlagene Maßregel, wünschte aber sehr, irgendeiner andern durch"
greifenden Maßregel gegen die Trunksucht zustimmen zu können. Ein anderer
von den entschiedeneren Liberalen, der jetzige Unterstaatssecretär Forster, sprach
auch dagegen, hob aber zu Gunsten des Antrags hervor, daß die arbeitenden
Classen -- wie sie schon 1834 von der bloßen "Mäßigkeit" zur "Enthaltsamkeit"
gedrängt hatten -- in großem Umfang dafür seien, und meinte mit Bright,
irgendetwas in der angedeuteten Richtung müsse geschehen. Kurz, die Verhand¬
lung ließ den Mäßigkeitssreunden für die Zukunft immerhin eine vernünftige
Hoffnung übrig.

Ein paar hervorragende Mitglieder der englischen Agitation gegen be¬
rauschende Getränke hatten im Herbste zuvor an dem festländischen Mäßigkeits-
congreß theilgenommen, welcher vom 30. September bis zum 2. October 1863
-- zufällig denselben Tagen, an welchen in Frankfurt am Main der deutsche
Protestantentag ins Leben gerufen wurde -- unter Pastor Böttchers Leitung
in Hannover stattfand. Sie waren (wie dieser ihnen versicherte dem bekanntlich
in England geborenen König Georg dem Fünften erklären zu wollen) "die
Zierde des Kongresses". In der That hätte es nicht erst dieser derben Schmeichelei
bedurft, um ihr englisches Selbstgefühl der Versammlung gegenüber auf den
Gipfel zu treiben. Sie standen da als Männer, welche genau wußten, was sie
wollten, und entschlossen waren, darin bis ans Ende auszuharren, unter einem
bunten Haufen von Aposteln, welche die Predigt zehn Jahre lang oder länger
hatten ruhen lassen, Novizen, denen die Sache noch höchst neu und fremd vor¬
kam, vornehmen Gönnern (darunter die damaligen Minister Windthorst, Hammer¬
stein und Lichtenberg) und einfachen Neugierigen. Der Urheber und Leiter des
Congresses, in dem sie die Agitation auf dem Continent verkörpert sehen mußten,
präsentirte sich ihnen in der ganzen breiten und saftigen Behaglichkeit, aber
auch in der augenfälligen Unzulänglichkeit seines Wesens. Wirkliche Begeisterung
und gänzliche Hingebung an die Sache nahmen sie wohl überhaupt kaum wahr;
am wenigsten aber in jener handlungsfähigen und des Erfolges sicheren Form
ihrer Heimath, bei welcher die innere Gluth nur dazu dient den Arm zu stählen,
nicht ihn, wie noch so häufig unter uns, ziellos-unruhig hin und her fackeln
zu lassen. Unter den der Versammlung beiwohnenden Deutschen war zwar
Pastor Böttcher bei weitem der Beschlagenste, was den gesammten Inhalt der
Verhandlungen betraf, aber er begnügte sich, diese Sachkunde und Schlagfertigkeit
in unendlichen Rehen ausströmen zu lassen, während sich der Beschlußfassungen


mit 294 gegen 37 Stimmen abgelehnt — aber das wird bekanntlich in Eng¬
land, wo die Aufhebung der Kornzölle Jahre hindurch auch sein besseres Schicksal
hatte, noch lange nicht als entmuthigend angesehen. Unter den Gegnern waren
der Minister des Innern, Sir George Grey, Roebuck und Bright. Letztgenannter
offenbar getheilten Herzens. Er erklärte sich aus Freihandelsgründen gegen
die vorgeschlagene Maßregel, wünschte aber sehr, irgendeiner andern durch«
greifenden Maßregel gegen die Trunksucht zustimmen zu können. Ein anderer
von den entschiedeneren Liberalen, der jetzige Unterstaatssecretär Forster, sprach
auch dagegen, hob aber zu Gunsten des Antrags hervor, daß die arbeitenden
Classen — wie sie schon 1834 von der bloßen „Mäßigkeit" zur „Enthaltsamkeit"
gedrängt hatten — in großem Umfang dafür seien, und meinte mit Bright,
irgendetwas in der angedeuteten Richtung müsse geschehen. Kurz, die Verhand¬
lung ließ den Mäßigkeitssreunden für die Zukunft immerhin eine vernünftige
Hoffnung übrig.

Ein paar hervorragende Mitglieder der englischen Agitation gegen be¬
rauschende Getränke hatten im Herbste zuvor an dem festländischen Mäßigkeits-
congreß theilgenommen, welcher vom 30. September bis zum 2. October 1863
— zufällig denselben Tagen, an welchen in Frankfurt am Main der deutsche
Protestantentag ins Leben gerufen wurde — unter Pastor Böttchers Leitung
in Hannover stattfand. Sie waren (wie dieser ihnen versicherte dem bekanntlich
in England geborenen König Georg dem Fünften erklären zu wollen) „die
Zierde des Kongresses". In der That hätte es nicht erst dieser derben Schmeichelei
bedurft, um ihr englisches Selbstgefühl der Versammlung gegenüber auf den
Gipfel zu treiben. Sie standen da als Männer, welche genau wußten, was sie
wollten, und entschlossen waren, darin bis ans Ende auszuharren, unter einem
bunten Haufen von Aposteln, welche die Predigt zehn Jahre lang oder länger
hatten ruhen lassen, Novizen, denen die Sache noch höchst neu und fremd vor¬
kam, vornehmen Gönnern (darunter die damaligen Minister Windthorst, Hammer¬
stein und Lichtenberg) und einfachen Neugierigen. Der Urheber und Leiter des
Congresses, in dem sie die Agitation auf dem Continent verkörpert sehen mußten,
präsentirte sich ihnen in der ganzen breiten und saftigen Behaglichkeit, aber
auch in der augenfälligen Unzulänglichkeit seines Wesens. Wirkliche Begeisterung
und gänzliche Hingebung an die Sache nahmen sie wohl überhaupt kaum wahr;
am wenigsten aber in jener handlungsfähigen und des Erfolges sicheren Form
ihrer Heimath, bei welcher die innere Gluth nur dazu dient den Arm zu stählen,
nicht ihn, wie noch so häufig unter uns, ziellos-unruhig hin und her fackeln
zu lassen. Unter den der Versammlung beiwohnenden Deutschen war zwar
Pastor Böttcher bei weitem der Beschlagenste, was den gesammten Inhalt der
Verhandlungen betraf, aber er begnügte sich, diese Sachkunde und Schlagfertigkeit
in unendlichen Rehen ausströmen zu lassen, während sich der Beschlußfassungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/312>, abgerufen am 29.06.2024.